Staatsbürger im Jutesack

Bundeswehrskandale von paul urban

Wird Deutschland zu einer Folterhochburg? Während in Frankfurt am Main der Prozess gegen den früheren stellvertretenden Frankfurter Polizeipräsidenten Wolfgang Daschner läuft, der einem Mordverdächtigen mit Folter gedroht haben soll, werden immer mehr Fälle von Folter in der Bundeswehr bekannt. In vielen Kasernen wird offenbar eine stramme Art der Ausbildung angewandt. Da werden zur Übung Scheinerschießungen vorgenommen, Vorgesetzte quälen und schlagen Rekruten, ziehen ihnen Jutesäcke über den Kopf, verabreichen ihnen Stromschläge und spritzen sie mit Wasser ab. Den Rekruten kommt das nicht mal seltsam vor. Militär ist eben Militär, scheinen sie zu denken. Und das zu Recht.

Denn die Bundeswehr muss sich auf die kommenden Aufgaben, auf die größere Verantwortung der Bundesrepublik, wie es seit 1989 so schön heißt, adäquat vorbereiten. Die Zeiten, da ein Offizier seine Laufbahn beschritt »wie ein landesüblicher Beamter« (Süddeutsche Zeitung), sind vorbei.

Folter bei der Bundeswehr gab es schon immer, nur nannte sie sich bisher Grundausbildung. Zu ihr gehörte, von einem alkoholkranken Offizier aus dem Bett gebrüllt zu werden, um mit Marschgepäck bepackt in eisiger Kälte durch schlammigen Morast zu kriechen. Zusammen mit anderen Wehrpflichtigen wird der Rekrut monatelang in ein Zimmer gepfercht, und der einzige Privatraum ist der Spind, der vom Offizier nach Lust und Laune durchsucht werden kann. Schütze Arsch meldet sich gehorsamst zur Stelle! Schütze Arsch putzt das Treppenhaus mit der Zahnbürste! Das ist die »Schule der Nation«.

Die äußeren Umstände erfordern es nun, dass eine noch härtere Gangart eingelegt wird. Denn die Bundeswehr, die inzwischen in etlichen Ländern in der weiten Welt ihren Friedensdienst tut, demnächst auch im Sudan, braucht im Einsatz an der Front keine Soldaten, die eine eigene Meinung haben. »Lieber Herr Stabsoffizier, ich finde es nicht richtig, dass die Kosovo-Albaner nun die Serben verjagen.« So etwas will niemand hören. Das stört im Ernstfall beim Angriff und nach gewonnenem Krieg bei der Besatzung.

Die Bundeswehr braucht vielmehr den unterwürfigen Befehlsempfänger, der sich auch in eine Jauchegrube wirft, wenn es das Wohl des Landes erfordert. Nur ein Soldat, der verinnerlicht hat, dass er ein Stück Dreck ist, kann die deutschen Interessen rund um den Globus verteidigen. Verlässt er die Bundeswehr eines Tages, ist er außerdem, welch schöner Nebeneffekt, für das Arbeitsleben gerüstet.

Auch für Bundeswehreinsätze im Inneren können wir keine Soldaten brauchen, die grübeln und Meinungen mit sich herumschleppen wie ziviles Marschgepäck. Wild Streikende müssen notfalls niedergemacht werden, wenn es der Standort erfordert. Atomkraftgegner? Roll drüber, Panzergrenadier! Und die Antifademonstration putzen wir mit der schnellen Eingreiftruppe weg! Für die Zukunft der Landesverteidigung gegen innere wie äußere Feinde ist eine schonungslose Ausbildung des Soldaten, auch mit Methoden der Folter, unerlässlich.

Und jeder Mutter, die sich um die körperliche Unversehrtheit ihres 18jährigen Sohnes bei der Bundeswehr sorgt, sei gesagt: Zu Todesfällen hat die Folterausbildung ja noch nicht geführt. Da würde der Verteidigungsminister auch ganz hart durchgreifen. Darauf ist Verlass. Und weggetreten!