Nix Amore, keine Rechte

Die »Integration«, die heute von Migranten gefordert wird, wurde früher absichtlich verhindert. Nach getaner Arbeit sollten die »Gastarbeiter« wieder abreisen. von titus engelschall

Einträchtig hoben die Delegierten auf dem Parteitag der CDU ihre Kärtchen und verabschiedeten das Grundsatzpapier »Im deutschen Interesse: Integration fördern und fordern, Islamismus bekämpfen!« Das Wort »fördern« sucht man in den sieben Thesen vergeblich, umso mehr wird von den Migranten gefordert: die Auflösung der Parallelgesellschaften, Spracherwerb, Integrationswillen usw.

Um solche Forderungen unverhohlen an die Migranten zu richten, muss man schon an geschichtlicher Amnesie im fortgeschrittenen Stadium leiden. Denn fast alle der diagnostizierten »Mängel« waren in der Vergangenheit entweder explizite Ziele oder direkte Folgen der »Ausländerpolitik«, über die sich die bundesdeutschen Parteien weitgehend einig waren.

Offiziell begann die Migration ausländischer Arbeitskräfte in die BRD im Jahr 1955 mit einem Anwerbevertrag mit Italien, Verträge mit anderen Ländern folgten bis 1968. Zwischen 1955 und dem Anwerbestopp im Jahr 1973 kamen rund 14 Millionen Arbeitskräfte in die BRD, von denen die große Mehrheit wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehrte. Im Jahr 1973 arbeiteten 2,6 Millionen Migranten in der BRD, von ihnen waren ca. 30 Prozent Frauen. Viele der oft schon mehr als 15 Jahre in der BRD lebenden Migranten hatte sich für ein Leben hier entschieden, so dass alle politischen Forderungen nach ihrer Rückkehr folgenlos blieben. Vielmehr nutzten sie die Familienzusammenführung, um ihre Verwandten in die BRD zu holen.

Es gehörte zur Absicht der »Gastarbeiterpolitik«, dass die Migranten, nachdem sie den deutschen Reichtum gemehrt hatten, postwendend in ihr Herkunftsland zurückkehren sollten. Nach einer Eignungsuntersuchung wurden sie in den Arbeitsmarkt integriert, um gleichzeitig durch die ihnen zugewiesene inferiore Position langfristig ausgeschlossen zu werden. Im Rotationsverfahren sollten sie nach einem Jahr ersetzt werden. Doch das Interesse der Unternehmen an gut eingearbeiteten Arbeitern unterlief diese ausländerpolitische Richtlinie. Während für die deutschen Arbeiter dank der »Gastarbeiter« ein beruflicher Aufstieg möglich wurde, blieben die Migranten von solchen Chancen rechtlich ausgeschlossen.

In der ersten Phase der Arbeitskräftemigration gab es kaum kontroverse Debatten über die Anwerbung von Arbeitern im Ausland. Zu unstrittig war, dass für das Wirtschaftswachstum weitere Arbeitskräfte benötigt wurden. Nach außen bemühten sich Politiker und die Öffentlichkeit um ein »gastfreundliches Bild« der BRD. So widmete sich die Bild-Zeitung in einer Kolumne mit dem Titel »Nix Amore« mit erzieherischem Impetus den Problemen und »kulturellen Gewohnheiten« der Arbeitsmigranten fern der »Heimat« und schuf doch nur das Bild des exotischen Fremden.

Zu Beginn der sechziger Jahre und im Zuge der Rezession von 1966/67 wurden die Arbeitsmigranten schrittweise zu einem allgemeinen Problem erklärt. Regierungsvertreter der CDU/CSU träumten von strikt abgetrennten »Ausländerwohnbezirken«, galt doch in der miefigen postnationalsozialistischen BRD »Vermischung« als eine Gefahr für den nationalen Zusammenhalt. So schlug der Wohnungsbauminister, Paul Lücke (CDU), im Jahr 1962 vor, städtische Zentren für Arbeitsmigranten zu bauen: »Da die ausländischen Arbeitnehmer regelmäßig fremdem Volkstum und z.T. verschiedenen Religionen angehören, ist es erstrebenswert, Angehörige eines Volkes in geschlossenen (…) Siedlungen unterzubringen, in denen kirchliche, kulturelle und andere Zentren, wie z.B. Schulen vorhanden sind.«

