Keine Ruhe im Frieden

Die Veranstalter der Münchner Sicherheitskonferenz suchen in diesem Jahr den »Frieden durch Dialog«. Dennoch rufen linke Gruppen zu Protesten auf. von peter bierl

Menschen heben und senken Arme und Beine, wackeln mit den Köpfen oder wiegen ihren Körper hin und her. Sie hören Radio und folgen den Anweisungen des alternativen Münchner Senders Radio Lora. Möglichst synchron führen sie dieselben Bewegungen aus. Ein Radioballett in der Fußgängerzone soll am Freitagnachmittag den Auftakt der Proteste gegen die diesjährige Sicherheitskonferenz in München bilden.

Das Ballett ist keine Versammlung. Die Teilnehmer sollen Abstand halten, um der Polizei keinen Vorwand zu liefern. Allerdings gilt während des alljährlichen Treffens von Politikern, Militärs und Rüstungsindustriellen, dass erlaubt ist, was der SPD gefällt. Der Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) verhängte im Frühjahr 2002 ein vollständiges Demonstrationsverbot über die Stadt, weil er sich vor der Kommunalwahl von der CSU nicht nachsagen lassen wollte, ein Weichei zu sein. Die Presse ersann vorab Horrorszenarien über gewalttätige Chaoten, und Rudolph Moshammer ließ die Schaufenster seiner Boutique mit Brettern vernageln. Die Polizei prügelte munter drauflos und verhaftete etwa 850 friedliche Demonstranten.

Im Jahr darauf jedoch gerierte sich die Bundesregierung als gewaltfreie Alternative zu den kriegslüsternen Amerikanern. Die Münchner SPD veranstaltete mit dem DGB ihre eigene Demonstration gegen den Irakkrieg, ausdrücklich nicht gegen die Sicherheitskonferenz.

In diesem Jahr geht nun ein alter Wunsch der SPD in Erfüllung: Horst Teltschik, der frühere Kanzlerberater, der die Konferenzen organisiert, hat UN-Generalsekretär Kofi Annan eingeladen und wird ihn mit einer Friedensplakette auszeichnen. Das Motto der diesjährigen Sicherheitskonferenz lautet: »Frieden durch Dialog«.

Die Kritiker der Konferenz bestimmten offensichtlich deren Agenda, sagte Tobias Pflüger, parteiloses Mitglied der PDS-Fraktion im Europäischen Parlament, auf einer Pressekonferenz des Aktionsbündnisses gegen die Konferenz. Teltschik versuche, »die Konferenz in Friedenswatte einzupacken«. Das »Bündnis München gegen Krieg« schrieb an Annan: »Angesichts des militärpolitischen Charakters dieser Veranstaltung raten wir Ihnen dringend von einer Teilnahme ab.« Er werde als Feigenblatt missbraucht und müsse mit seiner Teilnahme »dem Ansehen der Vereinten Nationen und der Sache des Friedens (...) großen Schaden zufügen.«

Für das Aktionsbündnis ist der Fall klar. Im »Nobelhotel Bayerischer Hof« würden »Militärstrategien koordiniert, Pläne für gemeinsame Kriegseinsätze abgesprochen und Kriegskoalitionen für Angriffskriege geschmiedet«. Das linke Münchner Stadtplenum behauptet in seinem Aufruf »Fight global war«, die Sicherheitskonferenz diene dazu, »Kriege zu planen und Rüstungsprojekte auf den Weg zu bringen«, und um »in München zu shoppen und zu tafeln«.

Doch vor lauter Fressen, Saufen und Einkaufen zwischen den Vorträgen dürften die Herrschaften nicht viel Zeit haben, einen richtigen Krieg vorzubereiten. Es mag zutreffen, die Sicherheitskonferenz als Zusammenkunft einer »Weltkriegselite« zu bezeichnen, und es kann effektiv sein, den Protest auf symbolische Ereignisse zu richten. Und dennoch ist die Darstellung falsch.

