Normale Härte

Die EU und türkische Polizeigewalt von dilek aydin

Dass türkische Polizisten, wie am vorletzten Sonntag in Istanbul geschehen, eine friedliche Demonstration zum Frauentag brutal zusammenknüppeln, ist ein Skandal, der Protest dagegen allemal berechtigt. Die Aufregung in Europa über die Ereignisse, die weder für türkische Verhältnisse noch im Vergleich zu, sagen wir, den Vorgängen in der Diaz-Schule von Genua besonders krass sind, aber ist bemerkenswert.

Lassen wir mal jene beiseite, die davon überzeugt sind, dass der Türke nur darauf warte, mit seinem Krummsäbel das Projekt Europa zu meucheln. Betrachten wir die anderen, die sich in den vergangenen Jahren für Ankara ins Zeug gelegt haben. Ihre Sicht der Dinge geht etwa so: Die Aussicht auf einen EU-Beitritt hat die Türkei zu einer Reihe von Reformen bewogen, die Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan energisch angepackt hat. Doch seit im Dezember die Staats- und Regierungschefs der EU den ersehnten Termin für Beitrittsverhandlungen nannten, stagnieren die Reformen. »Kräfte der Beharrung stören die EU-Beitrittspläne der türkischen Regierung«, kommentiert die Süddeutsche den Istanbuler Gewaltexzess.

Doch diese Interpretation strotzt nur so von Fehleinschätzungen. Dass sich die Verhältnisse in der Türkei in den vergangenen Jahren liberalisiert haben, ist nicht so sehr ein Verdienst der EU, sondern liegt vor allem am Sieg über die kurdische Guerilla. Mit dem Ende des Bürgerkriegs sind auch die Ursachen für Folter und staatlich organisierten Mord hinfällig geworden. Zweitens zeigen die Reaktionen der türkischen Regierung, dass Erdogan und seine Truppe eben nicht die »demokratischen Revolutionäre« sind, als die sie oft gefeiert werden. Der Außenminister kündigt eine Untersuchung an, der Justizminister spricht von »bedauerlichen Einzelfällen«, Erdogan kritisiert die Medien; so reagiert die Staatsführung eines jeden bürgerlich-demokratischen Staates, wenn die Exekutive mal ausgerastet ist.

Drittens erweist sich der türkische Mitgliedsantrag als unerwartet nützlich. Und zwar für die europäische Ideologiebildung. Jeder Satz, der die Türken ermahnt, dieses zu lernen und jenes zu tun, verklärt »Europa« zum Inbegriff von Freiheit, Demokratie und all dem. Ähnlich nützlich waren schon die Gastarbeiter, dank deren sich noch der letzte deutsche Prolet aufgewertet fühlen durfte.