Mal eben ausgebürgert

Die Bundesregierung wollte einst die doppelte Staatsbürgerschaft ermöglichen. Doch die Reform sorgt dafür, dass Eingebürgerte ihre deutsche Staatsangehörigkeit wieder verlieren können. von deniz yücel

Als echte Deutsche gelten die Kanaken, denen in den letzten Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen wurde, nur bedingt. Da wird Fereshta Ludin von Alice Schwarzer mal eben zur »Passdeutschen« erklärt, die Hamburger Polizei kündigte an, in der Kriminalitätsstatistik künftig neben der Staatsbürgerschaft auch die ethnische Zugehörigkeit von Straftätern zu erfassen, und der Innenminister von Brandenburg, Jörg Schönbohm (CDU), nutzt die Ermordung des niederländischen Filmemachers Theo van Gogh dazu, die Ausbürgerung von »Hass- und Gewaltpredigern« zu verlangen.

Für mindestens 48 000 Deutsch-Türken ist dieser Sachverhalt auf eine andere Art von Bedeutung. So hoch beziffert das türkische Außenministerium die Zahl derer, die nach dem 1. Januar 2000 wieder die türkische Staatsangehörigkeit erworben und infolgedessen ihre zuvor erlangte deutsche verloren haben. Türkische Medien sprechen sogar von 100 000 Fällen. Vor dem gleichen Problem stehen auch russische Aussiedler, die sich zwischenzeitlich die russische Staatsbürgerschaft beschafft haben. Was ist passiert?

»Ein Deutscher, der im Inland weder seinen Wohnsitz noch seinen dauernden Aufenthalt hat, verliert seine Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit, wenn dieser Erwerb auf seinen Antrag (…) erfolgt«, hieß es im Paragraf 25 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes aus dem Jahre 1913. Als im Jahr 1991 die damalige christlich-liberale Bundesregierung unter bestimmten Bedingungen erstmals einen Anspruch auf Einbürgerung gewährte, wurde jener einst im Hinblick auf die nach Übersee ausgewanderten Deutschen verfasste und immer noch gültige kaiserliche Paragraf zur Hintertür für den Doppelpass. Wer wollte, konnte nun aus der alten Staatsangehörigkeit austreten, die deutsche annehmen und dann wieder seine vorige erwerben, solange er seinen Wohnsitz in Deutschland hatte. Viele der 622 000 zwischen 1991 und 2003 eingebürgerten Türken machten davon Gebrauch, schließlich mussten sie bei der Einbürgerung nach Deutschland ihren türkischen Pass abgeben, anders als beispielsweise Marokkaner oder Griechen, deren Ausbürgerung nach dem Gesetz ihrer Herkunftsländer nicht möglich ist.

Irgendwann bekamen die Deutschen davon Wind. Helmut Kohl beschwerte sich beim damaligen Ministerpräsidenten Mesut Yilmaz darüber, dass die Türkei mit ihrer Einbürgerungspraxis das eherne Prinzip »Du sollst keinen zweiten Pass haben neben dem deutschen« hintergehe. Ende der neunziger Jahre führte die Türkei die »rosa Karte« ein, eine Staatsbürgerschaft zweiten Ranges, mit der Niederlassungsrecht und wirtschaftliche Rechte in der Türkei eingeräumt wurden. Wer dieser Karte nicht trauen mochte, konnte weiterhin die reguläre türkische Staatsangehörigkeit erwerben. Auf türkischen Konsulaten wurde in der Regel zusammen mit der Ausbürgerungsurkunde das Antragsformular für die Wiedereinbürgerung überreicht.

An dieser Praxis hat sich nach der Beobachtung türkischer Verbände bis heute kaum etwas geändert. Geändert haben sich jedoch die Folgen. Denn die rot-grüne Bundesregierung hat nicht nur ein eingeschränktes ius soli eingeführt. Zugleich hat sie die Einbürgerung der bereits hier lebenden Ausländer durch Sprachprüfungen und Regelanfragen bei den Verfassungsschutzämtern erschwert. Erst dank des sagenhaften rot-grünen Gesetzes konnte jüngst der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg entscheiden, dass ein Ausländer nur dann einen Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft habe, wenn er nicht nur ausreichend mündliche, sondern auch schriftliche Deutschkenntnisse vorweisen könne.

