Verbrannt in Zelle 5

Der Tod eines Flüchtlings in einem Dessauer Polizeirevier ist noch immer nicht vollständig aufgeklärt. Die Asylbewerber der Stadt fühlen sich von der Polizei bedroht. von georg picot

Anfang des Jahres verbrannte ein 21jähriger Asylbewerber in Dessau in Sachsen-Anhalt in einer Polizeizelle. In der Öffentlichkeit nahm zunächst kaum jemand den Todesfall zur Kenntnis. Erst in den vergangenen Wochen wuchs die Aufmerksamkeit. Am 3. März, acht Wochen nach dem Todesfall, sprach der Landtag Sachsen-Anhalts sein Bedauern aus.

Die Polizei nahm den aus Sierra Leone stammenden Flüchtling Oury Jalloh am Morgen des 7. Januar fest. Nach ihren Angaben soll er Frauen auf der Straße belästigt und gegen die hinzugerufenen Polizisten Widerstand geleistet haben. Jalloh soll betrunken und nach der Festnahme aufgebracht gewesen sein. In der Gewahrsamszelle fesselten die Beamten ihn mit Händen und Füßen an die Pritsche. Eine solche »Fixierung« ist nach den Vorschriften der Polizei möglich, wenn die Gefahr besteht, dass der Festgenommene sich selbst verletzt. Zweieinhalb Stunden lag Jalloh so in der Zelle 5 im Untergeschoss des Polizeireviers Dessau. Die Zelle wurde in dieser Zeit etwa jede halbe Stunde kontrolliert, wie aus einem Zwischenbericht der ermittelnden Staatsanwaltschaft Dessau hervorgeht.

Zum letzten Mal prüften zwei Beamte die Zelle zwischen 11 Uhr 45 und 11 Uhr 54 und sprachen dabei mit Jalloh. Höchstens zehn Minuten später brach den Ermittlungen zufolge das Feuer in der Zelle aus. Der Dienstgruppenleiter im ersten Stock war über eine Sprechanlage mit der Zelle verbunden. Kurz vor zwölf Uhr stellte er die Anlage zwischenzeitlich leise, weil er ein Telefongespräch nicht verstehen konnte. Kurz darauf hörten er und eine Kollegin »plätschernde Geräusche« und der Rauchmelder schlug an, berichtet die Staatsanwaltschaft. Der Dienstgruppenleiter schaltete den Alarm ab, weil es schon des öfteren Fehlalarm gegeben habe. Auch ein zweites Mal schaltete er den Rauchalarm ab. Erst als auch der Lüftungsschalter Alarm schlug, ging er in den Keller, um nachzusehen. Zu diesem Zeitpunkt war das »Plätschern« in der Wechselsprechanlage bereits lauter geworden, und die Beamten hatten Rufe von Jalloh gehört.

Das Feuer in der Zelle rauchte nun aber so stark, dass es den Beamten nicht mehr gelang, Jalloh zu retten. Er lag auf einer brennenden Matratze. Der Obduktion zufolge starb er an einem so genannten Hitzeschock. In der Zelle fand man später die Reste eines Feuerzeugs. Die Staatsanwaltschaft Dessau geht davon aus, dass Jalloh die Matratze selbst angezündet habe. Es gebe keinerlei Anzeichen für die vorsätzliche Tat eines Dritten.

Zunächst erscheint es unwahrscheinlich, dass sich jemand anzünden kann, der an Händen und Füßen gefesselt ist. Die Staatsanwaltschaft ließ die Situation jedoch nachstellen und zeigte, wie jemand trotzdem ein Feuerzeug aus der Tasche holen und es entzünden kann. Die Frage ist allerdings auch, warum der Festgenommene noch ein Feuerzeug in der Tasche hatte. Rechtlich vorgeschrieben ist, dass die Polizei Jalloh hätte untersuchen und ihm Gegenstände hätte abnehmen müssen, mit denen er sich selbst gefährden konnte. Die zwei Beamten, die hierfür zuständig waren, sagten zunächst aus, Jallohs Taschen gründlich durchsucht zu haben. Später verweigerten sie die Aussage. Gegen sie ermittelt die Staatsanwaltschaft nun wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung.

