»Wir wollen keine Ghetto-Schulen«

In Bulgarien leben Roma meist in abgetrennten Vierteln unter sich. Die Mehrheitsgesellschaft lehnt das Zusammenleben ab. Ein Interview mit daniela mihailova von der NGO »Romani Baht«

In Bulgarien steht die Ungleichheit, was das Erlangen von Schulbildung angeht, derzeit im Mittelpunkt der Diskussionen um die soziale Integration der Roma-Minderheit. Noch immer werden über 70 Prozent der Kinder aus Roma-Familien in segregierten Schulen unterrichtet, deren Ausbildungsstandard sehr niedrig ist. Über 450 solcher Schulen gibt es im ganzen Land. Die NGO Romani Baht hat ihren Sitz in Sofia, im Viertel Fakulteta, dem größten der segregierten Wohnviertel in der bulgarischen Hauptstadt. Seit 1996 führt die Organisation Rechtsberatungen durch und vertritt Diskriminierungsopfer vor Gericht. Projekte im Bereich des integrativen Unterrichts sind ein weiterer Arbeitsschwerpunkt. Mit Daniela Mihailova, Leiterin des Rechtsprogrammes von Romani Baht, sprach Jutta Sommerbauer.

Wie viele Menschen leben in Fakulteta?

Wir gehen von etwa 35 000 aus. Wenn Sie bei der Stadtverwaltung nachfragen, werden die sagen, dass etwa 15 000 hier leben. Aber die haben keine richtigen Daten, und die Migration innerhalb der Roma-Community ist recht hoch. Die Stadtverwaltung kann nicht genau verfolgen, wo die Menschen leben. Aber sie zählen auch nicht sehr genau in den Vierteln. Bei dem letzten Zensus vor ein paar Jahren wurde keiner meiner Roma-Kollegen aus Fakulteta gezählt.

Gibt es in der Schule des Viertels auch Kinder, die nicht aus Roma-Familien stammen?

Nein, in dieser Schule sind 100 Prozent Roma-Kinder. Hier gibt es keine Bulgaren. Die Kinder werden hier in einer absolut segregierten Umgebung erzogen. Sie haben keinen Umgang mit bulgarischen Kindern. Wir sind der Meinung, dass man diese »Ghetto-Schulen« schließen und die Kinder in normale öffentliche Schulen schicken sollte. Die Erziehung in der getrennten Umgebung fügt ihnen nur Schaden zu. Wenn sie mit der Schule fertig werden, wissen sie nicht, wie sie in der größeren Gesellschaft leben sollen. Sie haben ihr Viertel nie verlassen und bekommen einen Schock.

In Fakulteta besuchen über 1 500 Kinder diese »Ghetto-Schule«, alle Kinder aus den Roma-Vierteln gehen in solche Schulen. Es gibt auch andere Schulen in der Nähe der Roma-Viertel, aber die Direktoren akzeptieren die Kinder nicht. Und die bulgarischen Eltern glauben, dass es Probleme in den Klassen geben wird. Im Jahr 2002 hat das Bildungsministerium seine offizielle Politik geändert, und nun gibt es weniger Probleme mit dem Einschreiben von Roma-Kindern in den herkömmlichen Schulen, aber vor ein paar Jahren war das wirklich ein großes Problem. Jetzt ist auch die schulische Integration offizielles Programm, aber es gibt kein Geld dafür vom Staat.

Was bedeutet das in der Praxis?

Das bedeutet, dass der Staat auf dem Papier die Integration begrüßt und den NGO applaudiert, die solche Programme durchführen. Aber es gibt kein Geld dafür aus dem staatlichen Budget.

Welche Projekte führen NGO durch?

Die NGO fahren beispielsweise Kinder mit Bussen in normale Schulen. Zuerst waren das private Projekte im Rahmen von »integrativer Erziehung«, aber die NGO machen das immer noch. Sie bieten außerdem zusätzliche Lehrkräfte an, zusätzlichen Unterricht, Lehrbücher, Verpflegung, all diese Dinge. Zusätzlicher Unterricht wird wirklich benötigt, besonders in den ersten Schulstufen. Manche der Kinder sprechen nicht gut genug Bulgarisch. Wenn sie nicht zusätzliche Hilfestellung bekommen, können sie dem Lehrplan nicht folgen.

