Ausgegrenzt

In der Ukraine fühlt man sich von dem Vorschlag aus der EU, unerwünschte tschetschenische Flüchtlinge zu internieren, vor allem übergangen. von franziska bruder, l’viv

Noch scheint die Ukraine dem Ansinnen einiger EU-Staaten‚ dass das Land in Zukunft für die Flüchtlingsabwehr außerhalb der Festung Europa zuständig sein soll, nicht freudig folgen zu wollen. »Unser Land kann nicht in ein Ghetto verwandelt werden, in dem Personen, die sich in schwierigen Situationen befinden, einfach festgehalten werden«, erklärte Markian Lubivs’kyj, der Sprecher des ukrainischen Außenministeriums Anfang Oktober. Mitte September hatten der österreichische Innenminister Ernst Strasser und seine Amtskollegen aus den baltischen Staaten verkündet, in der Ostukraine solle ein Auffanglager für tschetschenische Flüchtlinge eingerichtet werden.

Das Staatliche Komitee für Nationalitäten und Migration der Ukraine erklärte, es habe weder eine offizielle Anfrage gegeben, noch sei ukrainisches Territorium für ein solches Lager angeboten worden. Der Leiter des Komitees, Hennadi Moskal, sagte vielmehr verärgert, das Projekt sei »absurd«. Man könne mit einem derartigen Vorschlag nicht an die Öffentlichkeit gehen, ohne dies vorher auf Regierungsebene abzuklären. Sowohl die EU als auch die ukrainische Seite betonten daraufhin, aktuelle Probleme bei der Bekämpfung der illegalen Migration könnten sehr gut im Rahmen ihrer Kooperation und des bestehenden Instrumentariums gelöst werden.

Nach einem Treffen zwischen EU-Vertretern und einer ukrainischen Delegation bekundete man in der EU zwar »Erstaunen« über den Vorschlag Strassers und seiner Amtskollegen, beteuerte aber vor allem, die Presseinformationen seien nicht korrekt und entbehrten jeder Grundlage. Wollte man ein solches Lager einrichten, würde man zunächst mit den entsprechenden Regierungen, demnach mit der Ukraine, verhandeln und nicht zuerst an die Presse gehen – eine ähnliche Argumentation wie die Moskals und eine ebenso halbseidene Distanzierung.

Die Ukraine, das großflächigste Land Europas, hat mit 6 500 Kilometern auch die längste Außengrenze. Den größten Teil macht die Grenze zu Russland aus. Seit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 gibt es mit der Russischen Föderation Streit über die Formalisierung und Demarkation dieser Grenze insbesondere in Hinblick auf das Asowsche Meer und die Straße von Kertsch. Die offenen Grenzstreitigkeiten verweisen auf das schwierige machtpolitische Verhältnis zwischen der Ukraine und Rußland und das längst nicht abgeschlossene ukrainische Nation Building. Aber auch die Grenzen zu Belarus, Rumänien und Moldawien sind für EU-Standards nicht dicht genug. Sie gelten als Einfallstore für das so genannte internationale Verbrechen, Schmugglerbanden und illegale Migration. Die offenen Grenzfragen belasten entsprechend die Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und der EU.

Unter dem Druck der EU sollte nun ab 1. Januar 2005 die Reisepasspflicht für den Grenzübertritt nach und aus Belarus, die Russische Föderation und Moldawien eingeführt werden, darüber hinaus aber die Visumsfreiheit bestehen bleiben. Ende Oktober, im Zuge der Präsidentschaftswahlen in der Ukraine, verkündete der russische Präsident Wladimir Putin allerdings, für ukrainische Bürger sei weiterhin ein Personalausweis ausreichend. Ein offenkundiges Gerangel um die Orientierung der Ukraine Richtung Osten oder Westen.

Ganz anders sieht es dagegen an der Westgrenze aus. Seit dem 1. Mai sind die Grenzen zwischen Ungarn, Polen, der Slowakei und der Ukraine EU-Außengrenzen. Die EU hat in den vergangenen Jahren bereits große Anstrengungen unternommen, ihre künftige Ostgrenze zu modernisieren und abzusichern. So wurden im Rahmen des EU-Projekts Tacis allein in den Jahren 2001 bis 2003 mehr als 33 Millionen Euro für den Auf- und Ausbau von Grenzstationen in der Westukraine, vor allem an der Grenze zu Polen und der Slowakei, ausgegeben.

Seit dem 1. Oktober 2003 wurde zudem in den neuen Beitrittsländern die Visumspflicht für Ukrainer eingeführt. Seitdem kollabiert insbesondere das polnische Konsulat in L’viv (Westukraine), das personell nicht ausreichend ausgestattet ist, um die große Anzahl der Antragsteller zügig abfertigen zu können. (Jungle World, 41/03) In der Westukraine, in den Regionen Wolhynien und Cernivci, sollen zudem so genannte Zentren für einen zeitweiligen Aufenthalt, also Abschiebelager, für sich in der Ukraine nicht legal aufhaltende oder staatenlose Personen eingerichtet werden. Auch werde demnächst im Rahmen von Tacis ein Projekt gestartet werden, mit dem die gesetzlichen und administrativen Reformen in der Ukraine erleichtert werden sollten und bei dem ein intensiver Austausch mit Experten für Migrations- und Flüchtlingsfragen aus Österreich und Litauen vorgesehen sei, erklärte Moskal Mitte September. Diese sollten der ukrainischen Seite ihre Erfahrungen mit dem »Schutz der Rechte von Flüchtlingen« und der Einhaltung von EU-Normen und Standards vermitteln. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Die baltischen Staaten versuchen momentan, sich bei der Formulierung der EU-Ostpolitik zu profilieren. So rief die estnische Regierung Ende September gemeinsam mit Polen die EU auf, eine Front gegen Russland zu bilden und sich dort für demokratische Prozesse einzusetzen. Gleichzeitig dauern seit der staatlichen Unabhängigkeit der baltischen Staaten Streitigkeiten zwischen ihnen und der Russischen Föderation wegen gegenseitiger Entschädigungszahlungen an.

Die Ukraine wurde bei den Verhandlungen mit der EU hinsichtlich ihres zukünftigen Status immer hingehalten. Seit langem diskutiert die bei der EU zuständige Kommission im Rahmen eines »action plan« für die Ukraine, ob den Anwohnern der Grenzregion Visumsfreiheit zugestanden werden könne. Ende 2004 soll der Plan fertig sein, er muss dann aber noch von den entsprechenden Gremien verabschiedet werden. Ein konkretes Ergebnis lässt demnach auf sich warten.

Die zitierten offiziellen Reaktionen der ukrainischen Regierung verweisen darauf, dass man im Grunde nicht abgeneigt ist, derartige Vorschläge zu erwägen. Bei einem entsprechenden Angebot, beispielsweise weitgehende Visaerleichterungen für ukrainische Bürger in der EU, wäre die Ukraine sicher bereit, über die Einrichtung eines solchen Lagers zu diskutieren. Dafür müsste aber zunächst der Status der tschetschenischen Flüchtlinge im Rahmen des bestehenden Rechtssystems der Ukraine geklärt und rechtliche Änderungen müssten vorgenommen werden. Alles in allem eine delikate Angelegenheit, bei der zu rasche öffentliche Diskussionen nur störend wären. Und so schweigt man sich aus.