Die Zeit läuft davon

In Genua hat der Vorprozess gegen die Folterer der Bolzaneto-Kaserne angefangen. Die meisten Straftaten könnten jedoch bald verjähren. von jens herrmann, genua

Die 255 Demonstranten, die vor dreieinhalb Jahren nach den Protesten gegen den G 8-Gipfel in der Polizeikaserne von Genua-Bolzaneto inhaftiert wurden, berichteten von Schlägen, Folterungen und Erniedrigungen. Schwere körperliche Misshandlungen waren dabei nicht die einzige Foltermethode: Die Insassen berichteten, sie seien dazu gezwungen worden, faschistische Lieder zu singen und Sprüche wie »Der Duce ist groß« oder »Es lebe Pinochet« aufzusagen. Und nicht nur die Polizisten haben sich an den Folterungen beteiligt, sondern offenbar auch das medizinische Personal des Gefängnisses, wie der Arzt Giacomo Toccafondi, der Verletzte mit einem Knüppel bedroht haben soll.

Der Prozess ist der größte im Zusammenhang mit den G 8-Protesten, und der schwierigste auch, denn das italienische Recht kennt Folter immer noch nicht als Straftatbestand. Über 150 Demonstranten, die in Bolzaneto inhaftiert waren, haben zum Prozessauftakt eine Nebenklage gegen 42 PolizistInnen und fünf MedizinerInnen eingereicht. Doch die Zeit läuft den Anklägern davon, denn für die meisten Straftaten beträgt die Verjährungsfrist siebeneinhalb Jahre, davon sind bis heute bereits dreieinhalb verstrichen. Filippo Guiglia, Anwalt des Genova Legal Forum, das betroffene Demonstranten vertritt, hofft jedoch, dass es zu einer Verurteilung kommen wird: »Ich nehme an, dass dieser Richter sehr zügig vorangehen wird. Zwei Monate wird der Vorprozess jedoch mindestens dauern.«

Die Lage für die AnklägerInnen könnte sich zudem verschlechtern, wenn eine Gesetzesinitiative der Regierung Berlusconi zur Verkürzung der Verjährungszeiten noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet würde. Ein Abschluss des Prozesses in den in diesem Fall vorgesehenen fünf Jahren bis zur Verjährung erscheint eher unrealistisch.

Auch die zehnköpfige Genueser Unterstützergruppe des Legal Team hat alle Hände voll zu tun. Neben der Anklage im Bolzaneto-Prozess unterstützen sie die Verteidigung eines weiteren Prozesses gegen 25 italienische Demonstranten, die seit Mai 2004 wegen »Plünderung und Verwüstung« vor Gericht stehen. Bei einer Verurteilung drohen ihnen acht bis 15 Jahre Haft. »Wir haben es an vielen Stellen geschafft, das Bild des Staatsanwalts zu widerlegen« sagt Blicero, Aktivist von Indymedia und Helfer des Legal Team. Mit einem Urteil rechnet er erst in etwa eineinhalb Jahren. So bleibt der größte Verhandlungssaal des Genueser Gerichts auf absehbare Zeit belegt.

Ab April dürfte es gar eng werden, wenn zusätzlich die Hauptverhandlung gegen 29 hochrangige Polizeioffiziere wegen des Überfalls auf die Diaz-Schule beginnt. Mitte Dezember wurde der Vorprozess abgeschlossen (Jungle World, 53/04). Die Richterin ließ sich dabei offenbar auch nicht davon beeindrucken, dass der ehemalige Justizminister, der Anwalt Alfredo Biondi, als Verteidiger einiger Polizisten auftrat, und nahm die Anklage in vollem Umfang an. Die Regierung Berlusconi stellte sich unmissverständlich hinter ihre Polizeioffiziere: Innenminister Giuseppe Pisanu verkündete nach dem Urteil eilig, keiner der angeklagten Polizisten werde vom Dienst suspendiert. Im Gegenteil, viele von ihnen sind seit Genua befördert worden. Auch im Bolzaneto-Prozess vertritt Biondis Kanzlei mehrere angeklagte Polizisten.

Die Unterstützung des Legal Team ist in allen Prozessen eine unersetzbare Hilfe für die Verteidigung: Ohne seine Arbeit könnten 350 Stunden Videomaterial, über 5 000 Bilder sowie die umfangreichen Prozessakten nicht bewältigt werden.

Ob die Arbeit des Legal Team aufrechterhalten werden kann, hängt vor allem von finanzieller und personeller Unterstützung ab. Um diese ist es in Italien derzeit jedoch nicht besonders gut bestellt.