Die billige Alternative

Ein-Euro-Jobs sorgen für die Deregulierung des Arbeitsmarktes und sind eine Demonstration staatlicher Souveränität. von felix baum

Es erinnert an stalinistische Planerfüllungskampagnen, wie Städte und Gemeinden derzeit bei der Einrichtung von Ein-Euro-Jobs um die Wette eifern. Beim Erreichen des Planziels von 600 000 Stellen im laufenden Jahr sind die unteren Verwaltungsebenen gefragt, und auch der dröge Amtsleiter aus der Provinz wittert seine Chance, es mit einem bislang übersehenen Einsatzgebiet für die Empfänger von Arbeitslosengeld II in die Schlagzeilen zu schaffen. Das staatlich orchestrierte Spektakel, bei dem jeder zur Eigeninitiative fürs Allgemeinwohl aufgerufen ist, stören bislang auch keine Meldungen über etwaigen Widerwillen der Betroffenen, die teils als Hilfsbedürftige, denen man wieder zu einem geregelten Alltag verhelfen will, teils als Faulenzer, denen eine Laubharke gut zu Gesicht stünde, durch die Medien geistern.

Ausgerechnet bei den Unternehmerverbänden und ihren ideologischen Hilfstruppen stoßen die Ein-Euro-Jobs indes auf ein zwiespältiges Echo. Mögen sich die Kapitalisten auch für verkannte Sachwalter des Menschheitsinteresses halten, »gemeinnützige« Jobs bieten sie selbst nach herrschender Auffassung nicht an und kommen somit nicht in den Genuss des Sonderangebots. Der Bau- und Handwerksbranche wird angesichts möglicher staatlicher Billig-Konkurrenz sogar ein wenig mulmig. Einzelhändler und Tourismusverbände wiederum freuen sich auf Putzkolonnen, die für blitzblanke Innenstädte sorgen, oder, wie in Celle, auf die »City Scouts« genannten Einkaufstütenträger, die für einen Euro pro Stunde den Warenabsatz erhöhen sollen.

Aber das sind Partikularinteressen innerhalb der Kapitalistenklasse selbst. Sofern dieser ein Gesamtinteresse bei der Einführung von Hartz IV unterstellt werden kann, liegt es in der Deregulierung des Arbeitsmarkts. Die Arbeitslosen mit Zwangsdiensten zu schikanieren, ist aus ihrer Sicht nie verkehrt, sollte aber letztlich dazu führen, die Leute aus den Ämtern zu ekeln und ihnen so den Fluchtweg aus den Mühlen der Arbeit zu versperren. In den höflicheren Worten des Bundes Deutscher Arbeitgeber (BDA) hört sich das so an: »Die so genannten ›Ein-Euro-Jobs‹ können dazu beitragen, Langzeitarbeitslose zu aktivieren. Allerdings sind diese Arbeiten als Gegenleistung für den Transferbezug zu sehen und dürfen nicht dazu führen, dass auf dem zweiten Arbeitsmarkt ein höheres Einkommen erzielt werden kann als durch die Aufnahme einer regulären Beschäftigung. Klar muss auch sein, dass die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt Vorrang hat.«

Gemessen an diesem Kriterium stellt sich der Zeitschrift Capital die Reform als »Zitterpartie« dar. Hartz IV werde von vielen Kommunen »offenbar falsch« verstanden, da sie »das Verschieben von Jobsuchern in bürokratische Beschäftigungsmaßnahmen wieder aufleben« ließen. Korrekt rechnet das Unternehmerblatt vor, dass ein Arbeitsloser mit einem Ein-Euro-Job ein Nettoeinkommen von 900 Euro erzielen kann, und sieht darin »eine hohe Hürde beim Wechsel in den ersten Arbeitsmarkt«. Neidisch blickt die Zeitschrift nach Dänemark, wo Unterstützungsempfänger rücksichtslos zu »Null-Euro-Jobs« verdonnert werden.

