Enzyklopädisches Sammelsurium

Die Kunstausstellung zum Mythos RAF ist auch ein ungeordnetes Archiv zeitgeschichtlicher Dokumente. tom holert hat sie besucht

Eine wichtige Arbeit, zu der man aber ambivalente Reaktionen schon zitieren kann, ist zum Beispiel Hans Peter Feldmanns ›Die Toten‹, die ich sehr wichtig finde«, sagt Felix Ensslin im Interview mit der taz. »›Die Toten‹ ist eine Arbeit, die das Vergessen thematisiert und zugleich die Erinnerung und den Schmerz über den Tod wieder wachruft«, schreibt Ellen Blumenstein im Katalog zur Ausstellung. Klaus Biesenbach findet ebendort, dass eine »gelungene künstlerische Arbeit eine ganz direkte Konfrontation erreichen« könne, »was dem Gehalt der Wahrnehmung des Terrors, den man ausdrücken möchte, gerechter wird«.

Bevor es nun um die RAF-Ausstellung und »Die Toten« gehen soll, eine Anmerkung zur Wortwahl. Es mag sein, dass sich hier eine übertriebene Empfindlichkeit gegenüber dem Sprachgebrauch von KritikerInnen und KuratorInnen auf dem Feld der bildenden Kunst ausdrückt: Doch die Vorliebe, mit der »Arbeiten« gesagt und geschrieben wird, wenn eigentlich einzelne künstlerische Objekte oder Produkte gemeint sind, erscheint mir so auffällig verlegen wie unauffällig ideologisch zu sein.

Die hartnäckige Rede von den künstlerischen »Arbeiten«, wie sie auch die oben zitierten verantwortlichen KuratorInnen der Ausstellung führen, erinnert – ob gewollt oder nicht – an den Zusammenhang von Arbeit und »Arbeit«, an das Ge- oder Erarbeitete, das Auf-, Ab- oder Durchgearbeitete im Kunstwerk, mithin an Akte oder Prozesse, die nicht ein freies ästhetisches Spiel, sondern Anstrengung, Mühsal und (Selbst-) Ausbeutung implizieren. Dabei verschleiert der Begriff »Arbeit« nicht nur den Warencharakter des einzelnen Kunstobjekts, und sei es, um gegen diesen zu rebellieren, sondern verknüpft das gedachte und gemachte Kunst-Ding zudem mit einem pathetischen Begriff von Arbeit und Arbeitern.

Natürlich sind die »Arbeiten« des kuratorisch-kritischen Jargons das Ergebnis des Versuchs, das englische »works«, wo sich dieses auf Kunstwerke, also auf »art works«, bezieht, ins Deutsche hinüberzuretten. Das Wort »Arbeit« scheint die prozessuale Dimension der Kunstproduktion einzuholen, obwohl es in der Praxis zumeist auf das konkrete Objekt, nicht auf die Arbeit der Konzeption und Herstellung gemünzt ist. Müsste die Arbeitsumgebung einer Institution, die unter dem Namen »Kunst-Werke« bekannt ist – inzwischen nennt sich nur noch der Trägerverein so, der Ausstellungsraum in der Auguststraße hört offiziell auf den Namen »KW Institute for Contemporary Art, Berlin« –, nicht eigentlich ein Gespür für die semantischen Unterschiede von »work« und »labor« begünstigen, wie sie im deutschen Begriff »Arbeit« tendenziell aufgehoben sind?

Es soll hier nicht so sehr um eine neuerliche Kritik der spezifischen Selbstvergessenheit des Kunstdiskurses gehen. Vielmehr ertönt die Allzweckformel von den »künstlerischen Arbeiten« im Kontext der RAF-Ausstellung in einem besonders gestalteten Resonanzraum. Spätestens seit dem Beginn der öffentlichen Debatte im Sommer 2003, die vor allem um den ursprünglichen Titel »Mythos RAF«, den damit zusammenhängenden Glorifizierungs- und Legitimationsverdacht und die Frage nach der ausbleibenden Einbeziehung der Angehörigen der Opfer des RAF-Terrorismus kreiste, ist das Unternehmen RAF-Ausstellung maßgeblich vom Pathos des Durcharbeitens gekennzeichnet.

