Jagd auf Kopfgeld

Ein-Euro-Jobs heißen jetzt »Gemeinwohlarbeit«. Auch die Wohlfahrtsverbände mischen kräftig mit beim Essener Modell. von tobias hanke

Katja S. traut ihren Augen nicht, als sie eines Morgens in ihrer ruhigen Wohnstraße im Essener Stadtteil Steele eine mit Spaten und Besen bewaffnete Kolonne von sechs jungen Männern den Bürgersteig entlanglaufen sieht, offensichtlich sind sie zur Straßenreinigung abgestellt. Neben ihnen her fährt im Schritttempo ein VW-Bus mit dem Schriftzug der »Neuen Arbeit«, dem lokalen Beschäftigungsprojekt des Diakonischen Werkes. Im Wagen sitzt der Anleiter, der die Arbeitskolonne bei ihrer Tätigkeit überwacht. »Auf meinen empörten Anruf beim Geschäftsführer der ›Neuen Arbeit‹, Michael Stelzner, behauptete dieser, dass es sich unmöglich um eine Einsatzgruppe der ›Neuen Arbeit‹ gehandelt haben könne«, erzählt Katja S.

Vermutlich handelte es sich bei den Straßenarbeitern um Teilnehmer an einem Vorlaufprojekt zur Einführung von Ein-Euro-Jobs in Essen. Seit Oktober vergangenen Jahres wurden »auf freiwilliger Basis« über 600 Stellen im Bereich der »Gemeinwohlarbeit« mit Langzeitarbeitslosen besetzt. Die »Neue Arbeit« ist gemeinsam mit anderen Beschäftigungsträgern federführend bei der Koordination und Besetzung dieser Stellen.

Noch befindet sich das Projekt in der Erprobungsphase, doch eine Vielzahl kleinerer Träger bietet bereits 1 500 Beschäftigungsmöglichkeiten an. Die fristgemäße Einführung der Pflichtarbeit scheiterte bisher daran, dass die kommunale Arbeitsgemeinschaft der Arbeitsagentur und des Sozialamts (Arge) noch nicht in vollem Umfang arbeitsfähig ist. Die Behörde war bislang vor allem mit der Bearbeitung der 34 000 Anträge auf Arbeitslosengeld II beschäftigt. Spätestens im April soll das Projekt mit seinen Eingliederungsvereinbarungen und Zuweisungen jedoch angelaufen sein.

Bereits jetzt laden die Jobcenter ihre Kandidaten nicht nur in Essen, sondern in der ganzen Bundesrepublik in Gruppen zu so genannten Beratungsgesprächen ein. Dort müssen sie nach ihrem Antrag auf Arbeitslosengeld II einen zweiten Fragebogen ausfüllen. Sollten sie nicht dazu bereit sein, berufsfremd sowie bei Zeitarbeitsfirmen und Personalverleihern zu arbeiten, an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung teilzunehmen und im ganzen Bundesgebiet vermittelt zu werden, wird ihnen mit dem Entzug des Arbeitslosenstatus gedroht. Auch mit einer Weitergabe ihrer persönlichen Daten an Dritte müssen sie sich einverstanden erklären. Die Landesdatenschutzbeauftragte in Nordrhein-Westfalen, Bettina Sokol, sieht darin »einen frappierenden Verstoß gegen das Sozialdatengeheimnis«.

In Essen haben die großen Beschäftigungs- und Qualifizierungsträger, die Essener Arbeit- und Beschäftigungsgesellschaft (EABG), die Jugendberufshilfe (JBH) und die »Neue Arbeit« der Diakonie im Auftrag der Arbeitsagentur und der Stadt ein Konzept für ein »Netzwerk der Gemeinwohlarbeit« erarbeitet. Die Idee, den vorbelasteten Begriff der Ein-Euro-Jobs durch die wohlklingende Formel von der »Gemeinwohlarbeit« zu ersetzen, stammt aus einem Entwurf des Paritätischen Wohlfahrtsverbands.

Für Hans-Peter Leymann-Kurtz, ein Mitglied des Essener Kreisvorstandes des Verbandes, handelt es sich »angesichts der hemmungslosen Verwertung des Rohstoffs Arbeitslose bei dem Begriff der ›Gemeinwohlarbeit‹ um einen zynischen Euphemismus«. Der Kern des Konzeptes ist die Einrichtung von zwei »Fachstellen Gemeinwohlarbeit«, die gemeinsam von der EABG, der Jugendberufshilfe und der »Neuen Arbeit« getragen werden. Sie sind die Vermittlungsinstanz zwischen den »Fallmanagern« der Arge und den 80 bis 100 kleineren Trägern von Ein-Euro-Jobs.