Diese rassistischen, biopolitischen Planspiele knüpften an die gängige Praxis an, die Angeworbenen in betriebseigenen spartanischen Wohnheimen strikt zu separieren. Auf diese Weise sollten die Kosten der Unterbringung so niedrig wie möglich gehalten und eine Integration der Migranten sollte verhindert werden. Ohne Kontakt zur Außenwelt lebten sie in einer unheimlichen Zwischenwelt, die aus harter Arbeit und einem Leben in menschenunwürdigen Baracken bestand. Bis zu sechs Menschen wurden zusammen in winzigen Räumen einquartiert. Nicht selten zahlten sie dafür horrende Mieten. Ihre Wohnsituation machte die Migranten gleichzeitig unsichtbar und als kulturelle Fremde sichtbar. Die soziale Unterprivilegierung wie auch die ihnen exklusiv zugewiesene dreckige und gesundheitsschädliche Arbeit in den Betrieben wurde so zu einer kulturellen Besonderheit der »Gastarbeiter«.

Angesichts solcher Arbeits- und Lebensbedingungen kehrten beispielsweise 20 Prozent der italienischen Vertragsarbeiter der Wolfsburger VW-Werke zwischen 1962 und 1975 bereits nach wenigen Tagen entsetzt nach Italien zurück. 60 Prozent erfüllten ihren einjährigen Arbeitsvertrag nicht.

Andere suchten sich preiswerte Wohnungen in den innerstädtischen Sanierungsgebieten, um den katastrophalen Wohnbedingungen in den Heimen zu entfliehen. Heruntergekommene Wohnhäuser wurden von den Besitzern bevorzugt an »Gastarbeiter« zur so genannten Restnutzung vermietet.

Die Herausbildung eigener Communities war für die Migranten eine Möglichkeit, sich vor der rassistischen Diskriminierung im Alltag zu schützen. Hier konnten sie eine Wohnung finden, ohne rassistische Belästigung einkaufen, Freunde treffen, sich verlieben oder sich amüsieren. Der eigene Laden stellte oft die einzige Möglichkeit dar, dem miesen Job, dem deutschen Vorarbeiter oder der Arbeitslosigkeit zu entliehen.

Auch das Erlernen der deutschen Sprache wurde in den ersten Jahrzehnten der staatlich überwachten Arbeitsmigration absichtlich verhindert. Man war bemüht, den migrantischen Aufenthalt nicht durch eine sprachliche Eingliederung zu »verfestigen«. Mit dieser Begründung wurden in den sechziger Jahren in den Schulen spezielle »Ausländerklassen« eingerichtet, in denen den Kindern von Migranten ihre »Heimatkultur« nahe gebracht werden sollte. Denn in diese imaginäre »Heimat«, welche die meisten Schüler allenfalls aus dem Urlaub kannten, sollten sie zurückkehren.

Ein rigides Ausländergesetz, das auf der Ausländer-Polizeiverordnung von 1938 basierte, wachte über die Nützlichkeit der Migranten für die deutsche Wirtschaft. Es bestimmte, dass nur diejenigen eine Aufenthaltserlaubnis bekamen, die der »ihnen gewährten Gastfreundschaft würdig sind«. Bei Verlust des Arbeitsplatzes oder renitentem Verhalten mussten die Migranten jederzeit mit der Ausweisung rechnen.

Ihre Rechtlosigkeit sollte darüber hinaus auch jegliche politische Betätigung verhindern. Von den bundesdeutschen Behörden wurde die Vorenthaltung ihrer Grundrechte mit der Gefahr einer »kommunistischen Infiltration« durch die »Gastarbeiter« begründet. So wurden diejenigen Migranten, die sich für ihre Arbeitsrechte und für höhere Löhne einsetzten, oftmals mit der sofortigen Ausweisung bedroht oder ausgewiesen. So geschah es beispielsweise im Jahr 1973 den Anführern des legendären wilden Streiks in den Kölner Fordwerken.

Die behördliche Förderung migrantischer Kulturvereine sowie islamischer Einrichtungen tat ein Übriges, um nicht nur die »kulturelle« Bindung der Migranten zum Herkunftsland aufrechtzuerhalten, sondern sie auch davon abzuhalten, für ihre politischen und sozialen Rechte in der BRD zu kämpfen.