Alle werden Opfer

In Spremberg soll »aller Opfer von Krieg und Gewalt im 20. Jahrhundert« gedacht werden. Ob auch NSDAP-Mitglieder dazu zählen, ist noch nicht entschieden. von christoph schulze

Es geht in Spremberg, Südbrandenburg, um moralische Werte wie Gerechtigkeit, um historische Korrektheit, um die Herstellung eines überfälligen Gleichgewichts.

Auf einer Anhöhe im Stadtgebiet, dem Georgenberg, befinden sich ein sowjetischer und ein deutscher Soldatenfriedhof, der im Jahr 1900 errichtete Bismarckturm sowie das aus DDR-Zeiten stammende Mahnmal für NS-Widerstandskämpfer, die von den Nazis ermordet wurden. Nun hat die Stadt beschlossen, den als »zu einseitig« empfundenen Gedenkort umzugestalten. An dem bisher NS-Opfern vorbehaltenen Denkmal soll nunmehr »aller Opfer von Krieg und Gewalt im 20. Jahrhundert« gedacht werden.

Dazu gehören, wie auf jeweils separaten Bronzetafeln an der Stützmauer zu lesen sein wird, deutsche Flüchtlinge und Vertriebene nach 1945, Kriegsopfer unter der Spremberger Zivilbevölkerung aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, die in beiden Weltkriegen gefallenen deutschen Soldaten und die Opfer des Stalinismus. So wurde es in der vergangenen Woche auf der Stadtverordnetenversammlung mit 19 zu zwölf Stimmen entschieden. Nicht vorgesehen ist indes ein Gedenken an die jüdischen Einwohner Sprembergs, die unter der Naziherrschaft zu leiden hatten. Ansonsten sind die Kriterien dafür, wer als Opfer gelten darf, nicht sehr streng.

Vorgeschlagen sind als Opfer des Stalinismus, derer namentlich gedacht werden soll, auch lokale NSDAP-Mitglieder. Zunächst waren vier Nazis im Gespräch, nach langen Diskussionen sind noch zwei übrig geblieben. Allein die Zugehörigkeit zur NSDAP sei kein Ausschlussgrund, befand Egon Wochatz (CDU), ehemaliger Bürgermeister Sprembergs und Vorsitzender des 70 Mitglieder zählenden Georgenbergvereins, der sich seit 1999 für die Umgestaltung des Denkmals eingesetzt hat. »Sehr jung« sei etwa einer der vorgeschlagenen Nationalsozialisten bei seinem Parteieintritt gewesen. »Die Leute sind von uns gewissenhaft geprüft worden.« Biografische Details über die Genannten sind nicht bekannt beziehungsweise werden bislang »aus Rücksicht auf die Verbliebenen« vom Georgenbergverein der Öffentlichkeit vorenthalten.

Für seine Argumentation erntete Wochatz kaum Kritik. Das war bei Entgleisungen in der Vergangenheit anders, etwa als er im vergangenen Jahr einem Treffen von ehemaligen Angehörigen der Division »Frundsberg« der Waffen-SS beiwohnte. Oder als er im Jahr 1999, damals noch Bürgermeister, die tödliche Hetzjagd von Neonazis auf einen Algerier in Guben mit dem Satz kommentierte: »Was hatte der auch nachts auf der Straße zu suchen?«

Wem auf dem Georgenberg namentlich gedacht werden soll, wurde auf der Stadtverordnetenversammlung noch nicht entschieden. Die SPD äußert derweil zaghaft Einwände: In einem Atemzug mit Mitgliedern der NSDAP wolle man den Sozialdemokraten Ernst Tschickert nicht genannt wissen, der in einem Nazi-Zuchthaus einsaß und nach 1945 in einem Lager des NKWD spurlos verschwand. Im Großen und Ganzen unterstützt aber die SPD – zusammen mit der FDP, der CDU und einem Zusammenschluss freier Wählergemeinschaften – das neue Gedenkkonzept. Dass Opfer und Täter der NS-Zeit durch die Umfunktionierung des Mahnmals gleichgestellt werden könnten, befürchtet lediglich die PDS.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende in der Spremberger Stadtverordnetenversammlung, Hartmut Höhna, hält dem entgegen, dass gerade durch ein umfassendes Gedenken »einer Polarisierung vorgebeugt« werde. Alexander Adam, Sprecher der Stadt Spremberg, wies die Jungle World darauf hin, dass die Umgestaltung schließlich nicht die erste sei: »Das Denkmal war ja ursprünglich für die im ersten Weltkrieg gefallenen deutschen Soldaten da. Erst in den fünfziger Jahren wurde es zu einem Mahnmal für Opfer des Faschismus gemacht.«