Befreie deinen Arsch

Normalerweise haben Frauen in Brasiliens Elektro-Rap »Baile Funk« die Aufgabe, mit dem Hintern zu wackeln. MC Tati dagegen stellt sich selbst an das Mikro. von nadja geer

Drei Monate keinen Sex – das sei der Grund, warum sie ins Musikbusiness eingestiegen sei. MC Tati zieht sich ihre Trainingsjacke aus goldgelbem Teddyfell vor der Brust zusammen. Es ist kalt an diesem Abend in Berlin, im abgetakelten, ungeheizten Palast der Republik. Die kleine Brasilianerin guckt verfroren und ein bisschen aggressiv aus ihrem Plüschpelz: Drei Monate! Damit sei nun aber endgültig Schluss. Seit sie 1996 mit dem Rappen angefangen habe und mit der Zeit zur »Diva des Rio Funk« aufgestiegen sei, habe sie wieder Sex. Mehr als genug.

Rio Funk, auch Baile Funk genannt, hat mit den typischen springenden Basslinien des amerikanischen Funks der Siebziger Jahre nichts zu tun. Es ist ein trashiger Achtziger-Elektro-Sound, der sich an den harten Beat des Miami Bass anlehnt. Mit den bekanntesten Vertretern dieser HipHop-Variante, der 2LiveCrew, teilt er nicht nur den booty beat, sondern auch die sexuell aufgeladenen, sehr expliziten Lyrics. »Me So Horny«, ich bin so geil, war der größte Hit der 2LiveCrew, und dieses Bekenntnis ist der kleinste gemeinsame Nenner in den Texten im Baile Funk. Der Sound wirkt synthetisch und simpel, aber durch den Beat des alten Roland-808-Drumcomputers kickt er einen in den Hintern. Es ist schwer, sitzen zu bleiben, wenn Rio Funk zu hören ist. Das ist auch nicht Sinn der Sache.

In Rio de Janeiro werden die anarchistischen Bailes do Corredor, also die Raves, auf denen ausschließlich Baile Funk läuft, gehasst und gefürchtet – von der Polizei, den Reichen und der Mittelschicht. Anfang der Neunziger waren die Funk-Feten in den Favelas orgiastische Massenveranstaltungen mit Sex, Drugs und: Murder. Damals gab es kein Wochenende ohne tote »Funkeiros«. Im Slum Rosinha gegenüber Borel wurden auf einer einzigen Massendisco elf Minderjährige mit einer großkalibrigen Waffe erschossen.

Das sei alles längst vorbei, wendet MC Tati ein und quatscht lachend mit ihrem Bruder, dessen Künstlerhände in dicken Fausthandschuhen stecken. Tatis Bruder ist ihr DJ, er gibt den Sound vor, zu dem Tati ihre provozierenden, charmant nachlässig vorgetragenen Obszönitäten ins Mikro diktiert.

Beide stammen aus der Cidade do Deus, einem der ärmsten Viertel Rio de Janeiros, dessen harte Wirklichkeit im Kinofilm »City of God« vor zwei Jahren porträtiert wurde. Beide sehen sich nicht in der Tradition gewaltverherrlichenden Agit-Pops. 1994 sei Schluss gewesen mit den Drogen und der Gewalt. Ab da – jetzt hat Tati wieder das Wort – habe nur noch eins gezählt: Sex. Sie selbst rappe in ihren teils vorher gereimten, teils aus dem Stegreif improvisierten Texten nicht über Waffeneinsatz und Leichenberge, sondern habe mit ihrer Lust und ihrem Spaß am eigenen Körper genug Material zum Einheizen.

Probleme damit, Ausdrücke wie »Schwanz« oder »Votze« in den Mund zu nehmen, hat Tati Quebra Barraco (der Beiname ist ein Sprachspiel, das so viel bedeutet wie: Tati, die alles kaputt haut, oder Tati, die keinen Sex hat) nicht. Wer sagt, dass nur Männer ihre sexuellen Vorlieben stakkatoartig und elektronisch verstärkt einem interessierten Publikum vortragen dürfen?

Die ehemalige Köchin in einem Kindergarten ist eine der ganz wenigen Frauen in der Rio-Funk-Szene. Sie gilt daher manchen als Feministin, was sie selber jedoch in keiner Weise bestärkt. Fakt ist jedoch, dass sich nicht viele andere Frauen trauen, den Spieß einmal umzudrehen und vom Objekt der Begierde zum begehrenden Subjekt zu werden.

