Ein Land auf Warp 7

Weil Hartz IV zu scheitern droht, soll das Reformtempo noch einmal erhöht werden. Über die Beschleunigung der Politik. von felix klopotek

Das geht zu schnell, da kommt man nicht mehr mit. Bereits jetzt, Anfang März, häufen sich die Hinweise, die der politisch-kulturindustrielle Komplex bald zu einem Bild verdichten könnte: Hartz IV ist gescheitert. Was man in der vorigen Woche über »den Sand im Hartz-IV-Getriebe« (stern-online) lesen konnte, ist nicht die übliche Nörgelei. Diese hätte es Anfang Januar gegeben, wenn die Umstellung auf das neue Arbeitslosengeld II (ALG II) nicht funktioniert hätte. Das hat sie aber, und die Presse und die Öffentlichkeit waren milde und zukunftsfroh gestimmt. Nun liest man von zusätzlichen Kosten für den Bund in Höhe von 6,4 Milliarden Euro wegen Hartz IV. Minuspunkt Nummer eins: Die Regierung hat schlecht gerechnet.

Man liest von Streitigkeiten zwischen dem Bund und den Kommunen. Die Kommunen, die chronisch pleite sind, sollen arbeitsunfähige Sozialhilfeempfänger, Koma-, Aids - und Suchtkranke, wie Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) meint – so zynisch sei dieser Vorgang –, für arbeitsfähig erklärt haben, damit sie ALG II erhalten. Die Kommunen würden dadurch finanziell entlastet, denn das ALG II bezahlt der Bund. Minuspunkt Nummer zwei: Hartz IV wird zur Schmierenkomödie, in der sich der Bund und die Kommunen abwechselnd die Schuld zuweisen.

Man liest weiter von fehlenden Vermittlern und überforderten Arbeitsagenturen. Die versprochene Relation, dass ein Berater auf 75 »Kunden« komme, scheint auf längere Sicht nicht erreichbar. Minuspunkt Nummer drei: Die Verwirklichung von Hartz IV ist nicht realitätsgerecht geplant worden.

Last not least: 600 000 Ein-Euro-Jobs will Clement in diesem Jahr schaffen. Ende Januar waren es 74 000, und schon beginnt das Gestöhne. Wo soll man eigentlich die vielen gemeinnützigen Minijobs einrichten, wenn die Lobby der Privatwirtschaft bereits jetzt unzulässige Konkurrenz durch Billigarbeitskräfte fürchtet? Wenn, und das steckt schließlich hinter den Warnungen vor der Konkurrenz, der Bedarf an so genannter gemeinnütziger Arbeit schlicht gedeckt ist? Minuspunkt Nummer vier: Hartz IV schafft gar keine Jobs.

In diesem Umstand dürfte allerdings die Rettung von Hartz IV verborgen sein. Die Reform ist, das ist den klügeren Geiferern auch aufgefallen, bloß eine der Arbeitsvermittlung. Es geht gar nicht darum, Arbeitsplätze zu schaffen, sondern, wie es so schön heißt, um die Bedingungen der Möglichkeit. Wenn Hartz IV also nicht unter dem Gesichtspunkt der zu schaffenden Arbeitsplätze, sondern unter dem der »besseren Vermittlung« gesehen wird, werden die Mängel der Reform zu Mängeln der Politik. Wenn die Politik – oder »die Bürokratie« – das Problem ist, so kann der herrschenden Logik zufolge die Lösung nur darin bestehen, dass die Regierung noch schneller und rücksichtsloser mit ihren »Reformen« fortfährt. Was das heißt, ist klar: Arbeitskräfte müssen noch billiger verfügbar sein, die klassische Kartellierung des Arbeitsmarktes, hier die Gewerkschaften, da das Kapital, darf es nicht mehr geben. »Freigabe von Lohnabsprachen im Betrieb«, heißt die Zauberformel.

Es ist ein geschlossenes Wahnsystem. So muss jedem, der auch nur versucht, eine Außenperspektive einzunehmen, der kulturindustriell-politische Komplex derzeit anmuten. Alles hängt mit allem zusammen, alles verweist auf alles. Die Wahlergebnisse von Schleswig-Holstein werden direkt auf die heillose Situation auf dem Arbeitsmarkt bezogen. Jedes Scheitern wird mit der Aufforderung verknüpft, nun noch unerbittlicher weiterzumachen, jeder Erfolg mit dem Hinweis, das sei noch nicht genug.