Die Fachstellen bemühen sich aktiv um die Akquisition von neuen Arbeitsstellen. Den kleinen Trägern und Vereinen wird dabei eine »passgenaue Zuweisung« der gewünschten Arbeitskräfte versprochen. Bei Konflikten helfen die Fachstellen den Trägern und beraten sie. Zur Krisenintervention stehen Sozialarbeiter und Sozialpädagogen bereit. Renitente oder unzuverlässige Teilnehmer können bei den Fachstellen wieder »umgetauscht« werden.

Die Kandidaten für Ein-Euro-Jobs müssen in der Regel bei den Fachstellen eine zwei- bis dreimonatige Einstiegs- und Erprobungsphase absolvieren. Dort wird ihre Arbeitsfähigkeit und -willigkeit getestet. Wer sich bewährt, wird für zunächst sechs Monate einem kleineren Träger zugewiesen. Die vermeintlich Unqualifizierten oder Unproduktiven bleiben in den Arbeitskolonnen der großen Träger. Wer bummelt, krankfeiert oder blaumacht, muss zurück zu seinem »Fallmanager« und wird mit den vorgesehenen Sanktionen bedacht. Bei den unter 25jährigen kann die Verweigerung der Pflichtarbeit zur vollständigen Einstellung der Förderung führen. Den Anbietern der Jobs wird die »Gemeinwohlarbeit« als billiger Ersatz für Zivildienstleistende oder wegfallende Maßnahmen unter dem Motto »Arbeit statt Sozialhilfe« angedient.

Die Fachstellen der Beschäftigungsträger funktionieren in diesem Modell quasi wie eine Leiharbeitsagentur für Pflichtarbeitskräfte. Sie halten die Konflikte, die bei der Einsetzung der Arbeitsdienste entstehen, von der Arge fern. Dafür werden sie mit der Zuweisung der vollständigen »Fallpauschale« von 500 Euro pro Monat und Teilnehmer honoriert. Nur ein kleinerer Teil dieser Pauschale landet als Mehraufwandsentschädigung bei den Pflichtarbeitern.

In Essen werden 1,25 Euro pro Stunde gezahlt. Rund 300 Euro bleiben also bei den Fachstellen. Mit diesen »Kopfgeldern« haben sich die großen Essener Beschäftigungsträger ein äußerst lukratives neues Geschäftsfeld erschlossen. Das Budget der Arge zur Einführung der Ein-Euro-Jobs in Essen beläuft sich auf immerhin 63 Millionen Euro.

Wohlfahrtsverbände wie die Caritas und der Paritätische Wohlfahrtsverband versuchen, mit der Einrichtung eigener Koordinierungsstellen für Ein-Euro-Jobs auch noch ein Stück von dem großen Kuchen zu ergattern. Die zuvor noch zaghaft von den Verbänden geäußerte Kritik an der erzwungenen Beschäftigung ist seitdem verstummt.

Langfristig sollen allein in Essen 7 000 Beschäftigungsgelegenheiten eingerichtet werden. Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, suchen die Stadt und die Bundesagentur weiter nach gemeinnützigen Trägern. Die Kriterien der Gemeinnützigkeit und Zusätzlichkeit sind leicht zu erfüllen. »Selbst Pflichtaufgaben können zusätzlich sein, wenn kein Geld zur Finanzierung regulärer Stellen zur Verfügung steht«, sagt der Leiter der Essener Arbeitsagentur, Udo Glantschnig. Augenzwinkernd verkündete er auf einer Werbeveranstaltung der Agentur, dass eine allzu genaue Überprüfung der zukünftigen Einsatzstellen nicht vorgesehen sei.

Der Fantasie sind auf der Suche nach neuen Tätigkeitsfeldern keine Grenzen gesetzt. So lässt sich die Essener Jägerschaft ihr marodes Jagdhaus mit Hilfe von Ein-Euro-Jobbern renovieren. Die Essener Verkehrs-AG (Evag) setzt in Zukunft in ihren Bussen und Bahnen 20 Ein-Euro-Kräfte als »Mobilitätsbegleiter« ein. Diese Streifen- und Servicedienste wurden bislang von hauptamtlichen Mitarbeitern einer Tochtergesellschaft der Evag erledigt. Trotz Bedenken hat der Verdi-Betriebsrat der Einrichtung dieser Beschäftigungsgelegenheiten zugestimmt.