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Der Fall Enzensberger

Verlagswesen. Seit fast 20 Jahren bringt Hans Magnus Enzensberger beim Eichborn Verlag »Die Andere Bibliothek« heraus. Das Konzept lautet: Erlaubt ist, was gefällt, erlaubt ist, was Enzensberger gefällt. So manch völlig unnötiges Buch ist so entstanden, aber auch viele hübsche bibliophile Ausgaben, die freilich alle viel zu teuer waren.

Ein Erfolg gelang Enzensberger im letzten Jahr, in dem er Werke von Alexander von Humboldt, dem »Superdeutschen«, wie es im Spiegel hieß, in teuren Edelausgaben neu herausbrachte und damit einen unglaublichen Medienrummel auslöste. Von Humboldts veraltetes Weltenbürgergesülze landete in den Bestsellerlisten, und Enzensberger gilt spätestens jetzt, im Alter von 75 Jahren, nicht mehr nur als deutscher Vorzeigeintellektueller, sondern auch als Superherausgeber.

Um so härter muss es deswegen den Eichborn Verlag getroffen haben, dass Enzensberger kurz vor Weihnachten völlig unerwartet und vorerst formlos die Verträge mit dem Verlag gekündigt hat. Bis zum September 2005 will er seinen bestehenden Vertrag noch erfüllen, dann aber soll Schluss sein. Eichborn jedoch will das nicht hinnehmen und besteht darauf, dass Enzensberger auch weiterhin die »Andere Bibliothek« betreuen soll.

Gleichzeitig wird dieser jedoch schon als der Betreuer einer neuen Buchedition gehandelt, die die FAZ im nächsten Jahr herausgeben möchte. Der Name Enzensberger soll wohl garantieren, dass es die FAZ damit nicht nur einfach der erfolgreichen Buchreihe der SZ nachmachen wird, sondern dass es sich um eine superexklusive Enzensberger-Edition in Gold handeln wird. (aha)

Europas liebste Amerikanerin

Susan Sontag. Vor zwei Wochen ist Dieter Schwanitz verstorben, letzte Woche Susan Sontag. Schwanitz hat den von Pisa gebeutelten Deutschen gehörig die Leviten mit seiner »Bildung«-Verordnung gelesen, Sontag hat kaum eine Gelegenheit ausgelassen um aufzuzeigen, was in Amerika alles so schief läuft. Nicht zuletzt deswegen wurde sie nun auch in den Nachrufen hierzulande als eine von uns gewürdigt, als die gute Amerikanerin, als Europäerin im Geiste.

Sontag war schon immer Mittlerin eines transozeanischen Kulturaustausches. In ihren Aufsätzen aus den Sechzigern brachte sie den Amerikanern vor allem europäische Geistesgrößen näher, beschäftigte sich mit Sarte, Canetti, de Sade und Robert Walser. Im europaphilen New York rannte sie damit zwar offene Türen ein, erarbeitete sich aber dennoch den Ruf, eine Intellektuelle von besonderem Format zu sein. Besonders ihr Aufsatz über »Camp« sorgte für Aufsehen, und sie galt als Pop-versierte Autorin, was sie in Wahrheit aber nie war.

Später und vor allem in den letzten Jahren hatte sie in den USA zwar einen klingenden Namen, doch galt sie zunehmend als nervende Schreckschraube, die nach dem 11. September 2001 auch nicht davor zurückschreckte, die Anschläge auf das World Trade Center zu verteidigen oder zumindest nicht gänzlich zu verurteilen, und die ein wenig wie die große und schlankere Schwester von Michael Moore wirkte.

Zu diesem Zeitpunkt gewann sie dafür in Europa ein Massenpublikum für sich, und für ihr letztes Buch »Das Leiden anderer betrachten« gewann sie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Susan Sontag war auch schon früher eine politische Autorin, eine, die sich überall dort einmischen musste, wo sie dachte, dass die Meinung einer der Linken nahe stehenden Intellektuellen gefragt sein könnte. Als intellektuelle Dissidentin in der Nachfolge Sartres wurde sie dabei von manchen angesehen, während andere sie der Naivität ziehen, wobei man jedoch nicht vergessen sollte, dass auch Sartre nicht nur Geistesblitze schleuderte.

Sontag fand Castro und seine Revolution auf Kuba immer schon ganz hervorragend und konnte im real existierenden Kommunismus, wo er denn existierte, immerhin zwar ein Übel, jedoch eines mit menschlichem Antlitz erkennen.

Berühmt wurde Sontag jedoch eigentlich nicht mit ihren politischen Interventionen, sondern dann doch mit ihrem Werk, und dabei hauptsächlich mit ihren Essays aus den Sechzigern, die heute immer noch Bestand haben, obwohl man sich bei manchen schon fragt, warum das so ist. Zu den Standardtexten der Kulturwissenschaften gehört ihr kurzer Aufsatz »Against Interpretation« aus dem Jahr 1964, der mit den Worten endet: »Statt einer Hermeneutik brauchen wir eine Erotik der Kunst.« Dieser Satz, so meinte Greil Marcus später, sei einer der üblichen Sontagschen Schaumschlägersätze gewesen, und über ihr bald folgendes Buch »Über Fotografie« befand er, dass es kaum ein unerotischeres Werk voller Hermeneutik gebe wie dieses.

Greil Marcus machte auch darauf aufmerksam, dass sich Sontag eben vor allem bestens auf Selbstvermarktung verstand. »Sontag verdankt ihren Ruf als Autorin im wesentlichen ihrer Begabung, das Interesse der Medien auf sich zu lenken«, schrieb er und meinte, während weniger berühmte Intellektuelle »den Leuten Kopfschmerzen machen, macht Susan Sontag Schlagzeilen«.

Dieter Schwanitz schrieb auch Populärromane, Schund wie »Der Campus«. Auch hier tat es ihm Sontag gleich. Vier Romane hat sie geschrieben, darunter den erfolgreichen »The Vulcano Lover«, für die sie jedoch nie die Anerkennung bekam, die sie sich immer gewünscht hatte.

Als sie das erste Mal an Krebs erkrankt war, schrieb sie über diese Erfahrung das Buch »Krankheit als Metapher«. Im Alter von 71 Jahren ist sie in New York nun an einer erneuten Krebserkrankung verstorben. (aha)