»Man akzeptiert keine Alternative zur Ehe«

Necla Kelek

Der mutmaßliche »Ehrenmord« an Hatun Sürücü Anfang Februar in Berlin hat die Debatte über die Situation türkischer Frauen in Deutschland neu entfacht. Diesem Thema widmet sich auch Necla Keleks Buch »Die fremde Braut«, das kürzlich bei Kiepenheuer & Witsch erschienen ist. In einer Mischung aus autobiografischer Erzählung, Reportage und politischer Analyse schildert die promovierte Soziologin die Praxis der arrangierten Ehen und den Alltag von »Importbräuten«. Ihre Kritik richtet sich den islamischen Ehrenkodex wie gegen die deutsche Einwanderungspolitik.

An der Buchpräsentation in der vorigen Woche in Berlin nahmen Cem Özdemir und Otto Schily teil, der das Buch im Spiegel rezensiert hat. Mit Necla Kelek sprach Deniz Yücel.

Durch den mutmaßlichen »Ehrenmord« an Hatun Sürücü hat Ihr Buch eine furchtbare Aktualität gewonnen. Welche Konsequenzen sind aus diesem Fall zu ziehen?

Ich freue mich, dass der Türkische Bund Berlin-Brandenburg zusammen mit Frauenorganisationen ein Programm gegen die Diskriminierung und Unterdrückung von Frauen vorgestellt hat. Es ist wichtig, dass sich endlich auch die türkischen Organisationen dieser Fragen annehmen. Eine Konsequenz aus diesen Fällen – der Mord an Hatun Sürücü ist ja kein Einzelfall – muss lauten, dass in den Schulen und anderswo Aufklärungsarbeit betrieben wird. Wir müssen auch über gewaltfreie Erziehung in der Familie sprechen, weil diese Dinge aus einer bestimmten Erziehung resultieren.

Ist Gewalt gegen Frauen allein ein Problem von Türken und Arabern?

Natürlich nicht, Gewalt gegen Frauen findet sich auf der ganzen Welt. Ich habe mich aber einer bestimmten Gruppe von Frauen angenommen, die keine Stimme in dieser Gesellschaft hat. Ich spreche im Übrigen nicht nur über Gewalt gegen Frauen, sondern auch über Gewalt gegen Kinder. Ich spreche davon, dass in diesen Familien Kinder als Eigentum behandelt werden. Diese Willkür ist nicht mit den demokratischen Prinzipien unserer Gesellschaft vereinbar.

Wie funktioniert eine arrangierte Ehe?

Zwei Familien treffen sich und sagen: Ihre Tochter passt prima zu unserem Sohn. Komm her, Hasan, findest du die Fatma nicht schön? Die passt zu uns. Na gut, nehm’ ich. Eine Alternative zur Ehe gibt es für die beiden nicht. Und für sie ist es selbstverständlich, dass die Familien übereinkommen müssen. Das Kind ist so erzogen, dass es gar nicht fragt: Werde ich mit diesem Menschen glücklich? Diese Erziehung zur Unmündigkeit ist das Problem. Und das Kind, das nicht gelernt hat, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, überträgt dieses Defizit auf die eigenen Kinder. Die Grenzen zwischen einer erzwungenen und einer arrangierten Ehe sind fließend. Ob ein Mädchen zum Heiratsvorschlag ihrer Eltern nickt, schweigt oder gegen ihren erklärten Willen verheiratet wird – ihren Partner und ihre Lebensweise kann sie so oder so nicht selbst bestimmen. Durch arrangierte Ehen werden jährlich tausende türkischer Frauen nach Deutschland »importiert«. Sie kommen mit vagen Hoffnungen auf ein besseres Leben, aber die meisten von ihnen kommen nie in dieser Gesellschaft an. Die jüngste »Importbraut« ist elf Jahre alt. Elf!

Werden diese Ehen nicht weniger?

In der Türkei gibt es seit 80 Jahren eine Modernisierungsbewegung. Im Laufe dieses Prozesses, der sich gegen islamisch geprägte Traditionen gewandt hat, hat sich die Idee durchgesetzt, dass der Mensch ein Individuum ist. Dazu gehört, dass sich junge Menschen finden und selbst entscheiden können, ob sie heiraten. Ledig bleiben, heute eine Freundin haben und in zehn Jahren vielleicht eine andere – das erlaubt selbst der moderne Teil der türkischen Gesellschaft nicht. Viel schlimmer sieht es im anderen Teil aus. Durch die Landflucht und die Re-Islamisierung hat diese Kultur auch die westlichen türkischen Städte erreicht. In Gegenden wie Istanbul-Fatih trägt jede dritte Frau einen Tschador. Glauben Sie, dass sich diese Frauen ihre Ehemänner selbst aussuchen? Dass eine Frau in der anatolischen Provinz die Möglichkeit hat, ihren Ehepartner in einer Diskothek kennen zu lernen? Die islamische Kultur dominiert inzwischen das Land und hat ihren eigenen Ministerpräsidenten hervorgebracht.