Obendrein hat die Bundesregierung die Inlandsklausel von 1913 gestrichen. Jetzt gilt, dass jeder Deutsche, der ohne die Erlaubnis deutscher Behörden eine andere Staatsangehörigkeit beantragt, die deutsche verliert. »Die Menschen, die nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes eine andere Staatsangehörigkeit erworben haben, sind keine Deutschen mehr«, betont Josef Stein vom Bundesinnenministerium.

Der Referatsleiter für Einbürgerungsangelegenheiten ist in der vorigen Woche einer Einladung der Türkischen Gemeinde zu Berlin gefolgt und sitzt neben der Kölner Bundestagsabgeordneten Lale Akgün (SPD) und dem Berliner Integrationsbeauftragten Günther Piening auf einem Podium in Berlin-Neukölln. Zunächst wird über »Integration« geplaudert, es geht um Bildung und Sprache. Die Ausführungen der Integrationsspezialisten interessieren die rund 100 türkischen Zuhörer herzlich wenig. Sie wollen wissen, was mit den heimlichen Doppelstaatlern passiert.

Seit Wochen berichtet die türkische Presse aufgeregt über das Thema, entsprechend groß ist die Verunsicherung. »Die Leute haben Angst, sie wollen wissen, ob sie sich nun illegal in Deutschland aufhalten«, bestätigt Celal Altun von der Türkischen Gemeinde. Dabei ist der Sachverhalt nicht neu, sondern gilt seit fünf Jahren. Brisanz hat die Sache aber durch das am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz gewonnen.

Hierin heißt es, dass ein ehemaliger Deutscher eine Niederlassungserlaubnis erhalten könne, wenn er »bei Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit seit fünf Jahren als Deutscher seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland« gehabt habe. »Aber die meisten dieser Leute haben ja erst in den letzten Jahren die türkische Staatsangehörigkeit erworben und die deutsche verloren«, sagt Altun. Wer diese Voraussetzung nicht erfüllt, hat zwar dennoch Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis, muss aber damit rechnen, nur eine befristete zu bekommen. Dies gilt insbesondere für Rentner und Selbstständige, die nicht unter das Assoziationsabkommen zwischen der Türkei und der EU über aufenthaltsrechtliche Vergünstigungen für Arbeitnehmer fallen.

So entsteht die groteske Situation, dass Leute, die schon seit Jahrzehnten hier leben und sogar die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hatten, plötzlich auf einen viel ungünstigeren Aufenthaltsstatus zurückgeworfen werden können. Besonders bitter sind Fälle wie die Berlinerin Cemile Yilmaz*. Sie hat Ende 1998 den türkischen Pass beantragt. Hätte sie ihn sofort ausgehändigt bekommen, hätten die Deutschen keine Handhabe gehabt. Da sich die türkischen Behörden mit der Wiedereinbürgerung aber bis Anfang 2000 Zeit ließen, ist ihr deutscher Pass jetzt nichtig.

In solchen Fällen müsse die deutsche Staatsbürgerschaft »schlichtweg neu beantragt werden«, erklärte die Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, Ute Vogt (SPD), am 21. Januar im Bundestag. »Für die Leute beginnt alles von vorn«, erläutert Altun. Am schwierigsten dürfte es für Rentner werden, die ihren Wohnsitz in die Türkei verlegt haben und nur noch zu Besuch nach Deutschland kommen. Nach dem Zuwanderungsgesetz kann ihnen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn sie über – na was? – »ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache« verfügen. Genau jene Leute, für deren Arbeitstauglichkeit sich die Deutschen zwar jahrzehntelang interessierten, aber nicht dafür, ob und wie sie Deutsch lernen.

*Name von der Redaktion geändert