Belgien soll zerbersten

Nach einer Verurteilung wegen Rassismus gründete sich die rechtsextreme Partei Vlaams Blok neu. Dabei änderte sie nur ihren Namen. von günter mauser

Neuer Name, neues Glück. »Wir ändern unseren Namen, aber nicht unseren Kurs«, ruft Frank Vanhecke, Vorsitzender des soeben aufgelösten Vlaams Blok. »Wir ändern unseren Namen, aber nicht unser Programm«, ruft Vanhecke weiter. Und um überhaupt keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass die neue Partei Vlaams Belang (»Flämisches Interesse«) die Politik des Blok unter einem neuen Etikett identisch weiterführt, ergänzt Vanhecke: »Wir ändern unseren Namen, aber wir lassen keinen einzigen unserer Anhänger zurück.«

Am Sonntag vorletzter Woche hat der Vlaams Blok in seiner Hochburg Antwerpen offiziell die Transformation in die neue Partei Vlaams Belang vollzogen. Die formale Neugründung der Organisation war nötig, um die Parteiarbeit ungehindert weiterführen zu können. Denn wenige Tage zuvor hatte der belgische Kassationshof, die oberste Berufungsinstanz in Belgien, ein Urteil gegen den Vlaams Blok bestätigt.

Der Vlaams Blok, so heißt es in dem Urteil eines Berufungsgerichts in Gent vom 21. April 2004, betreibt eine »dauerhafte Anstachelung zur Spaltung der Bevölkerung und zum Rassismus«. Weil die Partei damit gegen das belgische Antirassismusgesetz verstößt, erhielte sie keine staatlichen Gelder mehr, zudem wäre die Mitarbeit in ihr strafbar. In der Praxis kommt die Gerichtsentscheidung also einem Parteiverbot gleich. Ein Erfolg für das belgische Zentrum für Chancengleichheit und Rassismusbekämpfung sowie für die flämische Menschenrechtsliga, die das Verfahren aus formaljuristischen Gründen mit einer Anklage gegen drei Unterorganisationen des Blok in Gang gesetzt hatten, über die die Parteifinanzierung abgewickelt wurde.

Der Rassismus des Vlaams Blok sorgt im niederländischsprachigen Teil Belgiens seit Jahren für Unruhe. Er richtet sich vor allem gegen arabisch sprechende MigrantInnen. Die Partei greift regelmäßig die angeblich »katastrophale Einwanderungspolitik« Belgiens an, hetzte gegen »krausköpfige Gastarbeiter, die uns die Arbeit wegnehmen«. Dass Europaparlaments-Abgeordnete des Blok antisemitische Äußerungen verbreiten, stellten das Institute for Jewish Policy Research und das American Jewish Committee bereits 1996 fest.

Ihren Durchbruch erzielte die Partei im Jahr 1991, als sie mit rassistischen Sprüchen bei der Parlamentswahl in Flandern mehr als zehn Prozent der Stimmen erhielt. Seitdem ging es mit dem Blok bergauf. In seiner Hochburg Antwerpen wurde er bei den Kommunalwahlen im Jahr 1994 mit 28,5 Prozent stärkste Partei, kam im Jahr 2000 auf 32,8 Prozent und bei den Regionalwahlen im Juni dieses Jahres auf mehr als ein Drittel der abgegebenen Stimmen. Außerdem wurde er mit 24,1 Prozent zugleich zur zweitstärksten Partei in ganz Flandern, in Meinungsumfragen rangiert er dort inzwischen mit mehr als 26 Prozent auf Rang eins.

