Atome sind geduldig

Tagung des Atomforums von andreas chollet

Deutschland ist schon wieder Weltmeister! Das Kernkraftwerk Isar II ist weltweit Spitzenreiter bei der nuklearen Stromerzeugung. Mit dieser und anderen Meldungen zur hervorragenden Bilanz der deutschen Atomkraftwerke im Jahr 2004 leitete das Deutsche Atomforum in der vorigen Woche in Berlin seine Wintertagung unter dem Motto »Plädoyer für einen vernünftigen Energiemix« ein.

Und damit die Botschaft auch nicht überhört wird, leisteten die üblichen Verdächtigen mediale Unterstützung. So sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, dass nur ein »Energiemix« unter Einschluss der Atomenergie die Erfüllung der klimapolitischen Verpflichtungen ermögliche, ohne dass die Energiepreise stark ansteigen müssten.

Die deutsche Atomindustrie wird wieder selbstbewusster. Diente der so genannte Atomausstieg der rot-grünen Regierung und auch der Atomindustrie bislang hauptsächlich zur Befriedung der Atomkraftgegner, so wird jetzt an der Rehabilitation der Atomenergie gearbeitet. Getreu dem Motto »Kein Klimaschutz ohne Kernkraft« suggeriert die Industrie, dass sie an der Spitze der Umweltbewegung stehe. Und die rot-grünen Koalitionäre sehen schweigend zu, wie ihre am Konsens orientierte Ausstiegspolitik scheitert.

Kein Wunder, dass sich die deutsche Atomindustrie mit dieser Politik schnell anfreunden konnte. Auf der einen Seite nahm sie den Ende der neunziger Jahre immer noch zahlreichen aktiven Atomkraftgegnern den Wind aus den Segeln, die Proteste, etwa gegen die Castor-Transporte, flauten ab. Der Staat konnte sich den Ausnahmezustand und den Einsatz vieler Polizisten sparen und schonte seine Finanzen. Auf der anderen Seite wurden die veralteten Atomkraftwerke Stade und Obrigheim abgeschaltet. Das reduzierte die Überkapazitäten im deutschen Strommarkt und erhöhte die Profite der Betreiber.

Für die hoch profitablen Atomkraftwerke besitzt man hingegen noch eine jahrelange Bestandsgarantie. Die rot-grüne Koalition könnte zwar mit viel Glück noch für eine weitere Legislaturperiode regieren, aber bis es mit dem beschlossenen Ausstieg ernst wird, könnte durchaus ein Regierungswechsel eintreten. Der dann fällige Ausstieg aus dem Ausstieg wird heute bereits öffentlichkeitswirksam vorbereitet.

Dabei war das notwendige Instrumentarium für einen tatsächlichen Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie schon beisammen. Der fehlende Nachweis für die Sicherheit der Castor-Behälter hätte den direkten Entsorgungsweg lahm gelegt, und dass kein Endlager zur Verfügung steht, hätte langfristig zum Entzug der Betriebsgenehmigung führen müssen.

Schließlich noch die Rückstellungen für den zukünftigen Rückbau der Atomkraftwerke in Milliardenhöhe: Eine Verpflichtung, das Geld beim Staat zu hinterlegen, hätte die Freude am Betrieb der Reaktoren deutlich getrübt. Doch all dies hätte einen handfesten Streit zwischen Politik und Wirtschaft bedeutet, den die rot-grüne Koalition scheute.

Und so sind heute alle zufrieden. Die rot-grünen Politiker verweisen stolz auf den vertraglich festgelegten Ausstieg, und die Atomindustrie genießt die unverhoffte Ruhe, lässt die Reaktoren glühen und wartet auf den Regierungswechsel.