Zurück nach Schanghai

Kölner Bands interpretieren die Lieder der Edelweißpiraten. von christian meier-oehlke

In Köln gab es während des Nationalsozialismus viele unangepasste Jugendgruppen, die sich dem Drill der Hitlerjugend bewusst verweigerten, ohne explizit politischen Widerstand zu leisten. Innerstädtische Treffpunkte waren Parks und Plätze, später wegen der kriegsbedingten Jugendschutzverordnung auch Gaststätten. Am Wochenende dann ging es in Kluft und mit Gitarre und Mundharmonika in den Königsforst oder an den Felsensee. Es wurde gewandert, musiziert und gesungen. Ein Hauch von Freiheit und Widerspenstigkeit in trübsten Zeiten.

Natürlich waren da Konflikte mit der HJ programmiert, bisweilen kam es zu regelrechten Straßenschlachten mit den jugendlichen Nazis. Gegen Ende des Krieges verübten einige wenige Gruppen der Edelweißpiraten Sabotageakte und Anschläge auf NS-Funktionäre. Einige Jugendliche bezahlten mit ihrem Leben. So wurden im November 1944 in Köln sechs Edelweißpiraten öffentlich gehängt.

Im NS-Dokumentationszentrum im EL-DE-Haus ist derzeit die Ausstellung »Von Navajos und Edelweißpiraten – Unangepasstes Jugendverhalten in Köln 1933-1945« zu sehen, die einen Überblick über die Geschichte dieser Jugendlichen liefert. Wurden bis 1938 vor allem Navajo-Gruppen aktenkundig, organisierten sich Jugendliche ab 1941 vor allem als Edelweißpiraten. Woher genau der Begriff stammt, ist bis heute ungeklärt, vermutlich handelte es sich um einen Terminus der Gestapo. Eine feste Struktur hatten die Edelweißpiraten nicht, die einzelnen Gruppen bestanden oft aus nur wenigen Mitgliedern – Mädchen und Jungen – und hielten untereinander losen Kontakt. Wichtigste identitätsstiftende Momente waren Kleidung (betont lässig, Edelweißabzeichen!), das gemeinsame Wandern und vor allen Dingen das Singen und Musizieren. Man wird kaum ein Foto mit Edelweißpiraten finden, auf dem nicht irgendjemand eine Gitarre dabei hat. Eine unangepasste Jugendbewegung eben, deren Lieder, in denen oft ferne Länder besungen wurden, schon damals »multikulti« waren, wie Jean Jülich, ein bis heute bekennender Pirat, nicht müde wird zu betonen. Er veröffentlichte im vergangenen Jahr seine Autobiografie »Kohldampf, Knast un Kamelle«. Bereits 1984 war er vom Staat Israel als »Gerechter unter den Völkern« ausgezeichnet worden.

Dennoch interessierte sich bis vor einigen Jahren auch in Köln kaum jemand für die Geschichte dieser »lebenden Litfasssäulen des Widerstandes« (Jülich). Allenfalls ein Lied der Bläck Fööss aus dem Jahre 1983 erinnerte an das Schicksal der antifaschistischen Jugendlichen. Das will die Ausstellung ändern. Auf Initiative der Ausstellungsdesignerin Britta L.QL rückten auch die Lieder der Edelweißen, ihr wichtigstes oppositionelles Gut, und deren mögliche Neuinterpretation ins Zentrum des Interesses. Mit Jan Ü. Krauthäuser, Experte für Weltmusik und kölsche Roots, war schnell ein künstlerischer Leiter gefunden. Martin Rüther, der Macher der Ausstellung, und Rainer G. Ott komplettierten das Projektteam.

Die Quellenarbeit gestaltete sich mühsam, aber hochinteressant. Ihm seien die Lieder nicht bekannt gewesen, erzählt Krauthäuser, er habe noch nicht mal gewusst, dass die Edelweißpiraten eigene Lieder hatten. Schriftliche Zeugnisse, Liederbücher etwa, sind nur sehr wenige erhalten, die meisten Texte existieren lediglich in der Erinnerung der Beteiligten. Und diese bei Kaffee und Kuchen zu reaktivieren, war nicht immer einfach. Ein festes Repertoire an Songs gab es bei Edelweißpiraten und Navajos – anders als etwa in der Arbeiterbewegung – zudem nicht. Beliebt waren neben Schlagern und Kosakenliedern insbesondere die Fahrten- und Wanderlieder der bündischen Jugend, ferne Länder wurden gerne besungen. Eine Form deutscher Romantik.

