Hauptsache Nebenjob

Immer mehr Abgeordnete werden als Bezieher von Nebeneinkünften enttarnt. von frank fitzner

Was mag sich ein Empfänger von Arbeitslosengeld II denken, dem gerade nahe gelegt wird, einen Ein-Euro-Job zu übernehmen, wenn er die Diskussion um die Nebenverdienste der Politiker verfolgt? Oder ein Erwerbsloser, der 400 Euro zum Arbeitslosengeld II dazu verdient, aber nur 15 Prozent davon behalten darf? Für hauptamtliche Abgeordnete hingegen gibt es keine Grenze für Nebeneinkünfte.

Manche deutschen Unternehmen beschäftigen hunderte Politiker. Bei Siemens sind es nach Konzernangaben etwa 500, bei der Volkswagen AG 100 und bei den Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerken (RWE) über 200. Abgesehen von der Frage, ob diese Angestellten bei der Wahrnehmung ihres politischen Mandats immer die nötige Unvoreingenommenheit walten lassen, sind die meisten von ihnen ehrenamtliche Kommunalpolitiker und daher auf ein Einkommen angewiesen.

Anders liegt der Fall etwa bei der Bundestagsabgeordneten Ulrike Flach, die auch Vorsitzende des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie stellvertretende nordrhein-westfälische Landesvorsitzende der FDP ist. Sie war für ein Jahresgehalt von 60 000 Euro als Übersetzerin bei Siemens angestellt. Seit Anfang des Jahres ruht dieses Arbeitsverhältnis. Flach erklärte, zuletzt nur gelegentlich und auf Anforderung von zu Hause aus tätig gewesen zu sein.

Volkswagen hat zwölf Bundes- und Landespolitiker auf der Gehaltsliste. Prominenteste Fälle sind bislang der Betriebsrat und SPD-Bundestagsabgeordnete Hans-Jürgen Uhl sowie die beiden niedersächsischen Landesparlamentarier Ingolf Viereck (zugleich ehrenamtlicher Bürgermeister von Wolfsburg) und Hans-Hermann Wendhausen, wobei die beiden zuletzt genannten Angestelltenverhältnisse seit Anfang 2005 ruhen und die Dienstwagen zurückgegeben werden mussten. Die Namen der übrigen Abgeordneten sollen, deren Einverständnis vorausgesetzt, noch im Januar veröffentlicht werden.

VW bestätigte Presseberichte, wonach eine bislang geheime Richtlinie von 1990 den Rückkehranspruch von Politikern und Vergütungsfragen regelt. Eine Besonderheit bei VW ist die 18prozentige Beteiligung des Landes Niedersachsen am Unternehmen; das Land stellt auch zwei Aufsichtsräte. Einen dieser Posten besetzt der Ministerpräsident, Christian Wulff (CDU). Bei VW gibt es auch eine Abteilung mit 24 Mitarbeitern für die offizielle Lobbyarbeit mit Außenstellen in Berlin, Brüssel und Washington. Leiter ist seit 1998 Reinhold Kopp, der unter Oskar Lafontaine saarländischer Wirtschaftsminister war und über Peter Hartz zu VW gekommen ist.

Berichte über fragwürdige Zahlungen des Energiekonzerns RWE an die nordrhein-westfälischen CDU-Landtagsabgeordneten Hermann-Josef Arentz und Laurenz Meyer haben Ende 2004 die Debatte über Nebeneinkünfte von Politikern eingeleitet. Arentz musste daraufhin seine Posten als Präsidiumsmitglied der CDU und als Vorsitzender der CDU-Sozialausschüsse aufgeben, Meyer den des Generalsekretärs der Partei.

Immer mehr Fälle von Nebenverdienst von Politikern werden seither bekannt. Die grüne Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Finanzausschusses, Christine Scheel, ist nebenbei für die Bausparkasse Schwäbisch Hall tätig. Dort arbeitet sie drei bis vier Stunden im Quartal, wofür sie monatlich 563 Euro erhält. Auch wenn sich daraus ein recht stolzer Stundensatz ergibt, liegt kein Verstoß gegen gesetzliche Bestimmungen vor.