»Durcharbeiten – Kunst, Medien und das Politische des Terrorismus« nennt sich passend ein Münchner Forschungsprojekt, das gleich am Anfang des Parcours einen der »Archivräume« der Ausstellung zusammengestellt hat. Die Geschichte der RAF als »Arbeit am Mythos« zu thematisieren, das war die Forderung, die das Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS) und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Wolfgang Kraushaar an das Kuratorenteam stellte, als es sich aus dem Projekt zurückzog. Dass »die Kunst« immer wieder »die Vorreiterrolle bei der Verarbeitung gesamtgesellschaftlicher Traumata« übernimmt, wie Ellen Blumenstein es sieht, scheint vordergründig auf ein Befolgen dieser Empfehlung hinzudeuten. Die Ausstellung wird von den Verantwortlichen wiederum als »notwendige Basisarbeit« betrachtet, für die der »kuratorische Aspekt etwas in den Hintergrund tritt«, wie Ensslin meint, weil lediglich Kunst gezeigt werden sollte, die bereits da, also öffentlich war und evidente Bezüge zur Geschichte der RAF aufweist. Schließlich ist »Zur Vorstellung des Terrors« selbst auf methodisch-pädagogische Überforderung und eine nicht-kontemplative, das heißt: arbeitende Einstellung der BesucherInnen hin ausgelegt. Felix Ensslin formuliert es im Katalog protestantisch: »Die Arbeit, die eigene Beteiligung an der Produktion des Phantasmas zu klären, ist, wie auch immer, dem Betrachter der Ausstellung aufgegeben. Wenn er oder sie dazu bereit ist.«

Die Arbeit der Betrachtung findet vor allem in der großen Halle des Instituts statt. Dort versammelt sich täglich ein Großteil der Besucher, um jene Chronologie zu studieren, die von Benno Ohnesorgs Ermordung (2. Juni 1967) bis zur Auflösungserklärung der RAF (20. April 1998) reicht. Drei grau getönte Wände sind mit Titelseiten der Bild und der FAZ bestückt, mit Titeln und Reportagen von Spiegel und stern sowie mit Auszügen aus der Fernsehberichterstattung der »Tagesschau«, der Nachrichtensendung »heute« und der »aktuellen Kamera«. Diese Zeitdokumente sind einheitlich angeordnet und durch 29 historische Daten gegliedert, ansonsten aber nicht weiter kommentiert. Sie sollen repräsentieren bzw. darstellen, was sich die AusstellungsmacherInnen recht allgemein unter den »Medien« oder dem »Spektakel« vorstellen.

Interessanterweise wird diese Anhäufung von Dokumenten aber von vielen der BesucherInnen nicht als Überforderung und Bilderflut empfunden, sondern als instruktiv-faszinierendes Bildungsangebot der gründlichen Betrachtung und Lektüre unterzogen. Eines leistet dieses Konvolut in jedem Fall: Die Ereignisse und deren medialer Niederschlag werden immer wieder in ihrem zeitgeschichtlichen, auch internationalen Kontext sichtbar. Dass im Juni 1967 »Israels Blitzkrieg« das Titelthema des Spiegel gewesen ist und am 21. April 1998, am Tag der Veröffentlichung der RAF-Auflösungserklärung, die Ankündigung eines Treffens zwischen dem damaligen israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und PLO-Chef Arafat die Hauptmeldung auf den Titelseiten war – das war vor allem in den Tagen der Eröffnung der Ausstellung, die mit den Gedenkfeierlichkeiten des 60. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz zusammenfielen, eine mehr als suggestive Rahmung.

So entwickelt das Archiv, das hier an den Wänden großflächig ausgebreitet wird, eine eigene Anziehungskraft. Die nostalgischen, ästhetischen und zeitgeschichtlichen Attraktionen lassen die Leute buchstäblich der Kunst den Rücken zukehren. Diese befindet sich in der Mitte der Halle, wo ein weiß bemalter Kubus aufgestellt wurde. In dessen Innerem kann der anfangs erwähnte Zyklus »Die Toten« von Hans Peter Feldmann aus dem Jahr 1998 betrachtet werden: 90 Fotos von Menschen, die seit dem 2. Juni 1967 im Zusammenhang mit dem RAF-Terrorismus ums Leben gekommen sind; ausgeschnittene Pressebilder, mit Namen und Todesdaten der Opfer versehen, auf graues Papier fotokopiert und chronologisch auf einer Höhe direkt auf die Wände geklebt.

Der Bildersucher Feldmann ist damit für die KuratorInnen so etwas wie der exemplarische Künstler-Arbeiter am Mythos, der »vereinzelt«, »monumentalisiert«, »reprivatisiert«, »filtert«, »distanziert«, »abstrahiert«, was die »Bildermaschine RAF«, die ohne das Zutun der »Medien« nicht zu denken ist, ausgeschleudert hat und weiterhin ausschleudert. Aus dieser Sicht hat er eine Arbeit auf sich genommen, die vorbildlich ist für den Umgang mit der Geschichte des RAF-Terrorismus; einer Geschichte, die – wie die KuratorInnen nicht müde werden zu betonen – nur als medial konstruierte Realität, als »phantasmatischer Raum« verfügbar ist.

