Arbeit einer Woche

Köhlers Rede, der Jobgipfel, die Regierungserklärung, der Sturz von Heide Simonis: die vorige Woche hatte es in sich. Die politische Inszenierung diente der weiteren Entwertung der Arbeitskraft. von felix klopotek

Ein Ereigniscluster: So könnte man das bezeichnen, was die Menschen in der vorigen Woche erlebten; eine Politbombe, einen Vierklang aus einer Präsidentenrede, einem Jobgipfel, einer Regierungserklärung und dem Sturz von Heide Simonis. Auch dieser gehört in die große Inszenierung, kam er doch wie der bestellte Hinweis, dass die Probleme, im Bund wie in den Ländern, nur eine große Koalition meistern könne.

Der Sinn dieser ereignisreichen Tage liegt vor allem darin, dass sie stattgefunden haben. Alles mag an diesem Cluster bekannt sein, die Protagonisten, die Forderungen, das Drama. Aber es zählt die Wucht der Ereignisse.

Den Auftakt am vorigen Dienstag machte der Bundespräsident. Er hat keine Macht, dafür hat er die politische Freiheit, »zu sagen, was Sache ist«. So hat das, was er von sich gibt, keine unmittelbaren Folgen, strahlt dafür aber umso mehr angebliche Weisheit und Autorität aus. Er kann der Regierung nichts vorschreiben, nimmt sie aber in die Pflicht. Die Arbeit muss billiger werden, sagt Köhler. Stets geht es bei dieser Phrase um die billigere Anwendung von Arbeitskraft, am besten, in dem man ihre »Nebenkosten« senkt, also das, was für die sozialen Sicherungssysteme anfällt. Köhler möchte »die Kosten der sozialen Sicherung völlig vom Arbeitsverhältnis abkoppeln«. Seine Forderung geht über die mit Hartz IV bereits beschlossenen Maßnahmen zur Entkoppelung hinaus. Er sagt freilich nicht, was das bedeuten wird, auch in den meisten Kommentaren zur Rede bleibt dieser zentrale Satz unbeleuchtet.

Schröder folgte am Donnerstagmorgen mit einer Regierungserklärung, am Nachmittag kam es zum Jobgipfel, zwischendurch wurde Heide Simonis demontiert. Der Kanzler zieht Bilanz, kündigt eine Vertiefung der Reformen an, das Debakel im Kieler Landtag ist ein vorweggenommenes, symbolisches Ende der rot-grünen Ära, der Jobgipfel schließlich ist die ganz große Koalition. Die Körperschaftssteuer soll gesenkt, ein kleineres Konjunkturprogramm auf den Weg gebracht und Bürokratie abgebaut werden. Es soll ein paar Nachbesserungen für die Hartz-IV-Reformen geben, vor allem die Hinzuverdienstmöglichkeiten sollen vergrößert werden. Das wird den Status der ALG-II-Empfänger nur noch stärker zementieren, sie dürften kaum eine Chance haben, in den ersten Arbeitsmarkt hineinzukommen.

Ein Spektakel, und jeder, der sich davon nicht berauschen lässt, wundert sich, wie viel Wind um ein paar Nachbesserungen und kleinere Konjunkturanreize gemacht wird, die ohnehin erst mittelfristig, also in einigen Jahren, wirken dürften. Was bringen die neuen Maßnahmen eigentlich, was nicht schon von den alten, als »Agenda 2010« bekannten eingeleitet wurde?

Selbstverständlich geht es bei diesen Hauruck-Aktionen um Parteipolitik und Machterhalt. Schröder will sich wie so oft als selbstbewusster Souverän und Moderator, der mit der Opposition offen und ehrlich umgeht, inszenieren. Die Opposition will schon mal probehalber regieren und zeigen, dass ohne sie gar nichts mehr geht.

Bleibt die Frage, was das Ganze soll. Warum diese Verdichtung von Politik, dieses Trommelfeuer der Maßnahmen und Staatsaktionen, wo doch nirgendwo Widerstand und Gegenwehr zu besänftigen sind? Alles nur als Tatendrang kaschierte Panik der Politkaste? Auch, aber was liegt dieser Panik zugrunde?

