Schlecht gehört

In den vergangenen Wochen wurden in Spanien zahlreiche Personen festgenommen, die radikalen islamistischen Gruppen angehören sollen. von tom kucharz, madrid

Der spanische Präsident und Generalsekretär der Sozialdemokraten, José Luis Rodríguez Zapatero, versprach während des laufenden Wahlkampfes in Galizien, er werde in seiner Amtszeit »alle politischen Kräfte im Kampf gegen den Terrorismus vereinen« und »niemals den Terror in der politischen Debatte« benutzen. Mit dem Begriff Terrorismus belegte er allerdings in diesem Zusammenhang allein die Aktivitäten der Eta. Der islamistische Terrorismus in Spanien birgt aber offensichtlich bedeutend mehr Gefahren als die verbleibenden Kommandos der baskischen Separatisten, vor allem nachdem ihr »Kopf«, Mikel Albizu, Anfang Oktober in Südfrankreich verhaftet worden ist.

Die Ergebnisse der Polizeioperationen der letzten Wochen erhärten den Verdacht, dass in Spanien organisierte Gruppen agieren, die dem nebulösen Netzwerk al-Qaida nahe stehen oder die Ziele des »heiligen Krieges« teilen. Im Oktober ließ die Staatsanwaltschaft insgesamt 23 Personen festnehmen, die radikalen islamistischen Zellen angehören sollen. Sechs der Inhaftierten verbüßten zum Zeitpunkt ihrer Festnahme Haftstrafen wegen anderer krimineller Delikte. Ersten Ermittlungen zufolge lernten sich die Angeklagten in Gefängnissen kennen und gründeten dort eine Art Netzwerk mit Kontaktpersonen in mehreren Haftanstalten und im Ausland. Geplant war nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen u.a. ein Selbstmordattentat auf das Gebäude der Staatsanwaltschaft in Madrid.

Das Gefängnis in Topas diente dem algerischen GIA-Aktivisten Mohamed Achraf, dem Anführer der Gruppe »Märtyrer für Marrokko«, als Knotenpunkt. Die Ermittlungsbehörden fanden umfangreiches Material, das auf eine religiöse Schulung zahlreicher Häftlinge schließen lässt. Videokassetten und Briefe, die sich die Häftlinge untereinander schrieben bzw. die von »Glaubensbrüdern« aus anderen Ländern stammten, deuten auf eine jahrelange Anwerbetätigkeit. »Wir haben eine Gruppe von guten Brüdern, die bereit sind zu sterben«, heißt es in einem Brief Achrafs, und weiter: »Wir haben Männer und Waffen.«

Das islamistische Netzwerk habe enge Kontakte zu Personen in Australien, den USA und dem näheren europäischen Ausland gepflegt, verlautete aus dem spanischen Innenministerium. In diesem Zusammenhang stünden auch die Festnahmen von angeblichen al-Qaida-Mitgliedern in Deutschland, Italien, der Schweiz und Australien, denen eine Beteiligung an den Anschlägen des 11. März (11-M) vorgeworfen wird. In Spanien sei die Organisation vor allem in den andalusischen Regionen um Granada, Almeria, Cadiz und Malaga, den Städten Valencia und Madrid sowie den Exklaven Ceuta und Melilla verankert. Eine neue Qualität habe das Treiben der Islamisten innerhalb der Haftanstalten. Die staatlichen Behörden gehen davon aus, dass noch weitere Zellen aktiv sind.

Für die Polizei dürften diese Erkenntnisse eigentlich nicht neu sein. Der Algerier Allekema Lamari leitete z. B. seit 1997 eine Gruppe von GIA-Aktivisten, die sich in Spanien niederließ. Aus Polizeidokumenten geht hervor, dass deren Ziel ebenfalls der Aufbau einer festen Struktur zum »Anwerben und Trainieren von islamistischen Jugendlichen für den Jihad« gewesen ist. Lamari wurde 1997 verhaftet und vier Jahre später wegen terroristischer Aktivitäten zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Im Juni 2002 wurde er allerdings auf Bewährung freigelassen. Acht Monate vor den Anschlägen in Madrid stellte die Staatsanwaltschaft dann erneut einen Haftbefehl gegen ihn aus. Er war jedoch bereits untergetaucht und bereitete offensichtlich die Attentate des 11. März vor. Er nahm sich am 3. April, zusammen mit sechs weiteren Personen, durch eine selbst ausgelöste Explosion das Leben, als die Polizei ein Versteck von Beteiligten an den Terroranschlägen ausfindig machte.

