Alles für den Euro

Nicht zu hohe Löhne, Lohnnebenkosten oder Unternehmenssteuern tragen zur vergleichsweise hohen Arbeitslosigkeit in Deutschland bei, sondern der Exportüberschuss. von georg fülberth

Niedrigere Arbeitskosten, ein flexibler Arbeitsmarkt, ein vernünftiges Steuersystem und deutlich weniger Bürokratie: All das wird uns helfen, unsere Wettbewerbsfähigkeiten weiter zu verbessern«, sagte Bundespräsident Horst Köhler am Dienstag vergangener Woche vor der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Deutschland habe die meisten Urlaubstage, die kürzeste Arbeitszeit, die höchsten Löhne und die gewaltigsten Unternehmenssteuern, sei deshalb international nicht wettbewerbsfähig, heißt es in den Medien.

Daran stimmt, bei Licht betrachtet, überhaupt nichts. Was Urlaub, Arbeitszeit, Löhne und Unternehmenssteuern angeht, liegt die Bundesrepublik im internationalen Vergleich im Mittelfeld einer Spitzengruppe, die aus den höchstentwickelten Staaten besteht. Längere Arbeitszeiten, miesere Löhne und niedrige Steuern gibt es in den Entwicklungs- und Schwellengesellschaften sowie in den zehn neuen Mitgliedsländern der Europäischen Union.

Die fleißigsten Arbeiterinnen und Arbeiter der EU leben in Estland. Sie schaffen 1 830 Stunden pro Jahr. Die Faulsten sind in den Niederlanden zu finden, wo nur 1 330 Stunden gearbeitet wird. Die Deutschen arbeiten 1 361 Stunden pro Jahr.

Der Blick auf die tatsächlichen Wochenarbeitszeiten bestätigt dieses Bild in etwa. Bedenklich steht es um Frankreich, wo die Wochenarbeitszeit 37,7 Stunden beträgt (bei offizieller 35-Stunden-Woche). Die Niederländer arbeiten 38,9 Stunden, noch eine ganze Stunde mehr die Deutschen mit 39,9. Sie machen sich aber nicht so kaputt wie Polen, Slowaken und Slowenen (jeweils 41,6) oder Briten (43,3). Europameister im Urlaubmachen sind die Schweden: Sie haben durchschnittlich 33 Tage, gefolgt von den Niederländern (31,3) und den Dänen (30). Dann erst kommen die Deutschen (29,1), die auch nur zwölf Feiertage im Jahr haben, während Slowaken und Slowenen 13 Tage blau machen.

Die Reallöhne sind in den Jahren zwischen 1991 und 2003 in Großbritannien um insgesamt 23 Prozent gestiegen, in Deutschland nur um zwölf Prozent. Noch ärmer dran sind die Japaner mit kaum über vier Prozent, aber die hatten ja Deflation. Aussagekräftiger sind die Lohnstückkosten. Im Schnitt wuchsen sie in der EU im gleichen Zeitraum um 23,7 Prozent, in Deutschland aber lediglich um 17,2.

Bei den Unternehmenssteuern liegt die Bundesrepublik mit 38,7 Prozent weltweit auf Platz drei, hinter Japan (40,9) und den USA (39,9). Das sieht nach einer Europameisterschaft aus – wenn nur das Problem mit der Bemessungsgrundlage nicht wäre. Die ist hierzulande schmal und bietet viele Sonderregelungen. Was ein gut geführtes deutsches Unternehmen ist, das zahlt von Zeit zu Zeit überhaupt keine Steuern. Berücksichtigt man diese Tatsache, ist die Belastung geringer als in anderen europäischen Ländern. Die Unternehmer werden also weit weniger gezwackt, als sie immer behaupten. Es wäre ihnen mehr zuzumuten, denn die Produktivität gibt es her.

Wenn die Belastung der deutschen Unternehmen gar nicht so schlimm ist, wo kommen dann die im Vergleich vielen Arbeitslosen her? Antwort: vom Export. Auf diesem Feld ist Deutschland nämlich Europa- und, gleich hinter den USA, Vizeweltmeister. In manchen Jahren lässt es sogar die Vereinigten Staaten hinter sich.