Entsprechend propagiert das Münchner Ifo-Institut bereits »Hartz V« als dringend gebotenen nächsten Schritt. Als gravierender Fehler der nun in Kraft getretenen Reform gilt dem Think-Tank vor allem die deutlich eingeschränkte Zuverdienstmöglichkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt. Während der Zuverdienst durch Ein-Euro-Jobs, der in den meisten Fällen 1,50 Euro pro Stunde beträgt, nicht auf das Arbeitslosengeld angerechnet wird, gibt es bei Nebenjobs in der Privatwirtschaft herbe Abzüge. Nur 50 Euro dürfen ALG II-Empfänger zusätzlich verdienen, von jedem weiteren Euro werden 85 Prozent abgezogen. Das Ifo-Institut hegt daher Zweifel, ob die Reform dem Kampf gegen die »exzessiven Anspruchslöhne« dient oder nicht vielmehr Minijobs unattraktiv macht, so dass die Arbeitslosen »ihr Heil in der Schwarzarbeit suchen«. Ein-Euro-Jobs sieht das Institut nicht als Wunderwaffe, sondern als »Notanker«, da der Vermittlung in den freien Arbeitsmarkt Vorrang zukommen soll. Statt aufgeblähter öffentlicher Beschäftigung schwebt den Münchner Ideologen ein moderner Sklavenmarkt vor: »Der Staat darf die ihm anvertrauten Arbeitnehmer nicht selbst einsetzen, sondern muss sie meistbietend an die private Wirtschaft weiterverleihen.«

Schon arbeiten die Verantwortlichen an den geforderten Nachbesserungen. Um den Niedriglohnsektor auszuweiten, wollen Bundesregierung und CDU die Zuverdienstmöglichkeiten erweitern, Sachsen-Anhalt plant Kombilöhne als Alternative zu den Ein-Euro-Jobs, also die Subventionierung miserabel bezahlter Arbeiten in der Privatwirtschaft, während die Frankfurter Allgemeine Zeitung die »Abschaffung staatlicher Beschäftigungsprogramme« fordert.

Das bedeutet jedoch keineswegs, dass die Ein-Euro-Jobs nicht ihre ökonomische Rationalität besäßen. Diese erstreckt sich jedoch in erster Linie auf den Staatssektor selbst, in dem keine Mehrwertproduktion stattfindet, sondern lediglich deren Voraussetzungen geschaffen werden, von der Müllabfuhr über Bürokratie bis zu Kindergärten, Schulen und Sozialarbeit zur Aufzucht, Ausbildung und Disziplinierung der Arbeitskräfte. Indirekt kommt jede Kostensenkung in diesen Bereichen der kapitalistischen Plusmacherei zugute, da die Privatwirtschaft die gesamte Staatstätigkeit finanziert. Als vergleichsweise billige Alternative stellen die Ein-Euro-Jobs eine erhebliche Drohung gegen die Beschäftigten im Staatssektor und in den an ihn angeschlossenen Wohlfahrtsverbänden dar. Die gesetzliche Bestimmung, wonach die Tätigkeiten der Ein-Euro-Jobber »zusätzlich« sein müssen, um keine regulär Beschäftigten zu verdrängen, wurde im Wissen erlassen, dass sich genau dies weder exakt bestimmen noch verhindern lassen wird. Bleibt Gegenwehr weiterhin aus, werden sich Löhne und Arbeitsbedingungen im gesamten sozialen und öffentlichen Bereich verschlechtern. Und ist das Anspruchsniveau von Sozialarbeiterinnen, Bibliotheksangestellten oder Altenpflegern unter dem Druck der staatlichen Billigjobber erst einmal hinreichend gesunken, können die Ein-Euro-Jobs auch wieder in den Hintergrund treten.

Überdies ist der spektakulär-ideologische Effekt der ganzen Veranstaltung nicht zu übersehen. Im Zuge einer einschneidenden Neuzusammensetzung der Lohnarbeiterklasse wurde mehr als zwei Millionen Arbeitslosen über Nacht ihr bisheriger Rechtsanspruch auf Arbeitslosenhilfe entzogen, der somit keiner war – massenhafte Re-Proletarisierung und Demonstration staatlicher Souveränität auf einen Streich.

Der stumme Zwang der Verhältnisse wurde mit lautem Getöse so erfolgreich wieder hergestellt, dass sich nun reihenweise Arbeitslose »freiwillig« für die gemeinnützige Arbeit melden und auf Zwangsvermittlungen bislang weitgehend verzichtet werden kann. In der psychologischen Kriegsführung gegen die »Anspruchshaltung« der Lohnabhängigen, die viel zitierten »verkrusteten Strukturen« des Arbeitsmarktes, erfüllen die süffisanten Meldungen über die Massennachfrage nach den Ein-Euro-Jobs ihren Zweck.