Westlich von Lüdenscheid-Süd

Die Schalker Art der Kindererziehung ist rundum blau-weiß. von lutz steinbrück

Manchmal knallt Peter einfach den Hörer auf die Gabel. Meistens dann, wenn der Name der »verbotenen Stadt« fällt. Ihn damit zu ärgern, ist eigentlich strengstens verboten. Denn Peter ist Schalke-Fan, und er nimmt seinen Job als Königsblauer ernst. Die verbotene Stadt liegt natürlich im östlichen Ruhrgebiet, und der dazugehörige Klub spielt in den Farben einer Wespe. Die netteste Bezeichnung für die Stadt lautet »Lüdenscheid-Süd«.

Peter (37) lebt mit seiner Familie im niederrheinischen Kleve. Er ist waschechter Westfale und schwärmt von Kindesbeinen an für den anderen großen Club aus Westfalen, für den FC Schalke 04. Seine Partnerin Birgit ist ebenfalls Westfälin, und die gemeinsame Tochter Lea (6) hatte in Sachen Fußball nur die Wahl zwischen Schalke, Schalke und Schalke. Das erste Foto zeigt sie in königsblau geringeltem S 04-Strampelanzug, mit Schalke-Babymützchen und Schalke-Söckchen. Ein Anblick, der an den Film »Fußball ist unser Leben« erinnert, in dem der fußballnärrische Vater aus Gelsenkirchen seinem Säugling das erste Wort beibringen will. Es lautet nicht »Mama« oder »Papa«, sondern: »Sach’ ma Schalke!«

Lea wurde, erzählt ihr Vater, an einen Samstag geboren. »Ich habe den Strampler am Dienstag danach direkt im Parkstadion gekauft und hab’ ihn in der Kurve stolz wie Oskar herumgezeigt«, schwärmt Peter.

Alles im grünen, will sagen, im blauen Bereich, auch bei Peter zu Hause. Kein Wunder, beim gelernten Erzieher und studierten Sonderpädagogen steht fußballtechnisch Schalke 04 auf dem Lehrplan. Ihre ersten Lektionen hat Lea längst hinter sich. Kürzlich gab es bei Peter das Uefa-Cup-Spiel Schalke gegen Ferencvaros Budapest zu sehen. Peter und Lea saßen mit Trikot, Mütze und Fahne vorm Fernseher und gaben ihren Jungens verbalen Zunder. Ertönt aus dem Chefsessel der »Schalke«-Schlachtruf, antwortet Lea laut mit »Nullvier«. Fast wie im Stadion also. Mit zwei war Lea zum ersten Mal live dabei – damals noch im Parkstadion gegen Hansa Rostock.

Im Kindergarten hat sie sich mal mit einem Altersgenossen angelegt, der im falschen Trikot aufgelaufen war. Er war halt ein »Lüdenscheider BVB-Asi«, sagt sie. Aber eigentlich ist sie ein sympathisches Kind. In ihrer Schulklasse sind ausgewiesene Schalke-Zwillinge. Mit den beiden zelebriert Lea beim Aufwärmen für den Sportunterricht ein ganz besonderes Ritual: Sie ruft dann »Hey, Hey«, und die Jungs geben den Refrain: »Wer nicht hüpft, der ist Borusse …«

Hier am Niederrhein lauert der Feind überall. »Gladbach und ›Lüdenscheid-Süd‹ gibt es hier viele«, weiß Peter. Da muss man wissen, wohin man gehört. Glück, dass die Kurze einen hat, der genau weiß, wo der Fußball im Kohlenpott rollt: auf der Arena nämlich. Was mal passiert, wenn sie sich mit 15 in einen »Lüdenscheider« verknallt, hat der Papa sich auch schon ausgemalt: »Dann ziehe ich dem das Trikot aus und schleppe ihn in die Arena. Dort kann er sich das dann überlegen: Zeckenhemd oder Tochter.« Bleibt zu hoffen, dass Lea es gar nicht erst so weit kommen lässt. Auch jemand vom ortsansässigen St. Pauli-Fanclub, dem Peter zufolge ausschließlich die Zivis der lokalen Pflegeeinrichtung angehören, wäre wohl nicht in seinem Sinne.

Dagegen hat Leas Mutter Birgit mit dem Fußball herzlich wenig am Hut. Sie kümmert sich nicht um die Animositäten verfeindeter Anhänger und fanpolitisch korrekte Einstellungen. Wie Schalke spielt, ist ihr ziemlich Wurst, und ein Besuch der Arena auf Schalke reizt sie nicht sonderlich. Vor dem Fernseher lässt sie Kind und Mann in aller Ruhe gewähren.

