Eindeutig keine Arier

Ein neues Buch untersucht die Rolle von Schwarzen im Nationalsozialismus. von jörg sundermeier

Der in England tätige jüdische Bildhauer Jakob Epstein hat kürzlich den Kopf des Negersängers und Schauspielers Paul Robeson modelliert. In diesem und in ähnlichen Fällen soll den europäischen Völkern eingetrichtert werden, dass nur das schön und bewundernswert ist, was schwarz und fremdrassig ist. Dabei tritt namentlich der Jude vielfach als Vermittler der Negerkultur auf«, lautete 1936 eine Bildunterschrift in der Zeitschrift Neues Volk. Dies ist nur eines der vielen Dokumente, die die Herausgeber Peter Martin und Christine Alonzo für ihr Buch »Zwischen Charleston und Stechschritt« zusammengetragen haben. Das Buch, gewissermaßen ein nachgereichter Katalog zur Ausstellung »Besondere Kennzeichen: Neger – Schwarze im NS-Staat«, die 2002 im NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln stattfand, leidet allerdings ein wenig darunter, dass es diesen Katalogcharakter hat. Viele Beiträge hätte man sich ausführlicher gewünscht, sie verhelfen nicht selten nur dazu, die abgebildeten Bilder, Fotos und Dokumente in einen Gesamtkontext stellen zu können. Das aber ist der einzige Makel an diesem ansonsten hervorragend zusammengestellten, umfangreichen Buch, in dem eine Unzahl von Fakten erstmals einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.

Besonders hervorzuheben ist, dass sich das Buch mit seiner Untersuchung der völkischen Ideologie und ihres Rassebegriffs nicht nur auf die berüchtigten zwölf Jahre beschränkt, sondern auch die Jahre vor 1933 und nach 1945 untersucht. Zwar hatten die Deutschen sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg »rassenkundlerisch« betätigt und allerhand dem Ressentiment entsprungene Thesen als wissenschaftliche Ergebnisse verhandelt, dennoch galt der »Mohr« bis dato eher als ein zwar zurückgebliebenes, doch auch anziehend exotisches, wenn nicht gar »süßes« Wesen. Auch die Kolonialkriege und die Schreckbilder von »blutrünstigen Wilden«, die seinerzeit gezeichnet wurden, änderten wenig an diesem Bild.

Es änderte sich in der deutschen Öffentlichkeit jedoch schlagartig, als Briten und Franzosen auch Kolonialtruppen in die Schlachten des Ersten Weltkrieges führten. Thomas Mann, damals noch glühender Nationalist, schrieb im Herbst 1914: »Man sieht in deutscher Art ein Barbarentum, dessen Kraft gewaltsam und ohne Ansehen der Mittel gebrochen werden muss. Man glaubt, ein Recht zu haben, auf Deutschland Kirgisen, Japaner, Gurka und Hottentotten loszulassen – eine Beleidigung, beispiellos, ungeheuerlich, und einzig nur möglich geworden kraft jener im stärksten Sinne des Wortes unerlaubten Unwissenheit über Deutschland.« Man sah sich um den »Kampf gleichwertiger Gegner« gebracht, der spätere völkische Schriftsteller Hans Friedrich Blunck meinte: »Der herrliche Kampf war mir zum Ekel geworden in jener Nacht. Senegalneger und indische Hilfstruppen hat der Feind gegen unsere herrlichen Freiwilligen angesetzt und es war, als käm’ durch den Blutdampf, der über dem Schlachtfeld lag, jener schüttelnde, tierische Geruch der dunkelhäutigen Völker. Als strömte mit dem niedrigen Blut der Fremden etwas in den Boden, dass das Land verpestete, als wüsste die Erde, dass sie nie wieder grün werden dürfe, nachdem der Fuß der Afrikaner im grässlichen Takt über sie hinweggestürmt war.«

Die Vernichtung der »Weißen« wurde imaginiert, in den politischen Karikaturen der satirischen Blätter Simplicissimus und Kladderatasch wurden Affen dargestellt, die die deutsche Zivilisation angreifen: »Zur Anklageschrift gegen Deutschland wegen ›Verletzung der Menschenrechte‹ – Mahnung an den französischen Pfau: ›Mit dem afrikanischen Schweif wagst du es, dich als Verteidiger der ›verletzten Menschenrechte‹ in Europa aufzuspielen?‹«

