National befreite Studis

Die Bielefelder Burschenschaft Normannia Nibelungen versucht, sich mit einer Anti-Antifa-Kampagne zu profilieren. von jörg kronauer

Erst kommt mein Volk, dann all die andern vielen, erst meine Heimat, dann die Welt.« Für die lyrisch Gesinnten unter den Nationaldemokraten hat der NPD-Kreisverband Lahn-Dill ein Gedicht von Bogislav von Selchow auf seine Homepage gestellt. Selchow, ein völkischer Gegner der Weimarer Republik, gilt in der Szene als Geheimtipp. Seine Verse werden vorgetragen bei Kranzniederlegungen der Freien Nationalisten Mannheim, finden sich wieder auf der Internetseite heimatschutz.org, die Pommersche Aktionsfront zitiert den »Dichter« neben Baldur von Schirach.

»Erst kommt mein Volk, dann all die andern vielen«: Als »Sinnspruch des Semesters« hat die Burschenschaft Normannia Nibelungen zu Bielefeld Selchows Vers ihrem aktuellen Semesterprogramm vorangestellt. Derzeit kämpfen die Bielefelder Burschen mit einer Anti-Antifa-Kampagne für ihr »Volk«. Einen kritischen Journalisten und die AStA-Vorsitzende mit türkischem Namen griffen sie kürzlich auf Flugblättern an. Der Journalist treibe sein »Unwesen (…) in der vom Verfassungsschutz beobachteten anti-deutschen Zeitung Jungle World«, hieß es in einem der Pamphlete.

Um das Jahr 2000 war es in Bielefeld recht ruhig um die örtlichen Burschen geworden, ein Erfolg antifaschistischer Aufklärung über die Selchow-Fans. Diese hatten im Frühjahr 1999 Veranstaltungen mit Klaus Weinschenk, dem ehemaligen Mitglied des Bundesvorstands der Republikaner (Rep), und dem Weltverschwörungsantisemiten Horst Mahler organisiert. Während Mahlers Vortrag bot ein stadtbekannter Neonazi im Burschenhaus Schriften der NPD an. Der damalige Sprecher der Burschenschaft, Marc Strothe, war der taz zufolge von der 1992 verbotenen Nationalistischen Front als Mitglied geführt worden.

Die Aufklärung über diese Aktivitäten trug im Herbst 1999 Früchte. Mehrere Referenten sagten geplante Vorträge ab, die Burschenschaft zog sich zeitweilig aus der Öffentlichkeit zurück. Seit Anfang 2004 ist sie mit Flugblatt-Aktionen und Abendveranstaltungen (u.a. mit dem ehemaligen Kommandeur der KSK, Reinhard Günzel) wieder stärker präsent, im Herbst folgte ihre Anti-Antifa-Kampagne. Über direkte Verbindungen zur extremen Rechten verfügt die Burschenschaft weiterhin. Ihr Mitglied Hendrik Stiewe war nach Informationen der Antifa West für die Internetpräsentation des Schriften- und Musikangebotes des Rechtsrockversandes H8Rock verantwortlich.

»Erst kommt mein Volk«: Das Semestermotto der Burschenschaft Normannia Nibelungen zeigt den Stellenwert völkischen Denkens in vielen Burschenschaften. »Pflicht der Burschenschaften«, heißt es in der »Verfassung« des Dachverbandes Deutsche Burschenschaft (DB), »ist das dauernde rechtsstaatliche Wirken für die freie Entfaltung deutschen Volkstums in enger Verbundenheit aller Teile des deutschen Volkes«. Mit den »Teilen« sind nicht so sehr Bayern, Schwaben und andere Dialektgruppen gemeint, sondern vielmehr »deutsche Volksgruppen«, Deutschsprachige, die im benachbarten Ausland leben.

Erst im Oktober hatten die Bielefelder Burschen einen Rechtsanwalt aus dem polnischen Wroclaw eingeladen, der vor wenigen Jahren an einem bemerkenswerten Versuch beteiligt war, das polnische »Deutschtum« enger an Deutschland anzubinden. Alexander Ilgmann von der Burschenschaft Saxo-Silesia Freiburg hatte im Herbst 2000 gemeinsam mit Ralf Frevel von der Burschenschaft Rheinfranken Marburg versucht, in Wroclaw eine Burschenschaft Silesia Breslau aufzubauen.

»Sie nimmt nur Studenten der schlesischen Universitäten auf, die sich durch Sprache, Kultur, Erziehung und Bekenntnis zum deutschen Volkstum als Deutsche auszeichnen«, hieß es in der Satzung. Doch das Projekt wurde zu einem Flop, nach und nach sprangen die Mitglieder ab.

Andere Versuche, die »Teile des deutschen Volkes« eng zu verbinden, besprach die Burschenschaft Normannia Heidelberg im Mai 2004. Sie hatte Erhard Hartung von der Burschenschaft Brixia Innsbruck eingeladen, das Vortragsthema hieß: »Der Südtiroler Freiheitskampf in den 1960er Jahren«. Hartung war seinerzeit in der völkischen Südtirol-Bewegung aktiv und hatte gemeinsam mit anderen Burschenschaftern versucht, den Anschluss norditalienischer Gebiete an Österreich durchzusetzen. Sein Mittel hierfür war Sprengstoff. Nach Ansicht eines italienischen Gerichts war er an einem Anschlag beteiligt, bei dem vier italienische Soldaten umgebracht wurden. Hartung, in Italien in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt, arbeitet zurzeit im Exil – im Universitätsklinikum der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität.

Ihr völkisches Denken bringt Burschenschaften immer wieder mit extrem rechten Organisationen in Verbindung. Jüngstes Beispiel hierfür ist die Burschenschaft Franconia Münster, der Oliver Westerwinter angehört, ein langjähriger Funktionär der Jungen Nationaldemokraten in Nordrhein-Westfalen. Unter den in der NPD aktiven Burschenschaftern hat es der sächsische Landtagsabgeordnete Jürgen W. Gansel von der Burschenschaft Dresdensia Rugia Gießen bislang am weitesten gebracht. Er beschwört in der NPD-Zeitung Deutsche Stimme bereits das »Ende des volksverachtenden BRD-Systems«.

Er knüpft damit an burschenschaftliche Traditionen der zwanziger und dreißiger Jahre an. Burschenschafter befürworteten etwa 1923 den Hitler-Ludendorff-Putsch und schrieben 1926 in ihrer Verbandszeitschrift, den Burschenschaftlichen Blättern: »Was wir wollen, ist die Herrschaft des geborenen Führers.«

Am Sturz des »Systems« arbeitete auch Bogislav von Selchow. Im März 1920 wurde er zum Leiter des Studentenkorps Marburg ernannt, das während des Kapp-Putsches die Stadt militärisch übernehmen wollte. »Die Burschenschaft Arminia sollte den Hauptbahnhof besetzen und die Straße nach Werda absperren«, berichtete Selchow später. Und dichtete: »Ich glaube an ein einiges Deutsches Volk, (…) das morgen, wenn die Krankheit vorbei, wenn die fremden Gifte, die es befallen, sich lösen, wieder sein wird, wie es gestern gewesen: stark und edel, stolz und frei.«