Der hat noch einiges vor in diesem Jahr. »Sollte Schalke einen Spieltag vor Schluss noch Meister werden können, dann gehen mein Kumpel Achim und ich von Kleve nach Schalke zum letzten Spiel.« Dabei fest eingeplant ist ein Bekannter, der sie mit dem Auto begleitet und ihnen feste und flüssige Verpflegung reicht. Übernachten wollen die beiden in Hotels oder Gaststätten, die auf der Strecke liegen. Außerdem will ein Journalist der Rheinischen Post diesen Fan-Werbezug in eigener Sache dokumentieren. Lea allerdings muss zu Hause bleiben.

Die Tour in die Tat umzusetzen, hält Peter für realistisch: »Alles ist möglich. Irgendwann spielen nicht mehr alle für die Bayern. Und wenn wir es nicht schaffen, dann bitte nicht München.« Wie es sich anfühlt, den Titel zu holen, ist jedem Fan des »Meisters der Herzen« des Jahres 2001 noch in bitterer, ja traumatischer Erinnerung. Bis kurz vor dem Abpfiff der Saison durften sich die Schalker als Meister fühlen – bis der Bayern-Stopper Patrik Andersson in der Nachspielzeit per Freistoß ein Tor erzielte. Bayern holte den nötigen Punkt beim HSV, und Rudi Assauer musste sein großes Ziel vertagen.

Ob es denn demnächst mal das viele Geld richtet, das der ehrgeizige Manager »auf Pump« in die Millionentruppe investiert, bleibt abzuwarten. Mit Patrick Owomoyela und Fabian Ernst haben sich die Schalker zwei weitere viel versprechende Spieler geangelt. Das weckt Neid in der Branche: Kürzlich rumorte Bayern-Manager Uli Hoeneß in bekannt humorfreier Manier böse Töne in den blau-weißen Napf der freigebigen Glückseligkeit: »Der Unterschied zwischen Bayern und Dortmund war der: Die Dortmunder sind in der Bank links in die Kreditabteilung gegangen, und wir rechts in die Festgeldabteilung. Das ist bei Schalke auch der Fall. Wenn das so bleibt, werden sie auf Dauer keine Chance haben.« Assauer reagierte gelassen auf die Verbalattacken des Wurstfabrikanten und freut sich darüber, »dass Uli sich Gedanken über Schalke macht«.

Peters Lieblingsspieler ist Ebbe Sand. »Der rackert auf dem Platz, und es tut nicht weh, ihm bei Interviews zuzuhören«, lobt er den dänischen Stürmer, der auch Leas Favorit ist. Manchmal wird aber sogar dem Dauerkartenbesitzer Peter das Drumherum zu viel. »Nie wieder fahre ich mit der Mitfahrzentrale in die Arena«, stöhnt er. »Der Fahrer hatte so was von keine Ahnung vom Weg. Und hinten saß ein vollkommen nerviges Pärchen. Der Typ quatschte die ganze Zeit über Oralsex und Ananas, und seine Freundin saß kichernd daneben.« Wortlos trank er sein »Pilsken« und bekam sein für solche Fälle übliches »Bälleken«.

Fährt er selber, ist er zumindest pünktlich, wenn auch der Bier-Nachschub reglementiert ist. Grund zur Freude ist immer da. Passiert nix auf dem Feld, liefern sich die Schalker eben verbale Duelle mit den angereisten Gästefans: »Es ist geil, wenn die glauben, sie könnten uns mit dem Spruch ›Ruhrpottkanaken‹ provozieren«, grinst Peter. Dann steht nämlich das ganze Stadion auf und singt voller Inbrunst: »Ruhrpottkanaken, wir sind die Ruhrpottkanaken.«

Lea ist öfter dabei und wird fleißig angelernt – in Theorie und ab und zu auch bei Heimspielen in der Praxis. Stolz ist sie auf ihre Schalke-Mütze: »Da sind Unterschriften drauf von alten Schalkern«, erklärt sie. Mit Peter war sie mal bei der prominenten Elf, in der Norbert Nigbur, »Tanne« Fichtel, die Kremers Brothers und Flankengott Rüdiger Abramczik kicken. Die kommen dann auch mal an den Niederrhein für den guten Zweck.

Manchmal sind Peter die »Oldies« lieber als die aktuellen Größen, die kürzlich beim Gastspiel in Kleve nicht über ein 1:1 gegen den heimischen Oberligisten 1. FC hinauskamen. Sven Vermant ist in seinen Augen ein »belgischer Pommes-Verkäufer«, und auch Frank Rost und Christian Poulsen patzen ihm zu oft. Gut, dass im Moment alles in Butter ist. Mit Trainer Ralf Rangnick ist Königsblau auf der Erfolgsspur: weiter im Uefa-Cup und – viel wichtiger – ein Sieg in Lüdenscheid-Süd.