Diese Form der Propaganda ging auch in die Nachkriegszeit über, als es galt, sich gegen die »Schwarze Schmach« zu wehren. Die Rheinlandbesetzung war ebenfalls mit französischen Kolonialtruppen durchgeführt worden, was Wasser auf die Mühlen der völkischen Propaganda war. Es wurde behauptet, die Schwarzen brächten Seuchen mit, vergewaltigten, also »schändeten« reihenweise Frauen und ließen auch sonst allerorten der »Negerwillkür« freien Lauf: »In Häusern kinderreicher Familien (20 und mehr Kinder) befinden sich Bordelle. Die Schwarzen Lüstlinge stehen kolonnenweise auf der Straße vor den Bordellen an.«

Die Schwarzen dienten, wie die beiden Herausgeber des Buches feststellen, obschon sie kaum präsent waren, besonders gut propagandistischen Zwecken, da sie jederzeit als »Fremde« zu erkennen waren. So konnten sie bestens zur Konstruktion eines Volkskörpers dienen, der sich gegen die »Überfremdung« zur Wehr setzten musste.

Dass gleichzeitig in den »progressiven« Künsten und in der Boheme ein anderes, jedoch ebenfalls rassistisches Bild vom »Neger« vorherrschte, stellt der Band »Zwischen Charleston und Stechschritt« gleichfalls sehr anschaulich dar; ob es nun um Carl Einsteins »Negerplastik« oder um die Rezeption der Tanzkunst von Josephine Baker ging, stets hing den Schwarzen der Ruf des Natürlichen an, das sie besser repräsentierten und das von ihnen zu lernen sei. In den Bars und in den Künsten wurde daher »genegert«, doch galten auch hier die Schwarzen selbst oft als suspekt. Nichtsdestotrotz boten Film und Bühne einen gewissen Schutz für in Deutschland lebende Schwarze, selbst im »Dritten Reich« konnten einige Afrodeutsche auf diese Weise überleben. Auch in den kommunistischen Bewegungen waren die Schwarzen willkommen, ob sie allerdings für eine Parteimitgliedschaft »reif« waren, wurde bei ihnen besonders streng untersucht.

Viele kurze Aufsätze und zahlreiche Bilder zu diesen Themenkomplexen bilden den ersten Teil des Buches, der zweite spricht dann über jene Zeit, in der sich die Deutschen für die »erlittene Schmach« zu rächen gedachten – staatlich angeordnete Diffamierung der Schwarzen, Aberkennung der Staatsbürgerschaft, Schul- und Arbeitsplatzverweise, systematische Sterilisierung von so genannten Bastarden, Internierung in Lagern und in KZs, »Rasseforschung« an den Gefangenen und Mord.

Viele Mordfälle werden in diesem Band erstmals genauer untersucht, den Opfern also ein Name und eine Geschichte gegeben. Ebenso wird die NS-Ideologie in Bezug auf die Kolonien einer genauen Untersuchung unterzogen.

Der Beobachtungszeitraum endet, wie gesagt, nicht mit dem Jahr 1945, sondern es wird auch untersucht, wie die damals entstandenen Klischees bis heute fortwirken. So wird etwa 1947 der 17jährige »Negerbastard« – wie der Landrat von Weißensee ihn nennt – Gerhard Schramm wegen eines »Jagdvergehens« angeklagt. Seinen Hunger glaubt man ihm ebenso wenig wie die zuvor durchlittene, zwei Jahre währende KZ-Haft in Buchenwald. Vielmehr mutmaßt der Landrat: »Schramm ist schon durch seine Bastardeigenschaft naturgemäß in seelischen Konflikten.« Um die Erziehung Schramms fürchtend, empfiehlt er »für den Jugendlichen eine empfindliche Gefängnisstrafe zu beantragen. Um diese Erziehungsmaßnahme zu vertiefen, werde ich den Jungen anschließend an die Haftzeit in eine Jugendlehranstalt einweisen, die ihn zu einem brauchbaren Menschen machen soll.«

Bilder und Zeitungsartikel aus der Gegenwart runden das schlechte Bild ab, das die Deutschen hier abgeben. Der Band ist, obschon er sich um vieles aus Platzgründen nicht eingehender kümmern kann, ein Standardwerk zum Thema. Es ist zu hoffen, dass er eine breitere Diskussion auslöst.