Rebellion für alle

Ein neues Buch klärt über die Revolution in Chiapas auf, blickt Subcomandante Marcos aber zu wenig unter die Maske. von wolf-dieter vogel

Zwölf Tage lang sprachen die Waffen, dann kamen die Worte wieder zu ihrem Recht. Dem kurzzeitigen Aufstand des Zapatistischen Befreiungsheers EZLN im Januar 1994 folgten »intergalaktische Treffen« mit Globalisierungskritikern sowie unzählige Texte des Subcomandante Marcos. Über Jahre hinweg sorgten die Beiträge des Sprechers der EZLN dafür, dass die Guerilleros aus dem südmexikanischen Chiapas auch jenseits der solidaritätsbewegten Szene wahrgenommen werden. Die widersinnige Mischung aus identitätspolitischen Ansätzen und universalistischem Anspruch, popkultureller Eloquenz und indigener Tradition kam bei Intellektuellen aus Mexiko-Stadt ebenso an wie bei jungen Linken in Berlin. Der mexikanische Schriftsteller Carlos Fuentes sprach vom »ersten postkommunistischen Aufstand«, und Danièlle Mitterrand ließ aus Paris wissen: »Diese Menschen – unsere Brüder.«

Diese »Resonanzen« untersucht eine diskurstheoretische Studie der Journalistin und Kulturwissenschaftlerin Anne Huffschmid. Sie widmet sich der »Vielfalt der Bildsplitter«, die als »Spiegel-Effekte« der indigenen Rebellion in der Presse, unter Akademikern sowie in der globalisierungskritischen Szene entstanden sind. »Statt Identifizierung bietet der Zapatismo die Möglichkeit zur Identifikation«, analysiert die Autorin und verweist auf die Symbolik der Rebellen. Etwa auf den Revolutionshelden Emiliano Zapata, dessen Bedeutung von jeder politischen Kraft Mexikos nach eigenem Gutdünken ausgelegt wird. Oder auf die Metaphorik der Masken, mit denen sich die Zapatisten ihr Gesicht verhüllen, um im Land der dominanten Mestizenkultur endlich als Indigene gesehen zu werden. Masken spielen nicht nur für Literaten oder Historiker eine zentrale Rolle, wenn es um die Suche nach der mexikanischen Identität geht. Auch Marcos hat erklärt: »Wenn ihr wissen wollt, wer hinter der Maske steckt, dann schaut in einen Spiegel.«

Das schwarze Stück Tuch liefere also »kein zweites Gesicht«, sondern »signifikante Leere«, meint Huffschmid und resümiert: Die Indigenen schaffen einen »Stoff mit eigener Textur«, auf den die Betrachter ihre jeweils eigenen Filme projizieren. Die Herleitung liest sich spannend, die Erkenntnis dagegen ist so außergewöhnlich nicht. Jede Bewegung zeichnet sich zunächst durch eine hohe integrative Fähigkeit aus, und durch ihr widersprüchliches, selbstkritisches und unideologisches Auftreten sind die Zapatisten bis heute eher Bewegung als Partei. Ähnlich sammeln sich auch unter der Fahne der Globalisierungskritik Hunderttausende, deren einzige Gemeinsamkeit die diffuse Kritik an Phänomenen wie dem »Neoliberalismus« ist. Nicht zufällig zählt der zapatistische Aufstand zu den Gründungsdeterminanten dieser Bewegung, und zwar mit den entsprechenden Risiken und Nebenwirkungen. Die Autorin bestätigt selbst im Umkehrschluss: »Je mehr das politisch-programmatische Antlitz der Aufständischen an Konturen gewinnt, desto weniger werden sich schließlich in ihm spiegeln oder wieder erkennen.«

Huffschmid arbeitet auf der Grundlage Foucaults und anderer Diskurstheoretiker, verweigert sich aber einer Analyse, nach der es »nur noch Diskurs und nichts als Diskurs« gebe. Dennoch sieht sie die Prämissen über die Wirkungsmacht von Sprache bestätigt: Gegen »das Missverständnis vom Überbau der schönen Worte« als Gegenstück zu aller echten Politik seien die Zapatisten der leibhaftige Beleg dafür, »dass ›diskursive Praktiken‹ unter Umständen sogar lebenserhaltend sind«. Tatsächlich hindert nur der große Rückhalt der indigenen Rebellen die mexikanische Regierung daran, ihr Problem in Chiapas gewaltsam zu lösen. Das aber ist kein Novum, das mit der »zapatistischen Rede« erfunden wurde. Ohne starke Unterstützung konnte bislang kaum eine bewaffnete Bewegung überleben. Vor Ort behütet von Nichtregierungsorganisationen und Solidaritätsbewegten aus aller Welt und international selbst von französischen Sozialdemokraten gehätschelt, könnte ein militärisches Vorgehen gegen die Indigenen für jeden Präsidenten Mexikos zu einem internationalen Problem werden.

