Natur und Herrschaft

Für den Versuch der Emanzipation muss auch das gesellschaftliche Verhältnis zur Natur bedacht werden. von david kaeß

In der Debatte, wie und auf welche Weise die Menschen einen Schritt weiter in Richtung des »Club freier Menschen« (Karl Marx) gelangen können, bleibt ein Aspekt in den meisten Fällen außen vor: die Natur und das Gesellschaftsverhältnis oder genauer die Herrschaft im Naturverhältnis. Dabei ist dieser Aspekt ein ziemlich grundlegender, und eine Kritik an diesem Verhältnis ist mehr als angebracht. Die Menschen müssen den Versuch unternehmen, sich von Herrschaftsverhältnissen zu emanzipieren, und hierfür muss auch der Blick auf die Naturverhältnisse gerichtet werden.

Zwar spricht Ferdinand Muggenthaler in seinem Beitrag (Jungle World, 52/04) den Aspekt Natur an, was recht lobenswert erscheint, aber sein Fazit ist mit dem Begriff einer kritischen Theorie der Gesellschaft nicht vereinbar. Mit dem Hinweis, »sich lieber in der Science Fiction« zu bedienen »als im Mittelalter«, verfällt er genau in das Schema der Logik der Naturbeherrschung, welches Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in der »Dialektik der Aufklärung« kritisiert haben. Sie erteilen darin der Fortschrittsutopie der Moderne eine klare Absage und analysieren den Herrschaftsbegriff als einen Teil des Naturbegriffs.

Horkheimer und Adorno betonen zwar ausdrücklich, dass der Begriff der Gesellschaft als solcher nicht unter dem Begriff der Natur zu fassen ist. Die Differenzen zwischen Natur und Gesellschaft werden aber trotzdem als wesentliche Bestimmung aufeinander bezogen. Sie kritisieren das Bild des gesellschaftlichen Fortschritts, das mit der technischen Verfügung, also der Ausbeutung, der Beherrschung der Natur, einhergeht.

Naturbeherrschung bedeutet in diesem Falle nicht die Transformation oder die Aneignung von Natur durch den Menschen, sondern die gesellschaftliche Sicht auf die Natur. Das Verhältnis von Gesellschaft und Natur beruht auf einer Projektion der Herrschaftsverhältnisse, die den historischen Klassen- und Geschlechterverhältnissen zu Grunde liegt.

Die Natur erscheint so als beliebig verfügbarer Stoff, mit dem es keine wechselseitige und schon gar keine abhängige Beziehung gibt. Diese Sicht verweist im Grunde genommen auf ein deformiertes Selbst. Mit der dialektischen Bestimmung des Verhältnisses von Herr und Knecht (nach Hegel) lässt sich auch das Verhältnis von Gesellschaft und Natur beschreiben. Beide Seiten weisen ein Merkmal von Selbständigkeit und Abhängigkeit auf. Das Verhältnis zur Natur wird durch die sozialen Herrschaftsverhältnisse geprägt, und gesellschaftliche Herrschaft reproduziert sich wiederum durch das Verhältnis zur Natur.

Das Naturverständnis der modernen Gesellschaft ist ein technisch-funktionales. Horkheimer und Adorno kritisieren deshalb nicht eine verselbständigte oder sogar ausufernde Technik, sondern das soziale Verhältnis, das auf einen bestimmten Umgang mit Technik aufgebaut ist. Der Zwang zum »Stoffwechselprozess mit der Natur« (Marx) wird von den beiden nicht geleugnet. Sie kritisieren das konstruierte Naturgesetz von der angeblich notwendigen Steigerung dieses Zwangs: den so genannten Fortschrittsoptimismus, der die Notwendigkeit des Ausbaus der Technik als Freiheit darstellt und so die Freiheit dem Naturverhältnis gegenüberstellt. Auf diese Weise erscheint die Natur als abstraktes Gebilde, nicht mehr als Lebensgrundlage, sondern als Stoff zur Ausbeutung. Die Freiheit der Menschen und die Freiheit zur Wahl der Produktionsbedingungen, also ob etwa für den Profit oder den Bedarf produziert wird, sind aber als abstrakte Gegenüberstellung von Natur und Gesellschaft nur schlecht zu denken.

Die Natur kann infolgedessen auch kein Maßstab sein, der das Handeln der Menschen bestimmt, wie die Ökologiebewegung immer wieder fordert, da es sich um eine gesellschaftlich geschaffene Projektion handelt. Der gesellschaftliche Naturbegriff erscheint in dieser Projektion dann entweder als negativ – als bedrohliches Gesetz vom Fressen und Gefressen werden – oder als positiv – als ein harmonisches Gleichgewicht. Horkheimer und Adorno üben Kritik an diesen Projektionen, die ihrer Meinung nach seit über 500 Jahren auf der Welt verbreitet werden. Die Wahlmöglichkeiten zwischen Beherrschung der Natur einerseits und Unterwerfung unter die Natur andererseits sind »falsche Alternativen«, wie Christoph Görg in »Regulation der Naturverhältnisse« schreibt.

Die Beherrschung der Natur lässt sich etwa im Effizienzgedanken ausmachen. Dieser versucht, das Umweltproblem mit einer wissenschaftlich-technokratischen Lösung in den Griff zu bekommen, indem der Ressourcenverbrauch durch ständigen Ausbau der Technik vermindert werden soll. Die Natur wird so in die Schranken gewiesen und ihrer Qualitäten beraubt.

Auf der anderen Seite wird versucht, sich der Natur unterzuordnen. Dies geschieht einmal durch die Forderung nach autoritärer Herrschaft, die die Menschen zum Konsumverzicht zwingen soll, andererseits etwa durch den freiwilligen Appell so genannter SubsistenzbäuerInnen, die meinen, das »Reich der Freiheit« (Marx) nur ohne Konsum und durch Selbstversorgung erreichen zu können.

