Soziale ohne Bewegung

Das vorläufige Programm der »Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit« kennzeichnet eine Gewerkschaftspartei ohne Gewerkschaften. von georg fülberth

Kurz vor dem nächsten Schritt in ihrem Gründungsprozess hat die »Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit« (WASG) den Entwurf ihres »Gründungs-Parteiprogramms« zur Besichtigung im Internet freigegeben. Am 22. Januar wird er vom Länderrat der Organisation diskutiert und soll dann als »Gründungsprogramm« beschlossen werden. Die endgültige Verabschiedung soll auf einer Bundesdelegiertenkonferenz Anfang Mai erfolgen.

Einige Besonderheiten dieser zukünftigen Partei zeichnen sich in diesem Prozess schon ab: eine straffe Organisation, Vorgaben von oben nach unten, Diskussion und Beschlussfassung. So ähnlich erfolgen Mobilisierungen in der IG Metall. Tatsächlich bilden Erste Bevollmächtigte der Gewerkschaft in Franken eine der beiden Führungsgruppen.

Die andere war dagegen offenbar ausschlaggebend für den Inhalt des Entwurfs. Das sind diejenigen Mitglieder der »Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik« (»Memorandum-Gruppe«), die zugleich die Gründung der WASG vorantreiben. Axel Troost, der Koordinator der Programmkommission, gehört dazu.

Die Memoranden werden seit 1975 als Gegentexte zu den Gutachten des »Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung« erarbeitet. Sie sind eine verdienstvolle Angelegenheit, denn sie fordern die Neoliberalen heraus.

Jetzt suchen einige Mitglieder der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik also eine eigene Partei. Da man manchmal alles selber machen muss, gründen sie sie und bringen die programmatische Plattform gleich mit. Sie ist ein Kondensat ihrer Vorschläge aus den vergangenen Jahren, allerdings fokussiert als Antwort auf die Vorlagen, die die herrschende Politik ihnen zugespielt hat: Hartz IV, die Riester-Rente und Ulla Schmidts Teilprivatisierung der Gesundheitsversorgung, den Abbau staatlicher Leistungen, kombiniert mit Steuersenkungen. So ist das Dokument in seinen stärksten Teilen weniger ein wirtschafts- oder gar gesellschaftspolitisches als ein sozial- und fiskalpolitisches Programm.

Eine gewisse Mäßigung, die die Memorandumgruppe in den 30 Jahren ihres Bestehens an sich selbst vorgenommen hat, wirkt sich auch hier aus. Ursprünglich waren deren Vorschläge ein Mix aus Marxismus und Keynesianismus. Nur der Keynesianismus ist jetzt noch übrig. Bis etwa 1990 wurde die Vergesellschaftung der wichtigsten Produktionsmittel zumindest als Fernziel von der Gruppe angepeilt. Danach verschwand diese Perspektive und fehlt auch im Programmentwurf der WASG – was vermutlich auch nicht anders wäre, wenn es sich um ein Grundsatz- und nicht um ein Aktionsprogramm handelte.

Der zentrale Gedanke der wirtschafts- und fiskalpolitischen Vorschläge ist folgender: Nicht zu viel, sondern zu wenig geben die sozialen Sicherungssysteme und der Staat gegenwärtig aus. Das kann auch gar nicht anders sein, denn ihre Einnahmen sind dürftig. Also sollten die Steuern nicht weiter vermindert, sondern für Unternehmen und große Vermögen sogar erhöht werden.

Dem Entwurf zufolge lassen sich die Renten-, Kranken- und Pflegekassen durch eine Bürgerversicherung mit Umverteilungseffekt sanieren. Alle zahlen ein, auch die Selbständigen, die Beamten und die Bezieher von Dividenden, Zinsen sowie Mieten, und zwar proportional zu ihren Einkommen. Ausgezahlt wird nach Bedarf. Der Staat, der über höhere Einnahmen verfügen würde, könnte in den Sozialbereich und die Infrastruktur investieren. Ein so genannter Multiplikatoreffekt entstünde: Jeder Euro, den die öffentliche Hand ausgibt, lockt ein Vielfaches an privaten Mitteln hervor. Die erhöhte Nachfrage schafft neue Arbeitsplätze.

