»Diese Entführung ist ein Produkt des Krieges«

Loris Campetti

Am vergangenen Samstag ließ die italienische Friedensbewegung nach langer Zeit ihre Stimme wieder vernehmen. Unter dem Motto »Lasst uns den Frieden befreien« gingen 500 000 Menschen in Rom auf die Straße, um die Befreiung der im Irak entführten Journalistin Giuliana Sgrena und den Abzug italienischer Truppen aus dem Irak zu fordern. Aufgerufen zu der Demonstration hatte die kommunistische Tageszeitung il manifesto, für die Sgrena arbeitet. Loris Campetti ist Redakteur von il manifesto und leitet das Ressort International.

Federica Matteoni sprach mit ihm über die Entführung, die Mobilisierung und die Widersprüche innerhalb der Friedensbewegung.

Wie ist die Stimmung in der Redaktion nach dem Auftauchen des Videos mit den dramatischen Bildern aus der Geiselhaft von Giuliana Sgrena?

Emotional war es für uns sehr erschütternd, unsere Kollegin in diesem verzweifelten Zustand zu sehen. Vor dem Bildschirm haben wir uns verzweifelt und ohnmächtig gefühlt. Auf der anderen Seite zeigt uns dieses Video, dass sie noch am Leben ist, obwohl wir nicht wissen, wann es gedreht wurde. Wir warten noch auf ein Zeichen, dass sie jetzt noch lebt. Was uns und die Öffentlichkeit erschüttert hat, waren aber auch Giulianas Worte: Mit gebrochener Stimme sprach sie aus der Geiselhaft dieselben Worte, die sie als freier Mensch in ihren Berichten benutzte, um über die Grausamkeit des Krieges zu erzählen. Diese Berichte werden wir in der Zeitung so lange nachdrucken, bis sie wieder unter uns ist, um das weiterzumachen, was sie immer gemacht hat: engagierten Journalismus, der den Krieg aus der Perspektive seiner Opfer erzählt.

In Italien hat sich eine »nationale Front« gebildet, die quer durch alle Parteien, Organisationen und Bewegungen für die Befreiung von Giuliana Sgrena mobilisiert. Was halten Sie davon?

Von dieser großen Solidarität können wir in dieser Situation nur das Beste halten. Wir haben keine Wahl. Ich glaube, dass die Mobilisierung einerseits menschliche Beweggründe hat, andererseits Ausdruck einer deutlichen politischen Überzeugung ist, die – in Italien wie in anderen Ländern – von der Mehrheit der Leute vertreten wird, und zwar eine, die den Krieg als Mittel zur Lösung internationaler Konflikte ablehnt.

Auf der Demonstration am Samstag war die gesamte parlamentarische und vor allem die außerparlamentarische Opposition anwesend. Neben der Friedens- und Antiglobalisierungsbewegung haben Vertreter der jüdischen Gemeinde aus Rom, muslimische Verbände, katholische Organisationen, Gewerkschaften demonstriert. Die Regierungsparteien waren nicht dabei, denn unser Motto war: »Lasst uns den Frieden befreien«. Wir forderten die Befreiung Giuliana Sgrenas, der Libération-Reporterin Florence Aubenas und all derjenigen, die sich in den Händen von Entführern befinden, aber auch der irakischen Bevölkerung, die von Krieg und Terror gefangen ist. Dass die Regierungsparteien nicht dabei waren, ist selbstverständlich und auch gut. Sie haben in der vergangenen Woche für die Weiterfinanzierung der Irak-Mission abgestimmt. Die Distanz zwischen uns und ihnen könnte nicht größer sein.

Für die Befreiung von Giuliana Sgrena wird auch außerhalb Italiens mobilisiert. Man will insbesondere die muslimischen Communities und die Öffentlichkeit in der arabischen Welt erreichen. Was erwarten Sie davon?

Die Mobilisierung der arabischen Zivilgesellschaft ist ein Novum, noch nie erklärten sich so viele Organisationen, Redaktionen, Verbände in den arabischen Ländern so eindeutig. Al Jazeera sendet täglich unser Video, in dem wir erklären, wer Giuliana ist und was sie von diesem Krieg hält. Ohne die Sensibilisierung der Gesellschaft, in der sich der Terror manifestiert, kann man ihn nicht besiegen. Deshalb ist es wichtig, auf die arabische Zivilgesellschaft Druck auszuüben. Damit sich Geiselnehmer isoliert fühlen. Ich glaube, dieses Ziel haben wir bereits erreicht, die Entführer haben aus dem Innern ihrer Welt eine deutliche Botschaft bekommen.

