Hartz auf Tschechisch

Die tschechische Regierung setzt mit der »Reform der öffentlichen Finanzen« große Einschnitte in die sozialen Sicherungssysteme durch. von milan neubert, prag

Die Sozialreform in Tschechien wird oft mit Hartz IV in Deutschland verglichen und hat von Journalisten schon den Namen »Skromach I« angehängt bekommen. Zdenek Skromach ist der Name des tschechischen Ministers für Arbeit und Sozialwesen. Er ist für die Sozialpolitik der regierenden Sozialdemokratischen Partei verantwortlich und löste Vladimir Spidla an der Spitze des Ministeriums ab. In den vergangenen Jahren hat er 14 Gesetzesvorschläge vorgelegt und durchgesetzt, unter anderem zur Novellierung der Beschäftigungsgesetze und der allgemeinen Krankenversicherung.

Derzeit wird mit seinem Namen vor allem die so genannte Reform der öffentlichen Finanzen verbunden. Diese beschönigende Bezeichnung wurde für die gewaltigen Veränderungen in den Sozialsystemen gefunden, um ihre Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen.

Die erste Phase der Finanzreform wurde bereits 2003 durchgesetzt. Das Kabinett von Spidla billigte die Erhöhung der Verbrauchssteuer, was einen Preisanstieg für Kraftstoffe, Zigaretten und Alkohol zur Folge hatte. Zudem wurde das Krankengeld gekürzt und die staatliche Unterstützung für Bausparer beschränkt. Die rechte Opposition war damit aber noch nicht zufrieden und beharrte darauf, dass die Reform keine wahre Reform sei und dem Land nicht helfen könne. Das Wort »Reform« ist seit langem eines der meistbenutzten Wörter im Vokabular der politischen Szene Tschechiens.

Der Staatshaushalt befindet sich schon seit einigen Jahren in den roten Zahlen, Tendenz steigend, auch die Zahl der Arbeitslosen erhöht sich stetig. Die Arbeitslosenrate erreichte im September 2003 zehn Prozent, ein Jahr später lag sie bereits bei knapp elf Prozent, auch wenn es nach der neuen europäischen Methode, die Arbeitslosenrate zu ermitteln, nur noch 9,5 Prozent sind. Jedenfalls sind rund 530 000 Menschen ohne Arbeit, und die Arbeitslosenrate ist die höchste in der Geschichte des Landes. Die Lage ist sogar schlechter als während der großen Weltwirtschaftskrise des vergangenen Jahrhunderts. Mit fast 25 Prozent liegt die Arbeitslosenrate im nordböhmischen Most am höchsten. Die prozentual wenigsten Arbeitslosen gibt es in Prag, dort haben 4,3 Prozent der Erwebsfähigen keine Arbeit.

Im vergangenen Jahr ging die politische Diskussion um die »Finanzreform« in die zweite Runde. Die Regierung präsentierte einen radikalen Reformentwurf zur Rentenversicherung. Als offizieller Grund für die Eile wird immer wieder auf die negative demografische Entwicklung in Tschechien verwiesen. Nach Aussage des ehemaligen sozialdemokratischen Finanzministers Jiri Rusnok sei »der Zug sowieso schon abgefahren«. Statistisch gesehen kommt derzeit ein Rentner auf 1,8 Beschäftigte, in 15 Jahren soll das Verhältnis nach allen Hochrechnungen eins zu eins sein.

Der Regierungsentwurf zur Rente orientiert sich an dem schwedischen System der beitragsbezogenen, so genannten fiktiven Pensionskonten. Das neue Rentensystem soll dieses Jahr diskutiert und im Parlament beschlossen werden, so dass es 2010 in Kraft treten kann. Kritiker befürchten, dass die Renten in Zukunft durch die veränderten Berechnungen auf 20 Prozent des Durchschnittslohns sinken könnten.

Die Regierung hat noch weitere Schritte zur Reform der Krankenversicherung vorbereitet. Skromach schlug vor, in den ersten drei Tagen der Krankheit 35 Prozent des durchschnittlichen Einkommens des Patienten auszuzahlen und in den darauf folgenden Tagen 70 Prozent. Die Regierung forderte Mitte Dezember sogar, das Geld auf 25 beziehungsweise 60 Prozent zu kürzen.

Auch zur Liberalisierung des Arbeitsmarktes sollen neue Gesetze vorgelegt werden, in denen nur noch der Rahmen, also die minimalen und maximalen gegenseitigen Anforderungen bei einer Beschäftigung, festgelegt wird. Die restlichen Bestimmungen bleiben so genannten kollektiven Verhandlungen zwischen Firmen und Gewerkschaften überlassen.

Mit der neuen Gesetzgebung soll der angebliche Missbrauch von Sozialhilfezahlungen bekämpft und ein weiterer Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindert werden. Der Vorschlag setzt vor allem auf stärkere Kontrollen durch die Arbeitsämter und den Kampf gegen die Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger, die schwarzarbeiten anstatt einer regulären Erwerbstätigkeit nachzugehen. Vor allem jugendliche Arbeitslose hat Skromach dabei im Blick. Die Arbeitsämter sollen ihnen zu Fortbildungsmaßnahmen verhelfen, bei denen sie zu einer regelmäßigen Teilnahme verpflichtet sind. Für Arbeitslose und erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger ist geplant, dass sie »soziale Tätigkeiten«, wie Straßenfegen oder Krankenpflege, verrichten.

Bei allen Vorschlägen steht das sozialliberale Kabinett von zwei Seiten unter Feuer. Die rechtskonservative Demokratische Bürgerpartei ODS kritisiert, dass alle Schritte der Regierung unzureichend seien und nur zu einer weiteren Bürokratisierung und einer Belastung der Unternehmen führen würden. Auf der anderen Seite kritisiert die kommunistische Partei, dass die »Finanzreform« vor allem zu Lasten der Lohnabhängigen gehe und die Unternehmer verschont blieben.

Hinzu kommt, dass vor fünf Jahren weniger als ein Drittel der Familien es für nötig erachtete, einen Kredit aufzunehmen, heute sind es schon zwei Drittel. Im Durchschnitt ist eine Familie inzwischen mit 3 300 Euro verschuldet. Die Verschuldung der tschechischen Haushalte beläuft sich auf elf Milliarden Euro, das sind etwa zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Verschuldung steigt stetig an.

Die Regierung plant zur Konsolidierung ihres defizitären Budgets auch deutliche Einschnitte bei der Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Skromach fordert, dass bei Ehepaaren mit zwei Kindern als Lebensminimum nur noch mit monatlich 266 Euro gerechnet werden soll, anstatt wie bisher mit 366 Euro. Bei Arbeitslosen soll das Geld auf 91 Euro pro Monat gekürzt werden. Doch kritische Fragen werden nicht öffentlich ausgesprochen. Es existiert fast keine gesellschaftliche Diskussion über die einschneidenden Reformen in Tschechien. Proteste sind ebenfalls nicht wahrnehmbar.