Feindliche Amtsübernahme

Von der zweiten Vollversammlung der Göttinger Erwerbslosen in der Agentur für Arbeit berichtet tillmann löhr

Guten Morgen, auch schon erwerbslos?« Der junge Mann steht vor der Göttinger Agentur für Arbeit und lädt die Hineingehenden ein, an der Vollversammlung der Erwerbslosen teilzunehmen. Vor einer Woche haben sich hier zum ersten Mal rund 40 Betroffene versammelt, um gemeinsame Perspektiven zu diskutieren – mangels der von ihnen geforderten Räume und Mittel zur Organisierung.

In der Eingangshalle der Agentur werden die Thermoskannen ausgepackt. In offener Runde folgt ein reger Austausch von Stullen, Keksen und Erfahrungsberichten. »Schon letzte Woche haben viele von ihren Erfahrungen berichtet. Man merkt, was sich an Wut angestaut hat«, berichtet ein Teilnehmer. »Es gibt ein Bedürfnis nach Vernetzung. Für viele ist es wichtig, Anschluss an andere zu finden, die in der gleichen Lage sind wie sie.«

Die anschließende Diskussion bestätigt diesen Eindruck. Gleichzeitig verdeutlicht sie aber auch, wie schnell die Kommunikation in einer Gruppe von Menschen, die nichts vereint außer der Notlage, in der sie sich befinden, an ihre Grenzen stößt. Die Resolution der vergangenen Woche soll überarbeitet werden. In ihr werden nicht nur die Ein-Euro-Jobs sowie Umzugs- und Arbeitszwang zurückgewiesen. Sie fordern auch eine Grundsicherung von monatlich 1 200 Euro, freien Zugang zu kulturellen Veranstaltungen, Sozialtickets für Schwimmbäder und den öffentlichen Personennahverkehr und vieles mehr.

Doch es fehlt den Teilnehmenden an einer gemeinsamen Sprache. Neben erfahrenen Szeneaktivisten und frisch gebackenen Universitätsabsolventen sitzen 60jährige Hausfrauen und alternde Langzeitarbeitslose. Während die einen versuchen, die Resolution in theoretische Diskurse um Existenzgeld oder Umverteilungsfragen einzubetten, weisen die anderen die aufgestellten Forderungen als undiplomatisch und illusorisch zurück. Während die einen auf der Suche nach einer generellen Positionierung sind, unterbrechen die anderen sie ein ums andere Mal, um von ihren individuellen Erfahrungen zu berichten. Die Diskussion droht mehr als einmal zu versanden. Es bleibt unklar, ob die in der Resolution enthaltenen Forderungen für die Meinung der Gruppe stehen oder eine durch Zurufe entstandene Sammlung von Einzelmeinungen darstellen. Bei all dem spürt man den Frust, der sich bei Menschen einstellt, die über Jahre als Objekte staatlicher Verwaltung von einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zur nächsten weitergereicht werden: »Die Angestellten der Agentur binden uns in ABM-Stellen ein, damit wir ihre Jobs rechtfertigen und aus der Statistik verschwinden. Und wir hängen dann auf Schicht rum und haben nichts zu tun.«

Vielleicht ist einfach nicht der Tag für Analysen. Im Aufruf zur Versammlung in der Arbeitsagentur heißt es: »Wir wollen uns nicht mehr entmutigen lassen. Lassen auch Sie sich nicht mehr entmutigen.« Es geht darum, dass sich die Erwerbslosen zusammenschließen, denen im öffentlichen Diskurs oft genug suggeriert wird, ihre Situation sei auf persönliches Versagen zurückzuführen. Die gemeinsame Zurückweisung dieser Unterstellungen, verbunden mit der offensiven Formulierung eigener Forderungen ist zumindest ein Schritt aus der Isolation und lässt auf eine weitergehende Auseinandersetzung hoffen. Allerdings ist die Vollversammlung nicht der erste Versuch einer Selbstorganisation der Erwerbslosen in Göttingen. Es bleibt unklar, warum nicht darüber gesprochen wurde, sich mit anderen lokalen Bündnissen zusammenzutun – vom Erwerbslosenfrühstück bis zum Sozialen Zentrum gibt es verschiedene Initiativen in der Stadt, die dasselbe Ziel verfolgen.

Möglicherweise treffen sie sich ja am 6. Dezember. Für diesen Tag haben mehrere Gruppen dazu aufgerufen, die Anträge für das Arbeitslosengeld II gemeinsam abzugeben, um den Betrieb in der Agentur durch Arbeitsüberlastung zu stören. Das nimmt die Vollversammlung der Erwerbslosen zum Anlass, sich das nächste Mal zu treffen.