Hi, How Are You?

Auf der Berlinale gab es einige hübsche Musikfilme zu sehen, so genannte Rockumentaries. von axel grumbach

Das Genre der so genannten Rockumentaries hat etliche schauderhafte Werke hervorgebracht, die sich hervorragend als Anschauungsmaterial für die große Verblödungskraft des Rock’n’Roll-Lifestyle eignen und die durch ihre unfreiwillige Komik manchmal sogar unterhaltsamer sind als so manche Parodie (»Spinal Tab« und Co.).

Meist entlocken einem diese prätentiös inszenierten Nabelschauen jedoch nicht mal mehr ein müdes Lächeln, zu austauschbar und oft benutzt sind die immergleichen Versatzstückchen aus dem Rock’n’Roll-Drama-Baukasten (famoser Aufstieg der Band, schwieriges zweites Album, Abstieg, Mitgliederwechsel, Drogensucht, Reha, Comeback). In der von gefälligen Auftragsarbeiten geprägten Branche hat es in der letzten Zeit dennoch einige wohltuende Ausnahmen gegeben, z.B. im vergangenen Jahr, als in der furiosen Metallica-Selbstentblößung »Some Kind of Monster« die Bandmitglieder sich in einer zwei Jahre andauernden Therapiesitzung die Machomasken vom Gesicht reißen ließen und die Heavy-Metal-Gemeinde mit der Erkenntnis schockten, dass sie nicht nur millonenschwere Arschlöcher sind, sondern dazu auch noch verdammt gefühlig und dies auch gerne vor laufender Kamera zeigen.

Ähnliche emotionale Eruptionen boten auch die diesjährigen Musik-Dokumentarfilme auf der Berlinale, nur fanden diese zumeist auf den wenig beachteten Pfaden jenseits des großen Mainstream statt. Auf diesen tourt die Berliner Rockband Mutter nun schon seit fast 20 Jahren recht erfolgreich bzw. erfolglos und sorgt mit ihrem ebenso brachial wie ziellos mäandernden Noiserock dafür, dass ihr bis zum heutigen Tage niemand den Ruf als »härteste Band Deutschlands« streitig machen konnte.

Die Regisseurin Antonia Ganz portraitiert in »Wir waren niemals hier« diese einzigartige Erscheinung der deutschen Musikszene mit der ganzen liebevollen Unbedarftheit eines hingebungsvollen Fans (immerhin ist sie mit dem Sänger Max Müller befreundet), was bis auf einige Längen (ausufernde Konzertmitschnitte/Videoclips) nicht groß stört.

Problematisch ist höchstens die Tatsache, dass eine Formation, die früher gerne stolz auf ihre Negativpressemappe hinwies, nun so positiv dargestellt wird. Den ganzen Streifen hindurch summt ein arg Hamburg-lastiger Chor (u.a. Jochen Distelmeyer, Rocko Schamoni, Alfred Hilsberg) das Hohelied der Genialität von Mutter. Einen einzigen Missklang gibt es am Anfang des Films durch einen mauligen Kommentar der langjährigen, mittlerweile ehemaligen Managerin der Band, Gundula Schmitz, die 1997 im Streit von Mutter schied und nun fragt: »Wozu sollte man über diese Band einen Film machen?«

Diese Frage stellte sich, trotz der Tatsache, dass die Bandgeschichte nach den üblichen Rock’n’Roll-Maßstäben etwas arm ist an spektakulären Ereignissen, für Mutter aber nicht. Vielmehr kommt sie ihrer programmatischen Maxime, »alles immer anders machen zu wollen als andere«, sogar eher entgegen – der Holzweg, könnte man sagen, ist bei ihnen das Ziel.

Be einer anderen Dokumentation über musikalische Außenseiter, »The Devil and Daniel Johnston«, reicht allein der Irrsinn des Hauptdarstellers, um genügend Handlung für einen Film zu haben. Daniel Johnston ist nun schon seit 20 Jahren der absonderliche Star der US-Indie-Szene, eine lebende und leidende Legende. Der Regisseur Jeff Feuerzeig hat ihm nun in vierjähriger Entstehungzeit ein filmisches Denkmal gesetzt. Die Chronik der Odyssee des manisch-depressiven Sängers ist zugleich fulminantes Doku-Drama wie auch Hommage eines leidenschaftlichen Fans.

Bereits als Teenager begehrte DanielJohnston gegen das christlich-fundamentalistische Elternhaus auf und bekämpfte seine Mutter mittels selbstgedrehter Super-8-Filme, landete nach einem kurzem Ausflug auf die Kunstschule Mitte der achtziger Jahre in Austin, Texas, und arbeitete dort bei McDonald’s. In der Garage seines Bruders nahm er unzählige Songs auf, die zwischen kindlicher Verspieltheit und herzzerreißender Traurigkeit hin- und herschwanken, u.a. entstand dabei seine meisterliche Platte »Hi, how are you?«. Er begann, seine Songs mit mörderischer Gitarrenschrammelbegleitung in Clubs vorzutragen, und lieferte schließlich einen viel beachteten MTV-Auftritt ab.

Nach einigen LSD-Trips zu viel geriet sein Leben dann vollends aus den Fugen, eine Psychose löste religiöse Wahnvorstellungen aus, die ihn fortan fast überall satanische Verschwörungen sehen lassen. Er verprügelte seinen Manager mit einen Bleirohr, wurde in die Psychiatrie eingeliefert, zog zu seinen Eltern, attackierte eine ältere Frau, wurde für längere Zeit eingewiesen, wurde vorübergehend von Sonic Youth betreut, nahm mit Kramer eine LP auf, wurde von Kurt Cobain gehypt, brachte bei einem Flug fast sich und seinen Vater um, entfachte bei zwei Major-Plattenfirmen einen Bieter-Krieg, brachte ein Major-Album raus, das sich schlecht verkaufte, absolvierte eine Europa-Tournee, lebt heute bei seinen Eltern und ernährt sich ausschließlich von Junkfood.

Die Qualität dieser faszinierenden Dokumentation ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass sich der Regisseur aus einem reichhaltigen Fundus an vorhandener Footage bedienen konnte, da Johnston seit seiner Kindheit eine permanente Selbst-Dokumentation anhand von Musikaufnahmen, Zeichnungen und Filmen betreibt.

Auch bei Jürgen Teipels und Sigrid Harders Film »Verschwende deine Jugend.doc« geht es hauptsächlich um Recycling und das Remixen von altem Material. Nach Buch, CD, Ausstellung und Spielfilm gibt es die »Verschwende deine Jugend«-Punk-und-New-Wave-in-Deutschland-Aufarbeitung nun also auch als eine Art Dia-Show mit Originalfotos, unterlegt mit O-Tönen der für das Buch Interviewten. Die visuelle Erweiterung dieser Oral History gibt den im Buch beschriebenen Personen Gesichter, und die thematisch strukturierten Kapitel machen den Film zu einer unterhaltsam präsentierten Kurzversion des jetzt schon klassischen Werkes über den Aufstieg und Niedergang von Punk und New Wave in Deutschland.