Dabei weiß insgeheim jeder, dass nach Jahren der Steuersenkungspolitik der Staat auf den Bankrott zusteuert, dass die sagenumwobenen »Handlungsspielräume« verschwinden, es also völlig egal ist, ob die CDU oder die SPD in anderthalb Jahren den Kanzler stellt. Aber nicht trotzdem, sondern deswegen werden die Reformen vorangetrieben, denn ihre Logik kennt nicht den Ausstieg aus dem letztlich haltlosen Akkumulationsprinzip.

Hartz IV scheitert also nicht, und wenn doch, dann nur weil Hartz IV nicht konsequent genug in die Tat umgesetzt wurde, was schließlich den Ruf nach der nächsten Reform impliziert. Ein Perpetuum Mobile. Wer auf die »Fehler« der Reform zeigt, um an ihnen zu demonstrieren, dass der Kapitalismus nun mal nicht reibungslos funktioniert, sondern sich permanent in großes Elend erzeugende Widersprüche verwickelt, wird Achselzucken erleben: Niemand hat behauptet, dass Hartz IV ein Spaziergang wird oder gar des Rätsels Lösung ist.

Die Flexibilität des Kapitalismus besteht darin, die Widersprüche immer wieder auf andere Ebenen zu verschieben. Die Konflikte des Arbeitsmarktes werden zu Konflikten der Arbeitsvermittlung, schließlich zu solchen der Politik, der Nation und jederzeit zu denen der Bürger: Habe ich mich wirklich »fit gemacht« für den Markt?

Es ist zwar immer ein und derselbe Konflikt: Das, was für die einen, die Lohnabhängigen, der Lebensunterhalt ist, ist für die anderen, die Unternehmer, eine negative Größe in der Kalkulation, die tendenziell gegen Null gehen muss; Arbeit ist für sie also immer zu teuer. Aber der Konflikt stellt sich auf jeder politischen und sozialen Ebene anders dar.

Anfang des Jahres fand die Aktion »Agenturschluss« statt, symbolisch wurden Arbeitsagenturen als Orte der autoritären Armutsverwaltung und der neuen Zwangsarbeit belagert. Die Aktionen hatten allenfalls bescheidenen Erfolg, viele Arbeitslose sollen sich von den linken Aktivisten regelrecht belästigt gefühlt haben. Wenn man schon den demütigenden Gang zur Behörde antreten muss, dann soll wenigstens die Abwicklung reibungslos funktionieren, vielleicht gibt es sogar die Aussicht auf einen Job. Eine Stürmung der Behörde, die den Verwaltungsablauf stört, erscheint als zusätzliche, überflüssige Nerverei.

Es wird schon so sein: Die Ein-Euro-Jobs werden als Zwangsarbeit erfahren, die Behördengänge als Demütigung und permanente Enttäuschung, die Politik als Ansammlung dreister Lügen. Und trotzdem sind die Ein-Euro-Jobs eine Hoffnung auf Wiedereingliederung, ist das Arbeitsamt auch Verbindung zur »wirklichen Welt«, in der noch hart und ehrlich gearbeitet wird, ist die Politik der Ort, wo der Kanzler seine heroischen Auftritte hat – wie damals im November 1999, als das Bauunternehmen Philipp Holzmann kurz vor der Insolvenz stand und Schröder Kredite in Höhe von 250 Millionen Mark locker machte.

Demütigung als Hoffnung, permanente Enttäuschung als Motivation, immer weiter zu machen, die Lügen der Politik als Versprechen, irgendwann werde der Kanzler in einem Gewaltakt die Initiative wieder an sich reißen: Es sind diese Paradoxien, die das Wesen dieses Perpetuum mobile ausmachen. Das Ergebnis ist eine Beschleunigung der Politik, die die schlechten Verhältnisse umso fester zementiert.

Man wird also noch viel von den Fehlern der Hartz-IV-Reform hören und im gleichen Satz bestätigt bekommen, dass es das einzig Richtige war, die letzte Chance – für Rot-Grün, für die Arbeitslosen, für die Nation. Es wird in nächster Zeit noch viele letzte Chancen geben, die »wir« zu nutzen haben.