Chaos in Kivu

Die Regierung des Kongo will ihre Kontrolle auf die Provinz Nordkivu ausdehnen, scheitert jedoch vorerst am Widerstand meuternder Soldaten. von ruben eberlein

Truppenverlegungen, meuternde Soldaten, ein abgesetzter Militärverwalter, tausende Menschen auf der Flucht: Als in der vorigen Woche in Kanyabayonga im Osten der Demokratischen Republik Kongo (DRC) Kämpfe ausbrachen, glich das Szenario den Konflikten um die Vorherrschaft im nahen Bukavu im Juni dieses Jahres (Jungle World, 28/04). Die schwache Zentralregierung versuchte wieder einmal, ihre Autorität in den entlegenen östlichen Provinzen zu etablieren, scheiterte aber diesmal und musste sich vorerst zurückziehen. Die martialischen Erklärungen der Armeeführung lassen eine baldige Fortsetzung der Kämpfe befürchten: »Ein strategischer Rückzug bedeutet keineswegs die Flucht vor dem Feind. Im Gegenteil, das ist eine Strategie, die darauf abzielt, dem Feind zu begegnen und ihn zu zerstören.«

Darüber, wer dieser Feind ist, wird weiterhin heftig gestritten. »Wir befinden uns im Krieg mit den Ruandern, und zwar schon seit einiger Zeit. Der Krieg wurde lediglich nicht erklärt«, ließ ein Sprecher des Präsidenten Joseph Kabila verlauten. Die ruandische Führung unter Paul Kagame wies die Vorwürfe aus Kinshasa zurück, in die Kämpfe verwickelt zu sein. Die im Kongo stationierte UN-Truppe Monuc und die Afrikanische Union (AU) sprachen von Auseinandersetzungen innerhalb der kongolesischen Streitkräfte. Allerdings bekundete die Monuc, sie sei »überzeugt« von der Anwesenheit ausländischer Truppen, könne aber nicht bestätigen, dass es sich um Ruander handle.

Sicher ist, dass verschiedene Fraktionen der Armee gegeneinander kämpfen. Im Rahmen der Friedensvereinbarungen war die Eingliederung der Milizen konkurrierender Warlords in die Armee beschlossen worden. Doch die Einheit steht nur auf dem Papier. Auslöser für die Eskalation war die Verlegung von 10 000 Soldaten in die Provinz Nordkivu. Dort herrschen zahlreiche Warlord-Gruppen, die ihren Ursprung in der Rebellenbewegung RCD-Goma haben.

Der RCD-Goma ist an der Übergangsregierung beteiligt, kann jedoch die lokalen Kommandeure nur bedingt kontrollieren. Die Meuterer verweigerten den Einheiten den Einzug nach Kanyabayonga und erklärten, die Truppenverlegungen richteten sich gegen die Minderheit der Banyamulenge. Die Armeeführung gab dieser Sichtweise mit der Versetzung des Militärgouverneurs von Nordkivu neue Nahrung. Zur Begründung hieß es, der General sei Banyamulenge und gehöre somit derselben ethnischen Gruppe wie die Aufständischen an. Die Banyamulenge gelten sowohl der Regierung als auch vielen Einwohnern der Region als Statthalter Ruandas.

Zweimal marschierte die ruandische Armee seit 1996 in das Gebiet des ehemaligen Zaire ein. Sie fand unter den seit Jahrzehnten diskriminierten ruandasprachigen Minderheiten im Osten breite Unterstützung. 1996/97 war Ruanda die entscheidende Stütze für eine Allianz aus kongolesischen Rebellengruppen, die das Regime unter Joseph Mobutu zu Fall brachte. Ein Jahr darauf – die neue Führung der DRC hatte sich inzwischen von ihren früheren Verbündeten abgewandt – intervenierte Ruanda erneut, diesmal zusammen mit ugandischen Truppen.