In der Anordnung der großen Halle der Kunst-werke erkennt man leicht das idealisierende Modell des Verhältnisses von »Spektakel« und »Kunst«: Die konzeptuelle Prämisse der Ausstellung wird durch die Architektur der Ausstellung verräumlicht. Das Spektakel belagert die Kunst, die sich einen Schutzraum, den White Cube, schafft, in den die zahlreichen Bilder nur langsam eindringen. Die BesucherInnen können die Abhängigkeiten und Konflikte zwischen diesen beiden Größen gewissermaßen körperlich reartikulieren, emotional durchleben, intellektuell durchmessen. Falls sie bereit sind, die dazu nötige »Arbeit« zu leisten.

Dieser Modellsituation, die wie jede Ausstellung auch eine Versuchsanordnung mit BetrachterInnen ist, liegen verschiedene Annahmen und Begriffe zugrunde, die bei aller Gravität sehr lax gehandhabt werden. Dabei kann man den Verantwortlichen nicht vorwerfen, sie hätten sich die Sache leicht gemacht. Im Gegenteil, nicht nur säumen öffentliche Eingeständnisse von Fehlern, konzeptuelle Revisionen und eine aufwendige Fundraising-Kampagne den Weg dieses Unternehmens; der Ausstellung dieser kuratorischen Vorstellung vom Funktionieren der Kunst in Relation zu einer Ereignisformation, die mit Namen wie »RAF« und »Terror« bezeichnet wird, ging zudem ein intensives, bisweilen selbstquälerisch anmutendes theoretisches Durcharbeiten von Grundsatzfragen voraus. Das Thema und die enorme öffentliche Aufmerksamkeit machten diese Anstrengungen erforderlich, die für mich das große Plus des Projekts sind.

Die Ergebnisse dieses Reflexionsprozesses finden sich nun aber sowohl in den begleitenden Publikationen wie in der Szenografie und Dramaturgie der Ausstellung, allesamt auf einer strikten Definition von »Kunst« ruhend. Ensslin sieht in ihr, der »Kunst«, vereinheitlichend den »ganz anderen Produktivitätsmodus«; Blumenstein sagt, »dass die Kunst ein eigener Diskurs ist, der neben anderen Diskursen wie beispielsweise der (zeit)historischen Forschung, der Soziologie oder der Psychoanalyse besteht«.

Die Symbolik der weißen, auratischen Kapelle, in der Feldmanns Bilderlese abgeschritten werden kann, wirkt vor dem Hintergrund dieses gleichermaßen disziplinären wie monolithischen Kunstbegriffs freilich merkwürdig platt und rückwärtsgewandt. Ist die Vorstellung der »Kunst« nicht selbst ein Phantasma? Ein institutionell, diskursiv, sozial, ökonomisch und historisch produziertes, das in einem dramatischen Setting wie »Spektakel und/versus Kunst« weniger analysiert als zelebriert wird?

Auf der anderen Seite ist nachvollziehbar, warum das Verständnis der Kunst als eines Sonderdiskurses gerade im Kontext der RAF-Ausstellung so stark gemacht wird. Wenn sich alle in den Kunst-Werken versammelten »Arbeiten« der Kategorie der »Kunst« zuordnen lassen und diese Kategorie zudem mit bestimmten Handlungserwartungen und Verfahrensweisen verbunden wird, die man als Arbeit der »Arbeiten« charakterisieren könnte, dann nimmt die Ausstellung die Exponate in Schutz. Sie versucht, die Debatte von der Moral, der Politik und der Geschichtsschreibung auf Fragen der künstlerischen, ästhetischen Qualität zu lenken. In der gegenwärtigen kulturpolitischen Lage der Berliner Republik (Stichwort: Flick Collection) ist das aber kein unproblematisches Manöver.

Ausgerechnet das Herzstück, die von den KuratorInnen inszenierte Konfrontation von »Spektakel« und »Kunst« in der Halle der Kunstwerke, in der sich die gesamte Reflexion über das Ineinander und Gegeneinander von künstlerischer und außerkünstlerischer Bilderproduktion manifestiert, macht deutlich, wie entmündigend die Stillstellung durch Rollenverteilung ist. Die »Kunst« wird per Definition auf die Funktion der Symbolisierung und Rekonfigurierung festgelegt, auf Operationen zweiter Ordnung im Verhältnis zu den »Medien«, welche stets den Stoff liefern, den es ästhetisch zu ver-, be- oder durchzuarbeiten gilt. Auratisierung und Entmächtigung gehen Hand in Hand.

