Selbstmord bevorzugt

Der Tod von Jurij Krawtschenko von ute weinmann

So friedlich und demokratisch der Machtwechsel in der Ukraine im Spätherbst auch wirkte, so fordert er doch zumindest in der politischen Elite Opfer. Genauer gesagt: Todesopfer. Nachdem Ende Dezember der ehemalige Transportminister Georgij Kirpa erschossen in seiner Datscha aufgefunden worden war, ereilte am Freitag Jurij Krawtschenko, den Innenminister der Ukraine unter dem Präsidenten Leonid Kutschma, das gleiche Schicksal. Ob es sich um Mord oder Selbstmord handelt, ist bislang nicht geklärt, als sicher darf aber angenommen werden, dass die neue »orange« Führung die Selbstmordversion bevorzugt.

Krawtschenko war nach Aussage des Chefs des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU, Aleksander Turtschinow, einer der Hauptverdächtigen im Mordfall Gongadse und an seinem Todestag zum Verhör geladen. Grund für die Vorladung war der Mord an dem kritischen Journalisten Georgij Gongadse. Er verschwand im September 2000 zunächst spurlos, zwei Monate später entdeckte man seine enthauptete Leiche in einem Wald im Kiewer Umland. Der Mord wurde unter dem alten Regime nie aufgeklärt, obwohl oder gerade weil es die politische Führung belastende Indizien gab.

Allerdings erklärten der Generalstaatsanwalt, Swjatoslaw Piskun, und Präsident Viktor Juschtschenko einstimmig, Krawtschenko sei lediglich als Zeuge vorgeladen worden und habe demnach nicht mit einer Verhaftung rechnen müssen. Als sicher aber gilt, dass Krawtschenko mit seinen Aussagen Kutschma schwer hätte belasten können.

Weitere Zeugen und Verdächtige im Fall Gongadse müssen um ihr Leben bangen, sollte sich die Mordthese bestätigen. Die alte Elite ist noch nicht abgetreten und stellt, was gerne vernachlässigt wird, zu einem nicht unwesentlichen Teil die neue Führung. Juschtschenko war, als Gongadse verschwand, selbst Ministerpräsident und dürfte somit mehr über die Affäre und deren Hintergründe wissen, als ihm jetzt lieb sein kann.