Denn seit 1999 ist die Sicherheitskonferenz keine exklusive Veranstaltung der Nato mehr. Vertreter osteuropäischer und asiatischer Staaten, darunter Russland und China, nehmen ebenso daran teil. Im Jahr 2002 waren es insgesamt 250 Teilnehmer aus 43 Ländern. 2003 referierten Vertreter des Iran und Indiens über »die globale Herausforderung des internationalen Terrorismus«. Im vergangenen Jahr sprachen Repräsentanten der Palästinensischen Autonomiebehörde sowie Vertreter aus Indien und aus Pakistan. Das Treffen wird nicht von der Nato, sondern überwiegend vom Bundesverteidigungsministerium und vom Bundespresseamt finanziert. Die meisten Reden halten deutsche Politiker.

Antideutsche Gruppen und antinationale Anarchisten kritisieren die Münchner Friedensbewegung. Das Welterklärungsmodell, nach dem die Nato und die G 8-Staaten gegen die ausgebeuteten und unterdrückten Völker stünden, sei spätestens seit drei Jahren überholt und basiere »auf Legendenbildung und absichtsvoll betriebener Realitätsverweigerung«. Deutschland suche den »Schulterschluss« mit den arabischen Staaten und betreibe ein »Appeasement mit dem Islamfaschismus«.

Der Begriff »Appeasement« ist sicherlich unpassend, weil er die Politik der britischen Regierung gegenüber Nazideutschland in den späten dreißiger Jahren bezeichnet, die darauf abzielte, einen Krieg zu vermeiden. Zurecht kritisieren die Antideutschen jedoch die Sicherheitskonferenz als öffentliches Forum für Deutschland, das sich als vermeintlich friedlichere Alternative zu den USA präsentieren möchte, obwohl es mit reaktionären Regimen im Nahen Osten kooperiert.

Zwar wird in den Aufrufen des Aktionsbündnisses, des Stadtplenums und der Bundesweiten Koordination Antimilitaristischer Gruppen auch Deutschland kritisiert und etwa zu Protesten gegen die 50-Jahr-Feiern der Bundeswehr aufgerufen. Aber die konkrete deutsche Außen- und Militärpolitik ist kein Thema. In einem weiteren Aufruf des Aktionsbündnisses mit dem Titel »Nächstes Kriegsziel Iran?« findet sich auch kein Wort zur atomaren Rüstung des Regimes, die Israel bedroht. Suggeriert wird, dass diese Bedrohung nur erfunden sei.

Alles andere würde wohl das Aktionsbündnis zu sehr belasten, dem lokale Gruppen von Attac, die DKP, Unterstützergruppen für Palästina, die Gewerkschaften GEW und Verdi, die Anarchisten/Rätekommunisten, christliche Gruppen, die PDS und viele andere angehören. Vertreter des Palästinakomitees etwa verteidigten einst die Ausfälle Jürgen Möllemanns. In Flugblättern behaupteten die Anarchisten/Rätekommunisten aus München: »Zionismus ist Apartheid. Der israelische Staat ist ein Unrechtsstaat von Anfang an.«

Attac, die Anarchisten/Rätekommunisten und das Palästinakomitee veranstalteten im Sommer 2002 eine Demonstration in München. Im Aufruf wurde die Politik Israels als rassistisch diffamiert. Man unterstütze palästinensische und israelische Kräfte, »die ein Ende dieses Rassismus und Kolonialismus fordern und damit auch ein Ende des Zionismus«, hieß es. Die Anarchisten/Rätekommunisten forderten: »Boykottiert die israelische Apartheidpolitik. Der israelische Staat muss aufgelöst werden.«

Der Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter wird auf der Friedenskonferenz am Freitagabend nicht über deutschen oder islamistischen Antisemitismus, sondern über das »Feindbild Islamismus« und seine »Instrumentalisierung in der aktuellen sicherheitspolitischen Diskussion« sprechen. Um den Veranstaltungsort und einen Zuschuss vom Kulturamt der Stadt nicht zu gefährden, haben sich die Veranstalter von Bürgermeister Christian Ude erpressen lassen: Auf sein Verlangen tritt die DKP nicht auf, und der Aufruf wurde verwässert. Statt von Kriegen »gegen« Jugoslawien, Afghanistan und Irak ist nun die Rede von »Kriegen im früheren Jugoslawien, in Afghanistan und im Irak«, als handele es sich bloß um innere Wirren in diesen Ländern.