Gegen die Unordnung

Die einflussreiche Hizbollah hält sich von den Protesten fern. Die schiitischen Islamisten fürchten eine Allianz der Opposition mit Frankreich und den USA. von alfred hackensberger, beirut

Im Zentrum der libanesischen Hauptstadt gibt es täglich Demonstrationen und Pressekonferenzen. Das Zentrum Beiruts ist mit vierfarbigen Porträts des ermordeten ehemaligen Premierministers Rafik Hariri bepflastert, beim Friseur oder im Supermarkt diskutieren die Menschen über die politische Lage.

Nur wenige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, in den südlich gelegenen Vierteln, ist aber von dieser Aufregung nichts zu spüren: keine Porträts, keine Veranstaltungen, keine Diskussionen. Diese Randgebiete Beiruts, in denen rund 800 000 Menschen wohnen, sind Hochburgen der Hizbollah, der »Partei Gottes«, die der Drusenführer Walid Jumblatt mehrfach vergeblich für die Oppositionsbewegung zu gewinnen versuchte. Der Opposition gehören derzeit etwa 40 der 128 Parlamentarier an. Die zwölf Abgeordneten der Hizbollah wollen sich ihnen nicht anschließen. Ihr Generalsekretär Hassan Nasrallah hat für den Dienstag dieser Woche zu einer prosyrischen Demonstration in Beirut aufgerufen. Solchen Aufrufen sind in der Vergangenheit mehrere hunderttausend Menschen gefolgt, weit mehr, als sich bislang an den Demonstrationen der Opposition beteiligten.

»Die Ereignisse können schwere Konsequenzen in der Zukunft haben«, sagt Hussein Naboulsi, der Pressesprecher der Hizbollah. »Sie führen in eine Situation der Konfrontation, ganz ähnlich wie vor 30 Jahren zu Beginn des Bürgerkriegs.« Nasrallah nannte es bei seiner Ansprache an Ashoura, dem höchsten schiitischen Feiertag, ein »Chaos«. Das »Chaos« oder auch nur die Möglichkeit einer Unordnung sei für jeden gläubigen Schiiten etwas, das man rigoros vermeiden müsse. »Mit dem Chaos kann man keine Krisen oder Probleme lösen«, erklärte Nasrallah.

Es gibt für die Hizbollah nicht nur religiöse Gründe, sich von der Opposition fernzuhalten. Außer vom Iran wird die Organisation von Syrien militärisch, aber vor allen Dingen auch ideologisch unterstützt. Das »Projekt des Widerstandes« (gegen Israel) werde weitergehen, gab der syrische Präsident Bashar al-Assad am Wochenende zu verstehen.

Warum sich also gegen Syrien stellen und sich mit einer Opposition einlassen, deren Führer für opportunistisches Verhalten bekannt sind? Möglicherweise stimmen sie später für eine Implementierung der UN-Resolution 1559, die eine Entwaffnung der Hizbollah vorsieht. Deren Pressesprecher, Hussein Naboulsi, kritisiert, dass »die Opposition eine Regierung für alles Schlechte im Libanon verantwortlich macht, die gerade einmal drei Monate im Amt war, und dabei die letzten zwölf Jahre vergisst, in denen die Führer der Opposition in der Regierung saßen. Gerade in dieser Zeit wurden die Grundsteine für die Korruption, die Präsenz der Syrier und die Herrschaft der Geheimdienste gelegt, die sie jetzt alle so beklagen.« Die Hizbollah gilt als einzige korruptionsfreie Partei. Sie hat noch nie für eine Regierung gestimmt, geschweige denn sich an einer beteiligt.

Die »Partei Gottes« hat eine stabile Basis unter den 1,2 Millionen Schiiten, die die größte Konfession im Libanon bilden und sozial abgetrennt von den anderen Gruppen der libanesischen Gesellschaft leben. Die Hizbollah ist nicht abhängig von der Präsenz syrischer Truppen und Geheimdienstler, ihre Führung vertritt eigene politische und ideologische Ziele.

Sprecher der Hizbollah betonen, dass sie einen nationalen Konsens erreichen will. Eine gefährliche Lage könnte jedoch entstehen, wenn die Opposition zu Kompromissen nicht bereit ist und eventuell mit Frankreich oder gar den USA Allianzen eingeht, den Initiatoren der UN-Resolution 1559. Denn die Entwaffnung würde die bislang im Libanon allgemein anerkannte Rolle der Hizbollah als »nationale Widerstandsbewegung« gegen Israel gefährden.