Schließlich wurden von den beteiligten Bands 18 Stücke zur Neueinspielung ausgewählt. Die bewährten kölschen Traditionalisten mussten übrigens draußen bleiben, das Projektteam lud bewusst weniger bekannte Kölner Musiker und Musikerinnen ein. Einzige prominente Ausnahme wäre Gentleman gewesen, der, sagt Krauthäuser, aus inhaltlichen Gründen sehr interessiert gewesen sei, dann allerdings vom eigenen Erfolg an der Mitarbeit gehindert wurde und absagte. Na ja, wie hätte man auch »Wenn die Fahrtenmesser blitzen und die Hitlerjungen flitzen …« auf Patois singen sollen? Vorgaben gab es ansonsten nicht. Die einzige Bedingung war, dass die Bearbeitungen Jugendlichen den Zugang zu den historischen Liedern ermöglichen müssen.

Das Ergebnis liegt seit kurzer Zeit unter dem wunderbar verwirrenden Titel »Es war in Schanghai« vor. Neben der CD gibt es ein Buch mit hochinteressanten historischen Exkursen und einer DVD, die die Entstehungsgeschichte des Projektes dokumentiert. Die beteiligten MusikerInnen nähern sich mal sanft, mal radikal dem Material: Es gibt Cumbia mit La Papa Verde, Russisches von Tanja i Towarischi, mitreißenden Dancehall mit Mr. Carl, PathosHop mit der Microphone Mafia, elektrifiziertes Songwriting von Werle & Stankowski oder KölschHall mit Bam Bam Babylon Bajasch.

Die musikalische Modernisierung der Stücke stieß bei den beteiligten Edelweißpiraten allerdings auch auf Skepsis: Ihre Stücke könne man nicht verjazzen, so die erste Reaktion von »Mucki« Koch, eine der wenigen bekennenden weiblichen Edelweißpiraten. Auch Jean Jülich hielt manche der Neuinterpretationen für gewöhnungsbedürftig. Doch der beliebte Kneipier und Karnevalist ließ es sich natürlich nicht nehmen, die Kompilation mit »Es war in Schanghai« zu eröffnen.

Liedhistorisch ist die Auswahl ungemein interessant: »Hohe Tannen«, von Harald »Sack« Ziegler eindringlich mit Waldhorn untermalt, gilt als eine der Hymnen der Edelweißpiraten. Das Lied wurde kurzzeitig – in Ermangelung eines größeren eigenen Repertoires – von der HJ adaptiert, ehe es, mittlerweile verboten, in modifizierter Version an vielen regimekritischen Lagerfeuern zu hören war. Auch das Stück »Wilde Gesellen«, 1921 entstanden und jetzt neu interpretiert vom Menschensinfonieorchester, wurde zunächst auch von der HJ gesungen, ehe es sich – längst aus HJ-Liederbüchern getilgt – zu einem widerständischen Lied wandelte. »En der Blech« schließlich, von »Mucki« Koch, Helga und Peter Schäfer und dem Krätzchertrio SakkoKolonia mit Schmackes intoniert, ist eines der wenigen kölschen Lieder, die von den Jugendlichen gesungen wurden.

Doch mit dieser Veröffentlichung ist das Projekt noch lange nicht beendet, betont Martin Rüther. Interessierte MusikerInnen sollen eigene Interpretationen der Stücke einreichen, Ergebnisse werden auf einer speziellen Plattform im Netz abrufbar sein. Und vielleicht remixen bald schon Berliner Musiker Lieder der Edelweißpiraten – interpretiert von Kölner Bands.

www.nsdok.de

»Es war in Schanghai« (Buch, CD, DVD) ist zu beziehen über das NS-Dokumentationszentrum (Tel. 0221/22 12 63 31), Preis: 15 Euro

»Von Navajos und Edelweißpiraten«, NS-Dokumentationszentrum, Köln. Bis 20. Februar 2005