Eine von allen

Marion Jones und weitere US-Spitzenathleten werden ausgerechnet von dem Mann des Dopings bezichtigt, der ihnen die Substanzen verabreicht hat. von elke wittich

Wann immer es um Doping geht, ist die Aftershow in aller Regel viel unterhaltsamer als die zuvor unter dem Einfluß illegaler Substanzen erbrachte sportliche Höchstleistung.

Während sich allerdings alle tränenreich geäußerten Unschuldsbeteuerungen spätestens mit der Öffnung der in aller Regel ebenfalls positiven B-Probe erledigt haben, liegt der Fall der Leichtathletin Marion Jones ein wenig anders. Indizien belasten die Spitzensportlerin und einige ihrer Kollegen schwer. Aus Unterlagen, die bei dem Labor Balco beschlagnahmt wurden, geht hervor, dass die Athleten sich jahrelang mit Substanzen dopten, die so derart state of the art waren, dass sie meist noch gar nicht allgemein bekannt waren.

Marion Jones und Co. kämpfen derzeit darum, dass ihr sportlich guter Ruf wiederhergestellt wird. Allerdings mussten sie vor einer Woche einen empfindlichen Rückschlag verbuchen. Denn ausgerechnet Victor Conte, Chef des Balco-Labors in Kalifornien, hatte in einem Interview mit dem US-Sender ABC erklärt, dass Marion Jones sich schon vor den Olympischen Spielen von Sydney regelmäßig mit der Mixtur »the clean«, einer Mischung aus Epo, dem Steroid THG und Insulin, gedopt habe. Das Designer-Mittel war von Balco speziell für die Anwendung im Spitzensport etwickelt worden. Victor Conte bemerkte in dem Gespräch, dass er danebengesessen sei, als die dreifache Olympiasiegerin sich die verbotenen Substanzen – »nachdem ich ihr erklärt hatte, wie das geht« – in den Oberschenkel spritzte.

»Ich weiß, sie ist viele, viele Male negativ getestet worden, auch während der Olympischen Spiele. Aber wie ich bereits früher erklärte, war es furchtbar einfach, nicht positiv getestet zu werden, ungefähr so, als nehme man einem Baby seinen Nuckel weg«, sagte Conte. Sein Unternehmen habe schließlich strikt darauf geachtet, dass Substanzen verwendet wurden, die von den jeweils gängigen Dopingtests nicht erfasst werden konnten. Marion Jones’ Unschuldsbeteuerungen wollte er nicht gelten lassen: »Sie hat damals ihre Entscheidung getroffen, und für die Konsequenzen ist sie nun verantwortlich. Wenn sie sagt, niemals Dopingmittel genommen zu haben, dann lügt sie. So einfach ist das!«

Zum ersten Mal beliefert habe er die Athletin »in den 13 Wochen vor den Spielen in Atlanta im Jahr 2000«. Die Sportlerin hatte zunächst nur mit einem Dementi auf die Äußerungen ihres ehemaligen Lieferanten reagiert und erklärt, Conte lüge, sie habe lediglich im Zeitraum von 1999 bis 2001 ein Nahrungsergänzungspräparat von Balco bezogen.

Zwei Wochen später reichte sie allerdings eine Verleumdungsklage beim Bezirksgericht vo San Francisco ein und forderte wegen übler Nachrede 25 Millionen Dollar als Entschädigung von Victor Conte.

Was in europäischen Medien als Spitzenmeldung verbreitet wurde, gilt in den USA jedoch nur als ausgewiesener Publicity Stunt. Der Anwalt Lin Wood aus Atlanta erklärte dementsprechend, dass es sich bei der Klage lediglich um pure Taktik handele, »denn wenn es ihr wirklich ernst gewesen wäre, hätte sie auch gegen ABC sowie das Magazin ESPN rechtlich angehen müssen« – in beiden Medien kam Conte schließlich ausführlich zu Wort. Jones’ Chancen, Recht und damit viel Geld zu bekommen, seien gleich Null, es handele sich lediglich »um eine Klage, die nicht zu gewinnen ist«.

Conte kommentierte, er werde bei seiner Darstellung bleiben. »Sie ist einfach nur eine desperate Frau, die während ihrer gesamten Karriere illegale Substanzen und Drogen zu sich genomen hat. Ich sage die Wahrheit, und sie lügt!«

Einer der Anwälte von Jones konterte damit, dass es in der angestrengten Klage unter anderem auch um Contes Glaubwürdigkeit gehe, denn seine Anwälte hätten zunächst immer wieder behauptet, dass ihr Mandant die Sprinterin niemals mit Dopingmitteln versorgt habe; nun erhoffe sich der ehemalige Balco-Besitzer zweifellos, die Staatsanwaltschaft versöhnlich zu stimmen.

Conte war bereits im Februar dieses Jahres gemeinsam mit anderen Mitarbeitern unter Anklage gestellt worden, der Vorwurf lautete damals auf Bildung eines Rings zum Handel mit Dopingmitteln. Alle Beteiligten erklärten sich damals für nicht schuldig, die Aussagen des Chefs der Firma werden nun als kleine Sensation gewertet. Conte nannte nämlich zum ersten Mal konkrete Namen: Balco habe zum Beispiel einen konkreten Plan aufgestellt, um Tim Montgomery dabei zu helfen, im Jahr 2000 den 100-Meter-Weltrekord zu brechen. Bei dem Sprinter handelt es sich um den Vater von Marion Jones’ Baby.

Zudem habe er auch Kelli White mit Dopingmitteln versorgt. Die Sprinterin, die mittlerweile den Gebrauch von illegalen Substanzen zugegeben hat und nun eine zweijährige Sperre absitzen muss, war die Einzige, die sich öffentlich über Conte äußern wollte. In der Show 20/20 sagte sie: »Er hat mich glauben gemacht, dass ich die Nummer eins in der Welt werden kann, wenn ich nur ein gewisses Prozedere befolge und Nahrungsergänzungsmittel sowie andere Drogen nach einem ausgearbeiteten Plan zu mir nehme. Ich hatte einfach den Eindruck, dass so viele andere Sportler dies auch taten, dass ich dachte, damit würde ich eben nur eine dieser anderen werden.«