Das alles würde sich wie die altbekannte keynesianische Litanei lesen, würden die Vorschläge nicht ziemlich detailliert vorgetragen. Die Abschaffung des Ehegattensplittings fehlt ebenso wenig wie die Wiedereinführung der Vermögens- und die Reform der Erbschaftssteuer.

Als Fiskal- und Sozialprogramm ist der Text also ziemlich gut.

Deutlich schwächer sind die Abschnitte jenseits dieses Kernbereichs, etwa da, wo es um Geschlechterdemokratie, Einwanderung, Bildung und Wissen oder Ökologie geht. Was da steht, ist nicht falsch, findet sich aber ganz ähnlich in den Programmen der Grünen und der PDS. Das gilt auch für die Ausführungen zu den Themen internationale Beziehungen und Europa. Eine Ausnahme bilden die Vorschläge für eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung, für eine Reform der internationalen Organisationen und für ein »solidarisches, soziales und demokratisches Europa«, die mit plausiblen ökonomischen Forderungen (Kapitalverkehrskontrollen, Tobin-Steuern, Re-Regulierung der internationalen Finanzmärkte) unterlegt sind. Die spürbare Nähe zu Attac liegt wohl in der gemeinsamen Quelle: Jörg Huffschmids Buch »Zur politischen Ökonomie der Finanzmärkte«.

Heiße Luft wird allerdings auch gepustet, zum Beispiel heißt es: »Die Dominanz einzelner Staaten lehnen wir ab.« Welcher vernünftige Linke will das nicht? Noch ein Beispiel: »Wir wollen mehr Demokratie wagen.« Hier zeigt sich die Lebenslüge einiger ehemaliger Sozialdemokraten in der WASG, die glauben, dass unter Willy Brandt die Welt noch in Ordnung war. Wie gern hätte man es, dass der Satz nicht von dem tapferen Günter Gaus in die Regierungserklärung von 1969 hineingeschrieben worden wäre, sondern, sagen wir mal, vom Hartz IV-Dichter Günter Grass. Bislang ist es wohl nur dem Gießener Juristen Helmut Ridder aufgefallen, dass dieser Spruch obrigkeitsstaatlich ist. Nur für eine Regierung kann es ein Risiko sein, mehr Demokratie zuzulassen. Eine linke Bewegung aber sollte den Anspruch haben, mehr Demokratie erkämpfen zu wollen.

Alles in allem handelt es sich um das Programm einer Gewerkschaftspartei, nur ohne Gewerkschaften. Die wenigen pensionierten Funktionäre und noch aktiven Bevollmächtigten der IG Metall in ihren Reihen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die großen Vorsitzenden Manfred Sommer (DGB), Frank Bsirske (Verdi) und Jürgen Peters (IG Metall) weiterhin regierungsfromm sind und die WASG keineswegs im gleichen Maße wächst, wie die DGB-Organisationen schrumpfen. Dies ist aber nur eines von drei taktischen Problemen, die die neue Partei hat.

Das zweite besteht darin, dass ihre Forderungen nur durch eine selbstbewusste soziale Bewegung durchgesetzt werden könnten, die jedoch nicht vorhanden ist. Als im vorigen Sommer gegen Hartz IV demonstriert wurde, sah man von der WASG wenig. Einer ihrer Funktionäre erzählte in einem Interview treuherzig, man sei eben sehr mit dem Organisationsaufbau beschäftigt gewesen. Und jetzt ist die Welle, auf der man dennoch reiten will, wieder vorbei. Dennoch nennt sie die WASG selbst »eine neue soziale Kraft«.

Das dritte Manko ist das ungeklärte Verhältnis zur PDS. Vielleicht sollte darüber auch etwas im Programm stehen. Schon das Kommunistische Manifest von 1847/48 enthält ausführliche Bemerkungen zum Verhältnis dieser Organisation zu anderen Oppositionskräften.

Aber man sollte auch nicht zu anspruchsvoll sein.