Recep Tayyip Erdogan und sein Personal entstammen zwar der islamistischen Bewegung, aber sie haben eine Reihe von demokratischen Reformen zustande gebracht, auch im Hinblick auf die Frauenrechte.

Das stimmt. Aber wenn die Regierung Erdogan die Strafmilderung bei »Ehrenmorden« abschafft, heißt das nicht, dass sie sich für die Rechte der Frauen einsetzt. Diesen Leuten ist es zu verdanken, dass in der heutigen Türkei massenhaft Frauen bandagiert herumlaufen. Und eines Tages wird es ein böses Erwachen geben.

Sie verhandeln feudale Vorstellungen zusammen mit dem politischen Islam. Die selbstbewusste islamistische Frau taucht in Ihrem Buch ebenso wenig auf wie der Vater, der seine Tochter als Eigentum betrachtet, aber die säkulare Ordnung gutheißt.

Mit diesen Frauen, etwa den Kopftuchstudentinnen, habe ich mich bewusst nicht auseinandergesetzt. Sie werden wahrgenommen. Ich spreche über die schweigende Mehrheit der Frauen mit Kopftuch, die nicht selbst sprechen dürfen. Aber es wundert mich, dass diese vermeintlich selbstbewussten Musliminnen immer über sich selbst reden, nie über ihre unterdrückten »Schwestern«. Allerdings kann ich auf diese Art von selbstbewussten Frauen verzichten. Sie berufen sich auf den Koran und bestehen auf dessen wörtlicher Auslegung. Und der macht Frauen zu den Gefangenen der Männer. Unter einer bürgerlichen Gesellschaft verstehe ich etwas anderes, als dass wir uns einem Gott unterwerfen, der mir vorschreibt, wie ich meine Füße zu waschen habe.

Sie kritisieren deutsche Linke und Liberale dafür, dass sie »noch die Intoleranz und alltägliche Gewaltverhältnisse als Bestandteil eines ›anderen kulturellen Kontextes‹« hinnähmen. Geht die Debatte seit dem 11. September 2001 nicht in die entgegengesetzte Richtung?

In fast allen Institutionen gibt es doch diese gutwilligen Menschen. Vor 15 Jahren habe ich mich in meiner Diplomarbeit damit auseinandergesetzt, warum die Integration muslimischer Frauen nicht so gelingt wie die italienischer Frauen. Seit 15 Jahren beschäftige ich mich mit dem Islam im Alltag, und ich habe niemanden bei den Grünen oder den Sozialdemokraten gefunden, der meine Kritik unterstützt hätte. Alle waren davon überzeugt, dass man fremde Kulturen akzeptieren müsse und jeder nach eigener Fasson glücklich werden könne. Die Vorstellung lautet, dass die Ausländer arm und gut sind und vor Rassismus beschützt werden müssen. Dabei übersieht man, wie ein Teil dieser Leute mit ihren Frauen umgeht.

Der Ton ist doch viel rauer geworden …

Herr Schily lässt sich nicht alles gefallen. Aber Sanktionen gibt es höchstens, wenn einer ruft: »Tod den Deutschen!«

Ist der Rückzug vieler Einwanderer auf den Islam nicht auch eine Folge ihrer Ausgrenzung?

Dass die Integration der Mehrheit der hier lebenden Türken gescheitert ist, hat verschiedene Gründe: die verfehlte Integrationspolitik, die von der Lebenslüge getragen war, Deutschland sei kein Einwanderungsland, die kulturrelativistische Sicht auf die Ausländer, Fremdenhass und strukturelle Benachteiligung der Einwanderer. Aber es wäre zu einfach, die Schuld allein der deutschen Gesellschaft zu geben. Ein großer Teil der türkischen Einwanderer scheint eine Integration gar nicht zu wollen.

Ihr Verlag nennt Sie im Klappentext eine »Türkin mit deutschem Pass«. Keine allzu republikanische Formulierung.

Ich fühle mich als Teil dieses Landes. Ich bin gebürtige Türkin mit deutschem Pass.