Einige der Ergebnisse der Untersuchung mögen näher liegen, als die aufwändigen diskurstheoretischen Ausführungen vermuten lassen. Dennoch liefert Huffschmids Studie dank der wissenschaftlichen Distanz der Autorin eine interessante Auseinandersetzung über Themen, die in internationalen Unterstützerkreisen mittlerweile offenbar ad acta gelegt wurden. So erinnert sie daran, dass die zapatistische Debatte immer auch eine über den Widerspruch zwischen Moderne und Tradition ist. Die Rebellen stellen in ihren Texten identitätspolitische Muster infrage und bemühen im nächsten Atemzug ethnizistisch aufgeladene Revolutionsromantik oder alte Maya-Kulte.

Ihr Sprecher Marcos arbeitet in seinen Erzählungen mit diesen Ambivalenzen. Da steht die Kunstfigur des »Alten Antonio«, eines indianischen Weisen, mitsamt seiner traditionellen indigenen Weltsicht einem mit Computerwissen ausgestatteten Käfer »Don Durito« gegenüber, dem man beinahe dekonstruktivistische Ansätze nachsagen kann. Diese Mischung, mit der die Widersprüchlichkeit der Person Marcos gebastelt wird, bewegten sogar den der Linken gegenüber äußerst kritisch eingestellten Schriftsteller Octavio Paz, die Erzählungen des Subcomandante anzuerkennen.

Was aber haben die weltweiten Resonanzen des zapatistischen Diskurses mit der Wirklichkeit im mexikanischen Südosten zu tun? Und inwieweit repräsentieren die Geschichten eines Marcos die Meinung der bei den Zapatisten organisierten Bevölkerung? Wer nur einen kleinen Einblick in den dortigen Alltag hat, weiß, dass zwischen den Erzählungen und der realen Situation noch immer Welten liegen. Während die EZLN publikumswirksam »Schwule, Lesben, Transsexuelle, Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter« zur Zusammenarbeit aufruft, fällt es an Ort und Stelle noch schwer genug, die zapatistischen Männer davon zu überzeugen, dass jede Frau selbst darüber zu entscheiden hat, ob, wann und wen sie heiratet.

Für die Autorin Huffschmid spielen solche Widersprüche in ihrer Untersuchung keine Rolle. Sie selbst weist auf die Grenzen einer diskurstheoretischen Studie hin und will vor allem herausarbeiten, warum die Maskierten aus Chiapas »im Spiegel der Rezeption« so großen Erfolg verzeichnen können. Die Binnenstrukturen der Rebellion stehen nicht zur Debatte, folgerichtig auch nicht, wie die Texte der EZLN an der eigenen Basis produziert und rezipiert werden. Marcos wird zur »multifunktionalen Autorenkonstruktion«, deren Zustandekommen nicht in Zweifel gezogen, sondern deren Existenz vorausgesetzt wird und die Grundlage der Studie ist.

Folglich sagt die Untersuchung weniger über die zapatistische Bewegung als über jene aus, die sich in ihr »spiegeln«: etwa über Intellektuelle, die wahlweise Moderne und Tradition ausschließlich bipolar denken können oder kruden antimodernistischen Thesen verfallen. Oder über solidaritätsbewegte Internationalisten, denen die Rebellen als Wiedertäufer verloren geglaubter revolutionärer Praxis dienen.

Leider hat die Autorin die Resonanzen der restlichen indigenen Bevölkerung Mexikos auf die Rebellion im Südosten nicht mit einbezogen. Denn sieht man einmal von den intergalaktischen Reflexen ab, ist der Kampf der Zapatisten ein ziemlich mexikanisch-indigener gegen Rassismus und Ausschließung sowie für »Demokratie, Gerechtigkeit und Freiheit«, wie die Aufständischen selbst ihre Ziele formulieren.

Anne Huffschmid: Diskursguerilla: Wortergreifung und Widersinn. Synchron-Verlag, Heidelberg 2004, 480 S., 44,80 Euro