Juan Manuel Calleja, ehemaliger Chef der Polizeieinheit für Drogen und organisierte Kriminalität, hatte einige der Attentäter wegen Drogenschmuggels abhören lassen. Doch die Beamten seien nicht fähig gewesen, die Gespräche über die geplanten Anschläge zu deuten. »Glauben Sie mir«, sagte Calleja vor der Untersuchungskommission zu 11-M, »hätten wir etwas über Sprengstoff herausgehört, hätten wir sofort gehandelt.«

Polizeikommandant Rafael Gómez Menor, der seit zehn Jahren die al-Qaida-Verbindungen nach Spanien erforscht, erklärte der Kommission, Iman Eddin Barakat Yarkas sei eindeutig der »intellektuelle Urheber« der Anschläge des 11. März. Yarkas sitzt in Spanien in Haft, weil er der Mittäterschaft bei den Anschlägen in New York und Casablanca angeklagt ist. Alle identifizierten Attentäter des 11. März seien Anhänger Yarkas gewesen, so Menor, und von seiner Abteilung schon überwacht worden, bevor es zu den Attentaten in Madrid kam.

Wenn der Geheimdienst von der todbringenden Aktivität islamistischer Gruppen wusste, warum traf er dann keine Vorsichtsmaßnahmen? Hängt das damit zusammen, dass islamistische Gruppen prinzipiell viel schwieriger zu bespitzeln sind, weil es fast unmöglich ist, Agenten einzuschleusen? Oder konnten sich islamistische Terroristen in Spanien leichter als in anderen europäischen Ländern organisieren, weil die Regierung und die Geheimdienste fast ausschließlich mit dem Eta-Terrorismus befasst waren? Informierte der Geheimdienst nach dem 11. März die konservative Regierung absichtlich falsch, um einen Machtwechsel zu unterstützen? Oder ist die Anti-Terrorismus-Politik ein Bestandteil der harmonisierten EU-Innenpolitik, mit dem das endgültige Ende des Rechts auf Asyl gerechtfertigt wird?

Auf diese und weitere Fragen gab die Untersuchungskommission zum 11. März bislang keine Antworten. Aufgabe der seit Anfang Juli tagenden parlamentarischen Kommission ist es, die Umstände und Hintergründe der Anschläge aufzuklären. In der Praxis dient sie den Parteien aber eher zum politischen Schlagabtausch. PP und PSOE streiten sich darüber, wer in den Tagen vom 11. bis zum 14. März die Medien und die öffentliche Meinungsbildung manipulierte. Aus den Untersuchungen geht klar hervor, dass die Regierung unter José Maria Aznar gelogen hat und versuchte, die Anschläge für Wahlzwecke auszunutzen, indem sie der Eta die Verantwortung für die Bomben zuschob. Die Dokumente und Zeugenaussagen vor der Untersuchungskommission schließen diese Verbindung jedoch eindeutig aus.

Aznar hält trotzdem weiterhin an seiner Behauptung fest, Eta habe etwas mit den Geschehnissen des 11. März zu tun. »Alle Terroristengruppen haben am Ende etwas miteinander zu tun«, sagte er Mitte Oktober dem Radiosender Eco in Moskau. »Es ist nicht das gleiche, gegen einen nationalistischen Terrorismus zu kämpfen, wie gegen religiösen Terrorismus«, warnt dagegen der Soziologe Ignacio Sánchez-Cuenca. Der neue spanische Regierungschef hat diesen Unterschied scheinbar auch noch nicht erkannt, spricht er doch weiterhin allgemein von »Terrorismus«.