In den anderen Räumen der Kunstwerke, die – ein echtes Problem der Architektur der einstigen Margarinefabrik – im Vergleich fast notwendig den Charakter von Unterkapiteln, Nebenhandlungen oder Fußnoten annehmen, wird eher unsystematisch ausgestellt, was die jahrelangen Recherchen zu Tage gefördert haben und jetzt irgendwie in diesen Räumlichkeiten untergebracht werden musste. Lauter »Arbeiten«: Gemälde, Fotografien, Film- und Videoinstallationen, Skulpturen, Collagen, Zeichnungen, Plakate, die einen mehr oder weniger direkten, offensichtlichen Bezug zur RAF zeigen. Was sich in der Halle zumindest an kuratorischer Ambition erkennen lässt, versinkt hier in einem enzyklopädischen Einerlei, verteilt auf vier Etagen. Kaum nachvollziehbare Entscheidungen, wie die Einrichtung einer großen Projektion des über zwei Stunden langen Videofilms »Journeys from Berlin/1971« (1979) von Yvonne Rainer mitten in der Ausstellung, die gegenseitige Neutralisierung der Videoinstallationen von Klaus vom Bruch und Dara Birnbaum oder das Versteckspiel mit Jörg Immendorffs »Parlament I (Café Deutschland X)« (1981) scheinen der schwierigen Raumsituation und einer überlangen Liste von Exponaten geschuldet.

Es ließe sich eine Reihe von Strategien unterscheiden, die Bezüge zur RAF zu aktivieren: das Zitieren, Verfremden, Dekontextualisieren der statischen und bewegten Bilder aus dem Archiv des staatlich-medialen Komplexes (neben Feldmann u.a. Wolf Vostell, Sigmar Polke, Gerhard Richter, Johannes Kahrs, Thomas Ruff, Katharina Sieverding, Dara Birnbaum, Klaus vom Bruch, Johan Grimonprez); die handschriftliche oder kühl typografische Niederschrift der Eigennamen von Beteiligten (Felix Droese, Rudolf Herz, Jonathan Meese, Johannes Wohnseifer); die Rekonstruktion oder Erfindung von Orten und Objekten der historischen Ereignisse (Korpys/Löffler, Franz Ackermann, Rob Moonen & Olaf Arndt, Christoph Draeger, Thomas Schütte, Michaela Melián, Olaf Metzel, Johannes Wohnseifer); die Reanimation oder performative Aneignung von Erinnerungen und Projektionen (Eleanor Antin, Bruce LaBruce, Marcel Odenbach, Sue de Beer, Yvonne Rainer).

Diese Strategien und weitere, die noch zu ergänzen wären, sind in den seltensten Fällen isolierbar. Sie durchqueren das gesamte Feld der Praktiken und beteiligten Generationen, sie konstituieren das Repertoire im Umgang mit heißen und schweren Themen. Im Rückgriff auf lacanistische Theorien des Begehrens und der Identifikation bemüht sich Felix Ensslin im Katalog darum, jene Kritik zurückzuweisen, dass die RAF als ein solches heißes, schweres und eben auch nationales Trauma-Thema vor allem zur letztlich leeren Steigerung der Bedeutung einer künstlerischen Praxis beitrage. Klaus Theweleit hat dafür den Begriff »abstrakter Radikalismus« verwendet.

Der Ausstellung und der Argumentation ihrer KuratorInnen gelingt es jedoch nur vereinzelt, diesen Einwand zu entkräften. Zu oft scheint sich »die Kunst« tatsächlich beim genießerischen Durcharbeiten der schweren Zeichen aufzuhalten. Warum aber sollte nicht auch Theoretisch-Konzeptualistisches Genuss bereiten? Nie wird die kulturelle Funktion der RAF für »die Kunst« selbst thematisch, so wie Theweleit es angedeutet hat. Und schon gar nicht reicht der Metadiskurs über Kunst und Medien aus, die Rolle von KünstlerInnen und ihren »Arbeiten« in der Bildermaschine »RAF-Ausstellung« darstellbar oder diskutierbar zu machen.

»Zur Vorstellung des Terrors« ist ein Politikum nicht wegen der öffentlichen Erregung, sondern weil das Projekt im Festhalten an einem hehren, heroischen Kunstbegriff gar keinen Grund zur Empörung mehr bietet. Letztlich beweist diese Ausstellung, wie so viele andere auch, vor allem eins: das bloße Faktum der Ausstellbarkeit eines einmal gewählten Themas.