Diese »falschen Alternativen« sind der Inbegriff von naturbeherrschendem Denken. Die Autoren der »Dialektik der Aufklärung« kritisieren diese Alternativen nicht nur, wenn es um die Frage der Natur geht, sondern bezeichnen sie als das »Wesen der Herrschaft« im Allgemeinen. Bei der Betrachtung dieser scheinbaren Alternativen handelt es sich genau um die beiden Optionen, die in dem oben genannten Beitrag von Muggenthaler zur Wahl gestellt worden sind.

Des weiteren ist die Frage nach den Bedürfnissen zu stellen. Müssen wir eine größere Naturbeherrschung oder eine Unterwerfung fordern, um weiterhin unsere Bedürfnisse befriedigen zu können, ohne dabei die natürlichen Lebensgrundlagen zu gefährden?

So wird etwa allenthalben die Forderung nach »Reichtum für alle« erhoben, ohne sich ernsthaft mit dem Begriff des Reichtums auseinanderzusetzen. Reichtum oder das Bedürfnis danach wird nur als materielle Anhäufung von Dingen gesehen. Die Anhäufung von Waren ist zwar ein Gegenstand der Kritik, jedoch nicht die enorme Ansammlung von Gebrauchsgegenständen.

Schon Marx hat das Bedürfnis nach Reichtum nicht als bloßes materielles bestimmt. Für ihn galt, dass die Bedürfnisse »aus der Gesellschaft« entspringen und die Bedürfnisse in einer freien Gesellschaft mit Sicherheit anders aussehen werden als die heutigen im Kapitalverhältnis. Denn was der Mensch braucht, ist nach Marx »Zeit zur Befriedigung geistiger und sozialer Bedürfnisse«.

Auch Erich Fromm erörterte das Problem dieses »subjektiven ökonomischen Motivs« in seinem frühen Aufsatz über »Methode und Aufgabe einer Analytischen Sozialpsychologie: Bemerkungen über Psychoanalyse und historischem Materialismus«. Dort legt er dar, dass »das Streben nach materiellem Reichtum«, worin viele, auch gewisse marxistischen Autoren, die die Grundbegriffe von Marx falsch verstanden hätten, »das dominierende Motiv menschlichen Verhaltens sahen«, tatsächlich nur eine Besonderheit bestimmter, ökonomisch bedingter, »Persönlichkeitszüge« sei, wie er in der »Furcht vor der Freiheit« schreibt.

Nach der Analyse des Warenfetischs von Marx beziehen sich die Menschen aufeinander als Waren. Sie befinden sich selbst in einer Warenform, und wie bei anderen Waren auch ist es der Markt, der über den Wert der menschlichen Eigenschaften, ja sogar über deren Existenz entscheidet. Hinzu kommt, dass die Menschen für sich selbst, also individualistisch, arbeiten und nicht in Zusammenarbeit mit anderen. Sie sind trotzdem aufeinander angewiesen und treten auf dem Markt, um zu kaufen und zu verkaufen, in wirtschaftliche Beziehungen. Diese sind aber immer Mittel zum Zweck und niemals Selbstzweck.

Dieser »Warencharakter« (Adorno) ist der Auslöser für die Unmündigkeit der bürgerlichen Subjekte. Das Unterbewusstsein – kommen wir zu Freuds Psychoanalyse – reagiert darauf. Aufgrund von gesellschaftlichem Druck, der es erfordert, dass man sich zur Ware macht, wenn man überleben will, werden die Triebregungen zur freien Entfaltung sublimiert. D.h. sie werden zur Grundlage der menschlichen Kultur. Da das Unterbewusstsein eine Abneigung dagegen hervorbringt, entsteht eine Reaktionsbildung als Fluchtmechanismus. Das Ich reagiert sozusagen zur Abwehr mit einem Reflex, der die eigentliche Feindseligkeit gegenüber dem eigenen Dasein als Warenform in ihr Gegenteil verkehrt. Das Ich versucht, seine nicht befriedigten Triebe durch den Konsum von Waren zu befriedigen, was nicht lange vorhält; der Befriedigungsversuch beginnt von neuem. Dies scheint der ausschlaggebende Faktor für das passive Konsumentenverhalten der bürgerlichen Warenmonaden zu sein.

Für eine konsequente Kritik am Waren produzierenden System sollte auch eine Kritik an der konsumorientierten Haltung geübt werden. Sie geht als logisches Ergebnis aus der Kritik der Naturbeherrschung hervor. Eine dialektische Analyse der »falschen Alternativen« ist nötig. Solange sie nicht vorgenommen wird, schlagen alle Versuche in Richtung eines freien Zusammenschlusses von Menschen fehl, egal ob sie nun als Emanzipation bezeichnet werden oder doch eher als »Widerruf der freiwilligen Knechtschaft«, wie Stefan Ripplinger (Jungle World, 49/04) meint. Max Horkheimer schrieb in seiner »Kritik der instrumentellen Vernunft«: »Naturbeherrschung schließt Menschenbeherrschung ein. Jedes Subjekt hat nicht nur an der Unterjochung der äußeren Natur, der menschlichen und der nichtmenschlichen, teilzunehmen, sondern muss, um das zu leisten, die Natur in sich selbst unterjochen.«

Der Mensch ist der Natur fremd und bleibt ihr dennoch verhaftet. Die Natur ist die eigenständige Bedingung des Menschen, und nur durch ihre Anerkennung kann der Versuch der eigenständigen Selbstverwirklichung nicht zum Fundament seiner eigenen Selbstzerstörung werden.