Politik interessiere sie nicht, darüber sind sich MC Tati und ihr Bruder wieder einmal einig. Nein, sagt Tati, sie sei auch kein teacher, keine Lehrerin, die jungen Mädchen sage, wie sie sich im Macho-Dschungel Brasiliens behaupten könnten. Nein, Queen Latifah, die diese Rolle im amerikanischen HipHop jahrelang innehatte und der MC Tati auch sehr ähnlich sieht, kenne sie nicht.

Sie rede über ihren Körper und ihre Lust, und damit habe es sich. Die stumpfen, elektronischen Bässe, die ihr kleiner Bruder aus seiner CD-Sammlung zaubert, sind auch nicht dafür da, die Ohren verzärtelter Popmusik-Hörer zu kitzeln, sondern die Ärsche geiler Bräute. MC Tati ist eine von ihnen und stolz darauf – auch wenn sie nun auf der Bühne steht und nicht länger nur davor.

Der Rio Funk ist eine Neuauflage der »I’m Black and I’m Proud«- Bewegung der Sechziger Jahre. Indem die Armen in den brasilianischen Favelas ihren Körper in den Vordergrund stellen und Dinge beim Namen nennen, von denen man in den reichen Vierteln Rios noch nicht einmal zu träumen wagt, eignen sie sich das diskriminierende Vorurteil der Reichen (»Die leben in ihren Hütten wie die Tiere«) an und machen es zu ihrer eigenen Edelmarke. Ähnlich wie die »Ho’es With Attitude«, die Nutten mit Überzeugung, die Anfang der Neunziger die männliche amerikanische Musikwelt schockten, indem sie plötzlich selber darüber rappten, wer was warum in ihre heiße Pussy stecken dürfe (einer ihrer bekanntesten Songs hieß übrigens: »Funk me«), hat sich auch MC Tati die Machosprüche der männlichen Funkeiros angeeignet. Aus der geilen Hündin, als die Männer Frauen wie sie gerne sehen, wird die selbstbewusste Frau, die ihre eigenen Wünsche und Begierden zu formulieren weiß.

MC Tati ist bewundernswert selbstbewusst. Nach gut einer Stunde im eisigkalten Volkspalast hat sie sich durch ihre eigenen heißen shouts und ein bisschen Bier genug aufgeheizt, um die extra für sie entworfene Teddy-Sportswear abzulegen und dem tanzenden Publikum ihren alles andere als schlanken, in ein Mieder eingeschnürten Oberkörper zu präsentieren. Auch hier wieder dieser Gestus: Ihr denkt, Rio besteht nur aus diesen großen, überirdisch schönen Mädchen mit den makellosen Körpern und den Federboas auf dem Kopf, die ihr vom Karneval kennt? Oder aus den hellhäutigen, blasierten Damen aus den Telenovelas? »Irrtum!«, scheint MC Tati immer wieder durch ihre »Schwänze«, »Brüste« und »Muschis« hindurch zu rappen.

So wie ich sind viele Frauen in den Favelas, scheint sie klarmachen zu wollen: Mit 13 das erste Kind, mit 23 schon etwas aus der Form, aber dennoch voller Kraft und Courage. »Respect Yourself« – die Staple Singers vertraten diese Haltung in den Siebzigern mit etwas mehr Groove, das ist wahr. Aber der dahinter stehende Gestus bleibt derselbe: Respektiere dich so, wie du bist, dann werden es andere auch tun.

Das von dem Magazin starship veranstaltete Konzert am 27. Oktober im Berliner Palast der Republik hatte ein Nachspiel. Globo, eine von Brasiliens größten Zeitungen, zeigte sich in einem Leitartikel empört darüber, dass MC Tati vom brasilianischen Staat bezahlt wurde, um als offizieller Kultur-Act nach Berlin zu reisen. Ganz abgesehen davon, dass das so nicht stimmt, bestätigt es einmal mehr, dass Brasiliens Öffentlichkeit sich eines partout nicht vorstellen kann: Dass eine Subkultur aus den Favelas ihrer Metropolen zu einem der musikalischen Exportschlager ihres Landes werden könnte. In einer globalen Popkultur, das dürfte jedoch auch in Rio bekannt sein, entscheiden auch die Fans.

Tati Quebra Barraco: Boladonna, Link Records (074-2) djmarlboro@bigmix.com.br