Glauben Sie, dass die Geiselnehmer auf moralischen und politischen Druck reagieren werden? Das wäre das erste Mal, dass eine Entführung im Irak nur mit Appellen und Demonstrationen zu einem glücklichen Ende findet…

So naiv sind wir nicht. Es ist klar, dass die Entführer wissen, wer Giuliana ist und für welches Medium sie arbeitet. Dasselbe gilt für Florence Aubenas.

Wenn in diesem Fall einfache Freund-Feind-Muster funktionieren würden – und sie funktionieren nie –, würde man diese beiden Entführungen nicht verstehen. Frankreich ist nicht einmal eine Besatzungsmacht im Irak. Die Terroristen versprechen sich einen Gewinn von diesen Entführungen. Regierung und Geheimdienst machen ihren Job und führen Verhandlungen. Wir machen unseren Job und versuchen, die Öffentlichkeit zu mobilisieren, indem wir sagen: Wir lehnen Krieg und Kriegslogik ab – dazu gehört auch der Terror.

Mittlerweile scheint die italienische Friedensbewegung nur dann zu handeln, wenn Landsleute im Irak entführt werden.

Der Grund dafür ist, dass die Friedensbewegung keine politischen Partner in der parlamentarischen Opposition gefunden hat. Die linken und Mitte-links-Parteien sind nie entschlossen gegen diesen Krieg aufgetreten. Für die Friedensbewegung war es sehr schwierig, in dieser Situation konsequent Druck auf die Regierung auszuüben.

Innerhalb der Antiglobalisierungsbewegung ist die Solidarität mit dem so genannten irakischen Widerstand verbreitet. Glauben Sie, dass die radikale Linke in Italien sich mit der Frage des Terrors auseinandersetzen sollte?

Ja, das ist dringend nötig. Obwohl ich den Eindruck habe, dass diese uneingeschränkte, blinde Solidarität nur innerhalb eines kleinen Teils der Bewegung verbreitet ist, denke ich, dass die radikale Linke in dieser Frage eindeutig Stellung beziehen sollte. Der Terror ist der Hauptfeind der Zivilbevölkerung, das gilt nicht nur für den Irak, sondern allgemein. Auch in den siebziger Jahren war ich der Ansicht, dass die Terroristen Feinde der Arbeiterklasse waren und dass sie zu ihrer Niederlage beigetragen haben.

Andererseits bin ich davon überzeugt, dass der Terror im Irak ein Produkt dieses Krieges ist. Vor dem Krieg gab es im Irak eine schreckliche Diktatur, nicht aber diese Art von Terror. Die Entführung von Giuliana Sgrena ist ein Produkt des Krieges. Als Pazifist sehe ich keinen Unterschied zwischen einer britischen, italienischen oder amerikanischen cluster bomb und einer Autobombe. Ich lehne die vom Krieg in Gang gesetzte Gewaltlogik ab. Gegen diese Logik – nicht für den Widerstand oder gegen die Amerikaner – hat il manifesto am Samstag zur Demonstration aufgerufen.

Die Entführung als Produkt der Besatzung zu deuten, setzt aber einen Automatismus voraus, der im Terror eine Konsequenz von Krieg, Armut und Verzweiflung sieht. Ist das nicht eine indirekte Rechtfertigung von Terrorakten?

Das sehe ich nicht so. Selbstverständlich konstituiert sich der Terror als politisches Projekt. Ich will auf keinen Fall dem Terror seine »Subjektivität« absprechen, noch weniger ihn irgendwie rechtfertigen. Aber worin besteht dieses politische Projekt? Darin, die Welt in ein Schlachtfeld zu verwandeln. Was ich sage, ist: Jeder Krieg unterstützt genau dieses Projekt, es sei denn, man glaubt an die schöne Geschichte, dass Demokratie, Freiheit und Frieden herbeigebombt werden können. Ich glaube nicht an diese Geschichte, und ich bin nicht der einzige, wie 500 000 Menschen am Samstag in Rom bewiesen haben.