Fahnder vor den Tempeln

Nach der erfolglosen Beendigung des Streiks der südkoreanischen Staatsangestellten kritisieren viele Aktivisten die Gewerkschaftsführung. von christian karl, seoul

Die öffentliche Disziplin aufrecht zu erhalten ist wichtiger, als die Normalisierung im Staatsdienst«, meint Innenminister Huh Sung-kwan. Er will deshalb mehr als 3 000 Statsangestellte entlassen, die sich in der vergangenen Woche an einem verbotenen Streik beteiligt haben. Arbeitsminister Kim Dae-whan hingegen kündigte an, dass »die Strafen in einigen Fällen gering sein könnten«, da viele Streikende schnell an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt seien.

Nur eine kleine Minderheit der 140 000 gewerkschaftlich organisierten Staatsangestellten war am Montag der vergangenen Woche dem Aufruf der Gewerkschaft KGEU (Korean Government Employees Union) gefolgt, um für ein uneingeschränktes Streikrecht zu streiken. Die meisten kehrten schon tags darauf zur Arbeit zurück, am Donnerstag wurde der Ausstand offiziell für beendet erklärt. »Unser Kampf hat erst begonnen, am Ende werden wir siegen«, erklärte der KGEU-Vorsitzende Kim Young-gil. Doch die Niederlage ist unbestreitbar, und sie war nach Ansicht vieler GewerkschaftaktivistInnen auch vorhersehbar.

Am 13. November hatten die 2 400 RepräsentantInnen der Staatsangestellten nur mit knapper Mehrheit beschlossen, in den Streik zu treten. Das deutete bereits auf eine mangelnde Unterstützung der Basis hin, viele GewerkschafterInnen waren der Meinung, dass man den Streik derzeit der Bevölkerung nicht vermitteln könne. Obwohl schon im Vorfeld des Ausstandes der Verlauf eher mit Skepsis gesehen wurde und dies auch der Führung des Gewerkschaftsdachverbandes KCTU (Korean Confederation of Trade Unions) bekannt war, bestärkte sie die radikalen Kräfte in der Gewerkschaft der Staatsangestellten.

Die Regierung hatte bereits im Vorfeld mit harter Repression gedroht. Die Polizei jagt nun die mittlerweile untergetauchten StreikführerInnen. Die Nationale Polizeibehörde gab vergangene Woche bekannt, dass sie 16 000 Polizisten der berüchtigten Anti-Aufruhreinheiten im Einsatz hat, um der nun zur Fahndung ausgeschriebenen AktivistInnen habhaft zu werden. Vor Universitäten, Kirchen, selbst vor buddhistischen Klöstern und Tempeln stehen seitdem starke Polizeikräfte und vergleichen die Gesichter der PassantInnen mit ihren Steckbriefen. Bisher wurden zwöf StreikführerInnen verhaftet, 47 befinden sich auf der Flucht. Die Gesamtzahl der bisher verhafteten AktivistInnen beträgt 147.

In der KCTU begann unterdessen eine Diskussion, ob die neue Führung unter Lee Soo-ho mit der Unterstützung des Streikaufrufs missliebige GewerkschaftsaktivistInnen loswerden wollte. Denn die radikale Aktion widerspricht der allgemeinen Linie der KCTU-Führung. Im Zusammenspiel mit der seit der letzten Parlamentswahl in der Nationalversammlung vertretenen Demokratischen Arbeiterpartei (DLP) setzt die neue Führung der KCTU mehr auf Ausgleich, als auf Kampf. Der Vorsitzende der DLP, Kwon Young-gil, versprach jedenfalls kurz nach seiner Wahl ins Parlament, »alles zu tun, um den Arbeitsfrieden zu erhalten«.

Lee Mi-ryeon, Präsidentin der kleinen ETU (Equality Trade Union), befürchtet, dass nun die kämpferischen Positionen, die die KCTU früher prägten, aufgegeben werden, um in naher Zukunft mit der unternehmerfreundlichen FKTU (Federation of Korean Trade Unions) ein Bündnis eingehen zu können. In der jüngeren Vergangenheit wurden bereits einige gemeinsame Aktionen durchgeführt, etwa der Streik für die Erhöhung des Mindestlohnes von umgerechnet 400 auf 544 Euro. Da der Streik nicht konsequent genug durchgeführt wurde, bekamen KCTU und FKTU im letzten Sommer nur 481 Euro zugestanden.

Auch auf anderen Ebenen scheinen sich mehr und mehr die »Reformer« durchzusetzen. Am 15. November letzten Jahres besetzten um die 100 MigrantInnen das Gelände der Myeong-dong-Kathedrale im Zentrum Seouls. Mit der Aktion wollten sie gegen geplante Massenfestnahmen und -abschiebungen von so genannten illegalen MigrantInnen protestieren. Weiterhin fordern die BesetzerInnen Legalisierung, Arbeitsvisa und gleiche Arbeitsrechte.

Zu Beginn hatte die KCTU-Führung den Kampf der MigrantInnen unterstützt. Auf der Homepage der KCTU wurde eine Sonderseite für den MigrantInnenprotest eingerichtet. Vor etwa zwei Monaten verschwand die Seite ohne jegliche Erklärung. Seit einigen Wochen nun setzt die Gewerschaftsführung die BesetzerInnen unter Druck, um einen Abbruch der Aktion zu erreichen, was einer massiven Niederlage gleichkommen würde.

Erreicht haben die MigrantInnen bisher wenig, mehrere AktivistInnen wurden bei Demonstrationen festgenommen, den Sprecher Sammar Thapa schob die Regierung nach mehrmonatiger Inhaftierung nach Nepal ab. Mittlerweile sind alle BesetzerInnen in die Gewerkschaft ETU-MB (Equality Trade Union – Migrants’ Branch) eingetreten, doch ein Abbruch der Besetzung in der derzeitigen Situation würde die Aktivitäten der ETU-MB erschweren. Zudem ist zu befürchten, dass die Ausländerpolizei versuchen wird, die MigrantInnen zu verhaften, sobald sie das Gelände der Myeong-dong-Kathedrale verlassen.

Erst vor kurzem hat der Justizminister angeordnet zu prüfen, ob gegen die MigrantInnen Strafprozesse eröffnet werden können. Zuvor hatte die rechtskonservative Tageszeitung Chosun Ilbo darüber sinniert, inwieweit die Aktivisten, vor allem jene aus islamisch dominierten Ländern wie Bangladesh oder Indonesien, in den internationalen Terrorismus involviert sein könnten.

Der Druck auf die migrantischen AktivistInnen, das Bündnis mit der FKTU und der allgemeine Trend zur Mäßigung haben dazu geführt, dass die Kritik an der KCTU-Führung lauter wird. Manche AktivistInnen, die sich von der KCTU nicht mehr vertreten fühlen, wollen einen dritten Gewerkschaftsverband gründen. Viele monieren auch die Demokratiedefizite in der KCTU, die nach den Prinzipien des so genannten demokratischen Zentralismus aufgebaut ist. So wird in vielen Internetforen und in den Debatten der AktivistInnen für eine neue Gewerkschaftsbewegung Basisdemokratie eingefordert.

Ob es zur Abspaltung eines linken Flügels kommt, dürfte auch davon abhängen, wie der für den 26. November angekündigte Generalstreik gegen die neue Gesetzgebung zur »Flexibilisierung« des Arbeitsmarktes verläuft. Die »starke Allianz« seiner KCTU mit der FKTU werde »unseren Plänen Erfolg bringen«, kündigte Lee Soo-ho an.