Der Fluchtpunkt der politischen Anstrengungen ist und bleibt die Vollbeschäftigung. Kein Politiker spricht mehr offen von ihr, gleichwohl ist sie als Vorstellung in allen Arbeitsmarktreformen und Konjunkturmaßnahmen enthalten. Es geht gar nicht darum, ob es sie jemals wieder geben wird. Aber kein Politiker könnte sich erlauben zu verkünden: »Wir müssen uns damit abfinden, dass es immer mehr Arbeitslose geben wird, und dass ihre Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt nicht mehr die Regel, sondern die Ausnahme ist.«

Die Konsequenzen wären staatlich angeordneter Mord (etwa in Form eines imperialistischen Raubkrieges, in dem die überflüssigen Arbeitermassen verheizt werden) oder aber die Anerkennung, und das heißt eben auch: Alimentierung, eines wachsenden gesellschaftlichen Bereiches, der sich entschieden nicht über die Arbeit definiert. Nüchtern-zynisch muss man feststellen: Die sozialen, ökonomischen und politischen Kosten für beide Konsequenzen sind auf absehbare Zeit zu hoch.

Dass Lohnarbeit geleistet werden muss und dass sich diesem Zwang keiner entziehen können soll, bleibt der Kern aller politischen Vermittlungsleistungen. »Prinzipiell jeder kann – und soll – Arbeit haben«, so lautet die Botschaft auch des Jobgipfels. Gleichzeitig zündet diese Botschaft nicht mehr, allein schon die biographischen Erfahrungen der Menschen hierzulande sprechen dagegen. Deshalb das umso lautere Getöse um den Jobgipfel, um eine große Koalition und die Rede des Bundespräsidenten. Trotzdem wäre es verfehlt, diese Veranstaltungen nur als Ablenkungs- oder Ausweichmanöver zu verstehen.

In früheren Zeiten gab es in der Arbeiterbewegung den Impuls, nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die Arbeit als das wesentliche Problem zu verstehen. Arbeitslos kann der Arbeiter schließlich nur deshalb werden, weil er generell in das System der Lohnarbeit verstrickt ist. Bis in das 20. Jahrhundert hinein war Arbeitslosigkeit ein sekundäres, bloß temporäres Problem. Friedrich Engels hat, als um 1890 die deutsche Sozialdemokratie die Forderung nach einem Arbeitslosengeld auf ihre Fahnen schrieb, noch gezürnt: »Den Arbeiter auf Staatsalmosen zu verweisen – Konsequenz wäre Staatssozialismus.«

Das hat sich heute ins Gegrnteil verkehrt. Die aktuelle Grunderfahrung von Menschen, die auf die Lohnarbeit als Mittel zum Lebensunterhalt angewiesen sind, ist nicht die, dass man einer Arbeit nachgeht, unterbrochen von kurzen Perioden der Arbeitslosigkeit. Es ist, der Tendenz nach, umgekehrt: Arbeitslosigkeit ist der universale Gesellschaftszustand, unterbrochen von zeitweiliger Erwerbstätigkeit oder in der Sprache des Jobgipfels: verbesserter Hinzuverdienstmöglichkeit.

Auf dem Jobgipfel wurde abermals bekräftigt, die Anwendung der Arbeitskraft weiter zu verbilligen und zu flexibilisieren, und so wurde die fundamentale Verunsicherung noch einmal bestätigt: Arbeit kann es nur dann geben, wenn wir bereit sind, sie in einem Zustand absoluter Anspruchslosigkeit anzunehmen. Der nächste Schritt ist dann der, den Köhler gefordert hat, die Entkopplung von sozialer Sicherung und Arbeitsverhältnis.

In dieser Kopplung drückt sich ein letzter Rest der klassischen Bedeutung der Arbeitskraft aus: Sie ist der eigentliche Wertschöpfer, so bedeutsam für den Arbeitsprozess, dass sie einen Anspruch auf Reproduktion und Pflege hat, auch wenn sie gerade nicht vernutzt wird. Die Forderung nach der Entkopplung ist eine weitere und diesmal sehr tief greifende politische Entwertung der Lohnabhängigen. Noch ist das tabuisiert, noch bleiben die Äußerungen Köhlers vage, und es gibt keine Pressekampagne. Aber der Jobgipfel mit seinen Ritualen der Verbilligung und Entbürokratisierung weist bereits in Richtung des Tabubruchs.