An der faktischen Teilung des zentralafrikanischen Landes änderte auch die im Juli letzten Jahres gebildete Koalitionsregierung aus Kriegsparteien und zivilen Politikern nichts. In ihren Einflusszonen unterhalten die aus den Rebellenorganisationen hervorgegangenen bewaffneten Gruppen nach wie vor eine Kriegswirtschaft, die sich vor allem auf die Ausbeutung der mineralischen Vorkommen und die Erpressung von Wegezoll und anderen Abgaben konzentrieren. In den internationalen Handelsnetzwerken, in denen Coltan, Edelhölzer, Gold und Diamanten umgesetzt werden, nehmen militärische Unternehmer aus den Nachbarländern eine zentrale Stellung ein.

Einer kürzlich vorgestellten Studie des International Rescue Committee (IRC) zufolge sterben noch immer mehr als 30 000 Menschen monatlich an den Folgen des Konflikts. Bis zum April 2004 haben etwa 3,8 Millionen Menschen ihr Leben verloren, vor allem durch leicht heilbare Krankheiten und Unterernährung. »Der kongolesische Konflikt ist der weitaus tödlichste seit dem Zweiten Weltkrieg und der tödlichste in Afrika, der jemals registriert wurde«, heißt es in der Presseerklärung.

Die Regierung Ruandas hatte in den letzten Wochen wiederholt mit einer Intervention gegen die aus dem Kivu heraus operierenden Hutu-Extremisten gedroht. Auf 8 000 bis 15 000 Mann wird heute die Zahl derer geschätzt, die vom Kongo aus den Sturz der Regierung Ruandas betreiben. Ihren Kern bilden ehemalige Angehörige der Miliz Interahamwe und der vormaligen ruandischen Armee (Ex-FAR), die nach dem von ihnen exekutierten Völkermord in Ruanda 1994 in das damalige Zaire flohen. Im August überfiel eine Organisation von Hutu-Extremisten ein Flüchtlingslager in Burundi, die 152 Opfer waren überwiegend Banyamulenge. Doch bislang beschränkt sich das ruandische Militär offensichtlich auf begrenzte Kommandoaktionen, bei denen gezielt grenznahe Dörfer attackiert werden, die als Rückzugsorte der Milizen gelten.

Die UN-Truppen haben das Mandat, solche Überfälle zu verhindern und Zivilisten zu retten. Doch die Truppe bietet der Zivilbevölkerung wenig Schutz, und sie kann bei der angestrebten freiwilligen Entwaffnung der zahlreichen Milizengruppen keine Erfolge vermelden. Die Uno lege eine unangebrachte Milde gegenüber den Milizen an den Tag, kritisierte der ruandische Außenminister Charles Murigande. »Trotz der Tatsache, dass wir der Monuc regelmäßig Informationen zur Stationierung, Kommandostruktur und Bewaffnung der Ex-FAR und Interahamwe liefern, weigert sie sich beständig, gegen sie vorzugehen.« Zahlreiche Vorschläge seiner Regierung zur Entwaffnung dieser Gruppen seien zudem von der DRC-Führung abgelehnt worden.

Bislang wird von den Aktivitäten der Monuc vor allem in Verbindung mit Vorwürfen von sexuellem Missbrauch in 150 Fällen berichtet, mit denen sich derzeit eine UN-Kommission befasst. »Sexuelle Ausbeutung und Missbrauch, speziell Prostitution von Minderjährigen, sind seit langem verbreitet. Alle wichtigen Kontingente scheinen darin verwickelt zu sein«, zitierte die Washington Post in der vorigen Woche aus einem internen UN-Bericht vom Juli.

»Ist dies die ineffektivste UN-Friedensmission der Welt?« überschrieb vor zwei Wochen der britische Economist einen Korrespondentenbericht aus dem Kivu. »Es wäre schwer, die Unpopularität der UN zu übertreiben. Einige Kongolesen schütteln ihre Fäuste oder werfen Schlammklumpen nach vorbeifahrenden UN-Patrouillen.«

Die Zahl der Monuc-Soldaten soll einem Beschluss des Sicherheitsrates vom 1. Oktober zufolge um ein Drittel auf 16 700 Soldaten erhöht werden. Doch angesichts der zahlreichen Konfliktlinien scheuen UN-Bürokratie und internationale Diplomatie offenbar weiterhin die Kosten und Risiken, die mit der Errichtung eines internationalen Protekorats, der üblichen Befriedungsstrategie in afrikanischen Bürgerkriegen, verbunden wären.