Die Synagoge brennt

In der Schweizer Stadt Lugano wurden nahezu gleichzeitig eine Synagoge und ein jüdisches Geschäft in Brand gesteckt. Ein Verdächtiger wurde festgenommen. von hans stutz, luzern

Zum ersten Mal in der Geschichte der Schweiz hat es einen Brandanschlag auf eine Synagoge gegeben. Am Abend des 13. März brannte in der Tessiner Kleinstadt Lugano zuerst die Synagoge, kurze Zeit später ein Kleidergeschäft, das einer bekannten jüdischen Familie gehört. Ursache war in beiden Fällen Brandstiftung. Die Bibliothek und das Studierzimmer der Synagoge sind durch die Flammen fast vollständig zerstört worden. Nach Angaben der jüdischen Gemeinde wurden die Scheiben der Synagoge eingeschlagen und Molotow-Cocktails in das Innere geworfen. Der oder die Täter hinterließen weder ein Bekennerschreiben noch irgendwelche Slogans. Am Sonntag nahm die Polizei einen Verdächtigen fest, ohne der Öffentlichkeit Einzelheiten mitzuteilen.

In den vergangenen Jahrzehnten waren jüdische Einrichtungen gelegentlich das Ziel von Steinwürfen oder Schmierereien. Im Juli 1996 beispielsweise auch in Lugano, wo Unbekannte Hakenkreuze und die Parole »Juden raus« anbrachten. Vor allem Anfang der neunziger Jahre wurden wiederholt jüdische Friedhöfe geschändet. Der Antisemitismus ist in der Schweizer Gesellschaft eine Konstante, doch bleibt er meist im Verborgenen.

Deutlich wahrnehmbar waren antisemitische Ausfälle in der Schweiz zum letzten Mal 1997, während der Diskussionen über die nachrichtenlosen Vermögen auf Schweizer Banken und der hitzig geführten Auseinandersetzung über die Schweizer Vergangenheit während des Zweiten Weltkriegs. So bezichtigte ein Mitglied der Landesregierung jüdische Organisationen der »Erpressung«.

Drei Tage nach den Brandanschlägen demonstrierten in Lugano rund 1 500 Menschen gegen Antisemitismus. Vertreter der Kirchen, der muslimischen Gemeinde, der Behörden und der Parteien nahmen daran Teil. Alle Parteien bis auf die rechte Lega dei Ticinesi erklärten sich solidarisch mit der jüdischen Gemeinde.

Obwohl es zu dem Zeitpunkt keine Hinweise auf den Hintergrund der Anschläge gab, erklärte Elio Bollag, Sprecher der Jüdischen Gemeinde Lugano und Vertreter der Freisinnig Demokratischen Partei (FDP) im Stadtrat, in der Berner Zeitung, hinter dem Anschlag stecke der »Antisemitismus jener Linken, die uns nicht gefällt«. Am absurdesten argumentierte jedoch Dick Marty, FDP-Ständerat und einer der einflussreichsten Tessiner Politiker. Es würde ihn »sehr wundern«, behauptet er, wenn die Täter Tessiner wären. Er wird damit zum Sprachrohr jener Bürgerlichen, die den Rassismus und den Antisemitismus verdrängen, wenn nicht verleugnen wollen. Marty erklärte nämlich im gleichen Atemzug, es habe im italienischsprachigen Tessin – im Gegensatz zur Deutschschweiz – nie Übergriffe auf Asylbewerberunterkünfte gegeben.

Eine offensichtlich tatsachenwidrige Behauptung. Mit seinen Äußerungen entlastet der Ständerat jene Tessiner und Tessinerinnen, die in den vergangenen Monaten und Jahren Afrikaner generell des Drogenhandels beschuldigt und damit auch schikanöse Polizeimethoden verteidigt haben.

Zur Beruhigung besteht kein Anlass. Am 5. März zogen rund 150 Rechtsextremisten in einem Fackelzug durch die nordschweizerische Kleinstadt Schaffhausen. Mobilisiert hatte die Nationale Außerparlamentarische Opposition, deren Wortführer der auch in Deutschland aktive Holocaust-Leugner Bernhard Schaub ist. Sie verteilte ein antisemitisches Flugblatt, in dem es heißt, in der Schweiz herrsche »wie überall in der westlichen« Welt nicht das Volk, sondern »eine Clique der internationalen Geldmafia«. Und »diese internationalen Verbrecher des staatenlosen Kapitals« hätten auch zwei Weltkriege gegen Deutschland geführt. Aber auch in Schaffhausen regte sich Empörung. Eine Woche später demonstrierten mehrere Hundert Menschen gegen den Aufmarsch der Rechtsextremisten.