Einerseits wird die Arbeitslosigkeit in Deutschland oft damit erklärt, dass Löhne und Sozialabgaben zu hoch seien. Andererseits erzielt die Bundesrepublik ständig Exportüberschüsse. Also sind ihre Erzeugnisse doch nicht zu teuer. Wie passt beides zusammen?

Wenn ein Land ständig mehr aus- als einführt, entsteht ein Ungleichgewicht, das die Handelspartner durch Zahlungen in ihren Währungen ausgleichen müssen. Diese werden dadurch abgewertet. Auf diese Weise sinken die Ausfuhrpreise der schwächeren Handelsnationen, sie können mehr exportieren, und es wird wieder ein Gleichgewicht hergestellt.

So sollte man meinen. Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus. Schon als es die D-Mark noch gab, war sie einem ständigen Aufwertungsdruck ausgesetzt, weil die Ausfuhren die Einfuhren überwogen. Jetzt haben wir den Euro, und die Bundesrepublik exportiert zu großen Teilen ins eigene Währungsgebiet. Zugleich sind viele neue Handelspartner außerhalb der Eurozone hinzugekommen. Vor allem aber bleibt das problematische Verhältnis zum Dollar.

Recht häufig, wenngleich nicht immer, haben die US-Regierungen und die Notenbank der Vereinigten Staaten Gründe dafür gehabt, ihre Währung faktisch abzuwerten – zum Beispiel durch niedrige Zinsen oder hohe Staatsdefizite. Dadurch förderten sie den Export ihres Landes, oder Schulden konnten in Grenzen gehalten werden, indem das eigene Geld inflationiert wurde. Die Exporte der Bundesrepublik werden dadurch verteuert – nicht nur in den USA, sondern auch dort, wo Deutschland mit den Vereinigten Staaten konkurriert.

Ein Mittel, dieser Gefahr zu begegnen, wäre eine Kostensenkung der eigenen Ausfuhren. Den Kurs des Euro gezielt zu mindern, gilt aber als verwerflich, verstößt das doch gegen ein Dogma, das von der Europäischen Zentralbank hochgehalten wird: Die eigene Währung muss möglichst stark sein. Dadurch sollen Devisen von auswärts angelockt werden, wodurch dann auch die Beschäftigung wieder steigen soll. Der letzte Teil dieser Rechnung ist bislang jedoch nicht aufgegangen, weil aus den Devisengeschäften in der Regel keine Investitionen resultieren.

Aber auch die Zinssenkung ist kein Allheilmittel. Bei schwacher Nachfrage auf dem Gütermarkt kann sie dazu führen, dass günstige Kredite vor allem zu kräftigen Einkäufen an der Wertpapier- oder Devisenbörse benutzt werden.

Bleibt also die Senkung der Produktionskos-ten. Eine Möglichkeit hierfür ist die Steigerung der Produktivität mithilfe technischer Innovationen. Reicht das nicht aus, greifen die Unternehmen zu anderen Mitteln. Sie drücken die Löhne oder entlassen Personal, wie wir es gerade wieder erleben. Auf diese Weise wird die Binnennachfrage wiederum geschwächt, sodass die Unternehmen wieder versuchen, mehr zu exportieren – ein Teufelskreis.

Euro-Länder, die nicht in dem Maße wie Deutschland auf die Ausfuhr, sondern auch auf die innere Massenkaufkraft setzen, leiden weniger unter dem Ungleichgewicht der Währungen. So erklärt sich mindestens zum Teil, dass ihre Arbeitslosenquoten niedriger liegen.

Neuerdings hört man übrigens, die deutschen Exporte seien in Wirklichkeit gar nicht so hoch, wie es den Anschein habe. Das werde deutlich, wenn man die Wertschöpfungskette betrachte. Es handele sich um eine Basarökonomie – die Güter, die ausgeführt werden, seien aus vielen Vorprodukten zusammengesetzt, die aus Ländern mit niedrigen Löhnen bezogen werden. Deshalb müssten auch in Deutschland die Arbeitskosten weiter sinken. Weshalb aber können die Zulieferer so preiswert nach Deutschland exportieren? Sie befinden sich außerhalb der Euro-Zone und haben schwächere Währungen. Das hätte der Bundespräsident in seiner Rede gewiss noch erwähnen wollen, wäre seine Redezeit nicht um gewesen.