Wie viele Roma-NGO gibt es eigentlich in Bulgarien?

Sehr viele, einige Hundert. Aber nicht jede Organisation ist wirklich tätig. Außerdem betreiben viele von ihnen Forschung, wissenschaftliche Dinge, was natürlich auch wichtig ist. Ich sage nicht, dass das nutzlos ist, aber die Leute wollen wirklich Verbesserungen sehen. Sie haben die Evaluierungen und Diskussionen über ihre Bedürfnisse satt.

In Bulgarien gibt es das hartnäckige Gerücht, dass in den Roma-Vierteln der Strom nicht bezahlt wird. Was hat es damit auf sich? Haben Sie im Viertel Probleme mit der Stromversorgung?

Eines der größten Probleme ist, dass die Bulgaren glauben, dass die Roma den Strom nicht bezahlen. Das stimmt aber nicht. Bei uns befinden sich die Zähler in Metallkästen, die sechs bis zwölf Meter über dem Boden an den Strommasten befestigt sind. Die Klienten können nicht kontrollieren, wie viel sie verbrauchen. Wenn eine Rechnung kommt, können die Bewohner nicht sicher sein, ob sie stimmt. Das andere Problem ist, dass die Spannung viel niedriger ist als üblich, aber es wird der Standard berechnet.

Wenn das System zusammenbricht, sagen die Leute von der Stromfirma üblicherweise, dass sie es nicht reparieren werden, weil die Leute nicht bezahlen. In dem Gebiet ohne Strom sind einige Kunden, die nicht regelmäßig zahlen, aber auch reguläre Kunden. Beide Gruppen leiden. Das wäre unmöglich in einem Gebiet, wo Bulgaren leben. Wenn ein Bulgare nicht bezahlt, dann wird nur er von der Versorgung abgeschnitten. Hier gibt es eine kollektive Strafe für die ganze Straße, das ganze Viertel.

Romani Baht bietet Rechtsberatung und Vertretung vor Gericht an. Nehmen die Menschen das in Anspruch?

Oh ja, jeden Tag. Es ist sehr angenehm für die Leute, zu uns zu kommen, sie wissen bereits, dass wir diese Hilfe anbieten. Das ist eine Frage des Vertrauens. Zu Beginn haben sie ein bisschen gezögert, sich uns ganz anzuvertrauen, nun ist das schon anders. Wir haben sehr viele Fälle vor Gericht in Sofia. Im vergangenen Jahr haben wir einige Fälle vor Gericht gebracht, die Firmen betrafen, die es abgelehnt haben, Roma einzustellen – ausdrücklich, weil sie Roma sind. Das wurde den Leuten ins Gesicht gesagt. Wir haben auch Fälle von Leuten, die aus Geschäften oder Cafés rausgeworfen wurden. Junge Leute können nicht in die Disco oder in Clubs gehen, weil sie nicht hineingelassen werden.

Kommen Politiker hin und wieder in das Roma-Viertel?

Nur vor den Wahlen. Dann gibt es gratis Frikadellen. Die Leute wissen das bereits. Die Straßen werden ausgebessert, es gibt keine Probleme mit der Elektrizität. Aber nach den Wahlen ist das alles schnell wieder vergessen.

Die »Dekade der Roma-Integration 2005–2015« verfolgt das Ziel, die Lebensbedingungen der Roma zu verbessern. Auch Bulgarien nimmt an der Initiative teil und ist Gastgeber der offiziellen Eröffnungsveranstaltung. Ist das nicht ein Zeichen, dass sich die bulgarische Politik bereits ändert?

Ich glaube nicht, dass die bulgarische Gesellschaft wirklich darauf vorbereitet ist, für die Roma und mit den Roma zu arbeiten und mit ihnen zu leben. Auch die bulgarischen Behörden sind nicht darauf vorbereitet. Vor einem Monat wussten wir zum Beispiel noch nicht, ob die Regierung überhaupt genug Geld auftreiben wird, um die »Dekade« offiziell zu eröffnen. Das ist wie eine Krankheit in Bulgarien: Unsere Behörden machen sehr gute Programme. Die staatliche Politik wurde auf dem Papier geändert. Aber wenn wir die Situation der Menschen betrachten, glaube ich nicht, dass sich in der Praxis wirklich etwas verändert.