Mittlerweile fordern Politiker von Edmund Stoiber (CSU) bis Hans-Christian Ströbele (Grüne) eine Offenlegung auch der Einkünfte, Ströbele bereits ab 300 Euro. Eine solche Anzeigepflicht besteht in vielen Ländern, wie zum Beispiel in den USA, bereits heute. In Großbritannien, wo Nebentätigkeiten von Parlamentariern weit verbreitet sind, müssen diese auf mögliche Interessenkonflikte ausdrücklich hinweisen.

Transparency International (TI), eine internationale Organisation gegen Korruption, geht noch weiter. »Abgeordnete sollten bereits vor der Wahl erklären, wie sie es mit Nebentätigkeiten halten werden«, verlangt Jochen Bäumel, Vorstandsmitglied von TI, in einem Gespräch mit der Jungle World. »Außerdem müssen fehlende oder falsche Angaben natürlich mit Sanktionen versehen werden.« Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, Volker Beck, schlägt eine Verrechnung mit den Diäten vor, wenn die Zusatzeinnahmen diese überschreiten.

Nur die FDP gibt sich auffallend zurückhaltend. Es sollten nicht nur Gewerkschafter und Beamte, sondern auch Leute aus der Wirtschaft im Parlament sitzen, variiert der Parteivorsitzende Guido Westerwelle sein Schreckensszenario einer Dominanz der Reformverhinderer aus den Gewerkschaften. Auch Bundespräsident Horst Köhler ist »eher besorgt über die zunehmend einseitige Besetzung unserer Parlamente, in denen es ein Übergewicht von Verbandsvertretern und öffentlich Bediensteten gibt«. Auch warnt er vor der pauschalen Verurteilung von Politikern, denen zu schnell und pauschal eine »Raffke-Mentalität« attestiert werde. »Die Diskussion verläuft teilweise so, dass ich die Sorge habe, sie könnte pauschal das Ansehen der Politiker herabsetzen«, meint Köhler.

Dabei sind die Politiker für diesen Ansehensverlust selbst verantwortlich. Arentz gab zu, dass er für sein Jahresgehalt von 60 000 Euro bei RWE nur anfangs eine Gegenleistung erbracht habe, später nicht mehr. Ein schlechtes Argument, denn gerade Zahlungen ohne Arbeitsleistung deuten darauf hin, dass das Wohlverhalten eines Abgeordneten möglicherweise gekauft werden sollte. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Diäten-Entscheidung von 1975 festgestellt, dass Einkünfte hauptamtlicher Politiker ohne Gegenleistung abzulehnen sind.

Arentz sagte außerdem, er sei auf sein Zusatzeinkommen angewiesen, um seine »innere Unabhängigkeit« zu wahren. Auch die CDU-Politikerin Hildegard Müller, die für ihre Nebentätigkeit von 16 bis 20 Stunden pro Woche bei der Dresdner Bank nach Medienberichten monatlich rund 2 000 Euro erhält, meint, eine Rückkehrmöglichkeit in ihren Beruf »gibt mir auch Freiheit und Unabhängigkeit«. Der Begriff der »Unabhängigkeit« wirkt in diesem Zusammenhang befremdlich. Zusätzliche finanzielle Möglichkeiten erlangen Politiker durch Nebeneinkünfte zweifelsohne, aber werden sie auch politische Entscheidungen treffen, die sich für ihre Geldgeber nachteilig auswirken könnten?

Der für Wirtschaftskriminalität zuständige Kriminalhauptkommissar Uwe Dolata, Mitherausgeber des Buches »Korruption im Wirtschaftssystem Deutschland«, sieht schon in viel unverfänglicheren Handlungen als in Geldzahlungen die Grenze zur Korruption überschritten. In einem Interview in der Zeitschrift Berliner Wirtschaft sagte er: »Wenn man eine Ehrenmitgliedschaft in einem erlesenen Golfclub angeboten bekommt, zählt man gewöhnlich zu den Spitzen der Gesellschaft. Ich selbst zähle nicht zu den oberen Zehntausend, bekomme trotzdem aber solche noblen Angebote. Das liegt dann an meinem Beruf, und das Gegenüber legt Wert darauf, dass ich mal ein Auge zudrücke. Vielleicht nicht jetzt, aber in naher oder weiter Zukunft. Vielleicht nicht direkt, aber indirekt. Man nennt dies im Fachjargon dann ›Anfüttern‹. Hier mal eine Einladung zum Spitzenkoch, dort mal zu einem rauschenden Fest – gebeten oder gefordert wird erst sehr viel später.«