Treu’ und Herzlichkeit

In der Kundenfalle

»Sammeln Sie Herzchen?« Die Kassiererin strahlt. Ich überblicke die auf dem Laufband neben mir herkriechende Ware: Herzen? Mein verständnisloses Gesicht lässt die Frau insistieren: »Haben Sie Treuekarten – Herzchen?« Der Kosename aus längst vergangenen Zeiten schmeichelt mir. Hinter mir macht es »Ooch« und »Aach«, man scharrt mit den Füßen und drückt die Luft geräuschvoll durch die Nüstern. Während mich der heiße Atem der drängelnden Kundschaft im Nacken streift, erklärt mir die Kassiererin im freundlichen Singsang die Vorzüge des Bonuskartensystems bei Kaiser’s: Je Euro, für den man einkauft, gibt es ein Digit, und für viele Digits gibt es Großartiges. Als Gegenleistung muss man bloß ein paar Angaben machen. Zwar gebe ich nur ungern Dinge von mir preis, und schon die öffentliche Präsentation meines Einkaufs an der Supermarktkasse ist mir peinlich. Doch das Unbehagen weicht dem Jagdinstinkt. Während ich an der Kasse stehe, einen Griffel in der Hand und bereit, meine abgründigsten Geheimnisse der Happy-Digits-Company anzuvertrauen, bricht hinter mir die offene Revolte aus: »Ooch, dat jibs doch jarnich!« mosert die Meute. »Nur eene Kasse uff und denn ditte!«

Wieder draußen am Kotti wähne ich mich in der Nachfolge David Phillips, der es als notorischer Barry Egan in »Punch Drunk Love« zu Filmruhm brachte. Er schleppte palettenweise Healthy Choice Schokopuddings aus kalifornischen Supermärkten, die 12 000 Coupons brachten ihm über 1,2 Millionen Flugmeilen ein. Ich bin ganz aufgeregt. Für das Offenlegen meines Lebens tauche ich in eine bunte Welt aus Bonusheftchen, Rabattmarken, Points, Swops und Wohlfühlprämien ein. Selbst beim Wurstbräter um die Ecke wird mittlerweile die fluktuierende Kundschaft mit Treuepunkten fester gebunden. Wegen »viel Wurst, viel Curry«, wie einst Horst Tomayer das Geheimnis einer zufriedenen Imbisskundschaft lüftete, wird heutzutage niemand mehr Stammkunde. Nach zehn Hähnchen gibt’s eines für lau, lockt es auf einem fettigen Schild. Der Anblick der versammelten Broilerschar, die sich behaglich im Grill dreht, lässt mein Pankreas sich zusammenziehen und spontan Verdauungssäfte ausschütten. Widerstand ist zwecklos, ein unappetitlicher Bonuszettel gesellt sich zu den anderen im Portemonnaie.

Meine Freunde reden mir neuerdings ins Gewissen und kreieren eine unheimliche Welt mit personalisierten Kundendateien, Überwachung und Opfern gezielter Werbekampagnen. Allmorgendlich öffne ich erwartungsfroh den Briefkasten, doch welche Enttäuschung! Niemand bezirzt mich als solventen Konsumenten, nur ein ebenso penetranter wie debiler Herr Faber will mich für eine als Lottogemeinschaft getarnte Sekte anwerben. Ganz der Kenner, lege ich mittlerweile meine Karte bei Kaiser’s gleich zu den Waren aufs Band, blinzele dem Kassierer verschwörerisch zu und schleudere jede Penunze mit großer Freude hinaus, denn das gibt Happy Digits. Noch 1 523 Punkte, und ich kann im Rahmen der Prämienaktion »Frühlingszauber« das Holzhäschen mit dem possierlichen Namen »Norst« mein Eigen nennen. Es wurde von einem offensichtlich Verrückten fußbemalt, »lächelt freundlich und bringt bunte Ostereier und ein süßes Gießkännchen mit«.

titus engelschall