Sein erfolgreich praktizierter Rassismus macht den Vlaams Blok zum begehrten Partner zahlreicher Rechtsaußen-Organisationen in ganz Europa. Er unterhielt im Europaparlament eine Fraktionsgemeinschaft mit der französischen Front national und den deutschen Reps, entsandte Abordnungen zu Großkundgebungen der DVU. Anfang der neunziger Jahre trafen sich Blok-Mitglieder mit den faschistischen HOS-Milizen in Kroatien. Filip Dewinter, einer der einflussreichsten Politiker der Partei, wird mit den Worten zitiert: »Wir müssen uns organisieren wie in Jugoslawien, wo die Menschen es für notwendig hielten, ethnische Staaten zu bilden.«

»Ethnische Staaten«: Das ist das Schlüsselkonzept zum Verständnis des Vlaams Blok bzw. des Vlaams Belang. Die niederländisch sprechenden BelgierInnen in Flandern gelten ihm als eigenes »Volk«, das sich aus dem »Vielvölkerstaat« Belgien lösen und einen eigenen Staat bilden soll. Der völkische Separatismus paart sich mit Wohlstandschauvinismus: Flandern ist reicher als der französischsprachige Teil Belgiens, die Wallonie. Das Konzept passt aber auch bestens zu deutschen Strategien, die auf eine Neuordnung Europas nach völkischen Kriterien abzielen. Die Kollaboration mit den Deutschen hat den flämischen Separatismus durch das vergangene Jahrhundert begleitet, ihre Auswirkungen prägen auch den Vlaams Blok.

Schon während des Ersten Weltkriegs versuchte die deutsche Besatzungsmacht, die niederländisch sprechende Bevölkerung mit einer gesonderten »Flamenpolitik« auf ihre Seite zu ziehen – mit gewissem Erfolg. Nach dem Krieg unterstützte die flämisch-separatistische Frontpartij die ehemaligen belgischen Kollaborateure. Einer von ihnen, August Borms, kandidierte 1928 für die Frontpartij in der heutigen Vlaams Blok-Hochburg Antwerpen – und gewann die Wahl mit großer Mehrheit. Auch im Zweiten Weltkrieg kollaborierten flämische Organisationen mit den Deutschen. Ihr Ziel: ein eigenständiges Flandern in einem deutsch beherrschten Europa. Mehrere bekannte NS-Kollaborateure, etwa der ehemalige Befehlshaber der Zwarte Brigade, Jef François, gehörten zu den frühen Mitgliedern des Vlaams Blok.

Die immer größeren Wahlerfolge des Vlaams Blok stellen für das belgische Establishment, soweit es nach wie vor den Zerfall des Gesamtstaates zu verhindern sucht, eine Bedrohung dar. Dass die großen belgischen Parteien bislang den cordon sanitaire – die Weigerung, mit dem Vlaams Blok zu koalieren – aufrecht erhalten, hat nicht zuletzt mit den Sezessionsbestrebungen der Partei zu tun. Paradoxerweise könnte gerade das Verbot der Partei den Bruch des cordon sanitaire ermöglichen, befürchtet der Politikwissenschaftler Lieven De Winter, von der Université catholique de Louvain.

Wieso das? Der neu gegründete Vlaams Belang will einen neuen Konflikt mit dem Antirassismusgesetz vermeiden, er hat daher offen rassistische Passagen aus seiner schriftlich fixierten Programmatik entfernt. Damit unterscheidet sich die Partei »nicht mehr sehr von bestimmten Diskursen der flämischen Liberalen«, schreibt De Winter. In der Tat: Presseberichten zufolge ziehen führende Liberale eine Koalition mit der separatistischen Partei in Betracht. »Der cordon sanitaire wird 2006 gebrochen«, vermutete De Winter in der Tageszeitung Le Soir. In der Praxis freilich bleibt der Rassismus der flämischen Partei erhalten. Die Parole »eigen volk eerst« (das eigene Volk zuerst) ist aus dem Parteilogo verschwunden, ihr Leitmotiv bleibe sie weiterhin, erklärt Filip Dewinter.

»Eigen volk eerst« skandierten die Vlaams Belang-Anhänger während der Gründungsveranstaltung am 14. November, »België barst« (Belgien soll zerbersten) hallte es durch den Saal. Die erste Mitgliedskarte wurde symbolisch an den Vlaams Blok-Gründer Karel Dillen ausgegeben, der einst stolz berichtet hatte, seine ersten Worte im belgischen Parlament hätten dem Deutschen Rudolf Hess gegolten. »Der Vlaams Blok ist tot«, kommentierte Filip Dewinter: »Es lebe der Vlaams Blok!«