Außerdem wird gegen den Dienstgruppenleiter wegen des Verdachts auf Körperverletzung mit Todesfolge ermittelt. Dessen Angabe, es habe des öfteren Fehlalarm gegeben, verwundert Matthias Gärtner, den innenpolitischen Sprecher der PDS in Sachsen-Anhalt. »Die Brandmeldeanlage wurde am 14. September 2004 repariert. Seitdem war sie intakt.«

Unklar ist ebenso, wieso die Matratze in Flammen aufgehen konnte. Denn sie hatte einen schwer entflammbaren Bezug aus Kunstleder. Das Innenministerium Sachsen-Anhalts sagte hierzu, dass »eine Beschädigung des Überzuges nicht ausgeschlossen« werden könne. Nach dem Vorfall wurden deshalb die Matratzen aller Gewahrsamszellen des Landes überprüft. Nur bei einem geringen Anteil fand man kleine Mängel.

Bereits im Oktober 2002 starb in Dessau unter demselben Dienstgruppenleiter ein Mann im Polizeigewahrsam. Er erlag inneren Verletzungen, die er offenbar schon vor der Festnahme erlitten hatte. Der Fall wurde nie vollständig aufgeklärt. Der Dienstgruppenleiter wurde nach dem neuerlichen Todesfall zunächst versetzt, inzwischen aber vom Dienst suspendiert.

Das Verhältnis zwischen der Polizei und Schwarzen ist in der 80 000-Einwohnerstadt Dessau generell schwierig. »Natürlich habe ich Angst vor der Polizei«, sagt der Ladenbesitzer Mouctar Bah. So gehe es den meisten Afrikanern in der Stadt. »Dabei müsste sie uns eigentlich schützen.« Seit dem Tod von Oury Jalloh habe sich diese Sorge bei ihm und den Afrikanern, die er kennt, verstärkt. Bereits zuvor jedoch hatten Schwarze in Dessau wenig Vertrauen in die grün Uniformierten. Woher das kommt, erklären die Beobachtungen von Marco Steckel von der Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt in Dessau. Immer wieder kontrolliere die Polizei Leute wegen ihrer dunklen Hautfarbe. »Schwarze stehen unter Generalverdacht, mit Drogen zu dealen.«

Im Juni 2003 wurde ein afrikanischer Asylbewerber von drei Zivilbeamten festgehalten, zu Boden gerissen, geschlagen und getreten, berichtet die Beratungsstelle. Erst danach hätten sich die Männer als Polizisten zu erkennen gegeben. Sie zogen den 37jährigen aus, um ihn zu durchsuchen. Obwohl er sich ausweisen konnte, nahmen sie den Mann mit aufs Polizeirevier und entkleideten ihn dort erneut.

»Warum haben sie mich wie ein Tier behandelt, obwohl ich nichts getan habe?« klagte der Betroffene. Vier Fälle dieser Art hat die Beratungsstelle in den vergangenen vier Jahren dokumentiert, sie geht aber von einer größeren Zahl von Vorkommnissen aus. Wenn die Betroffenen Anzeige erstatten, reagiert die Polizei häufig mit einer Gegenanzeige. Eine wirksame Einschüchterung, sagt Steckel.

Steffen Andersch von der Dessauer Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus bestätigt Steckels Beobachtungen. Er ergänzt, dass sich die Leitung der Polizei in der Vergangenheit den Problemen jedoch nicht verschlossen habe, wenn antirassistisch engagierte Bürger sie angesprochen haben. »Das erreicht jedoch nicht unbedingt jeden an der Polizeibasis.« Andersch sieht das diskriminierende Verhalten der Polizei im Zusammenhang mit der allgemein verbreiteten Fremdenfeindlichkeit. Dessau ragt seiner Erfahrung nach dabei nicht besonders hervor: »Das ist ostdeutscher Standard.«