Unter Dämonen

Der Holocaust wird relativiert, die deutsche Besatzung Frankreichs banalisiert: Die Versuche, dem Front National ein liberaleres Image zu verpassen, sind gescheitert. von bernhard schmid, paris

Während einiger Wochen im Februar durfte Bruno Gollnisch, seit Jahren die Nummer zwei in der Hierarchie des Front National (FN), endlich einmal in die Fußstapfen des großen Bosses treten und die Partei alleine führen. Denn der Vorsitzende, Jean-Marie Le Pen, lag wegen einer Hüftoperation im Krankenhaus. Seine Tochter Marine, die bis vor kurzem noch zu seiner Nachfolgerin aufgebaut werden sollte, hatte zuvor ihren Verzicht auf den Posten erklärt. Ende Februar bezeichnete der genesene Le Pen senior den derzeitigen Generalbeauftragten seiner Partei, Gollnisch, auch öffentlich als seinen möglichen Nachfolger.

Gollnischs Freude wurde aber gedämpft, als er in der ersten Märzwoche für die Dauer von fünf Jahren aus dem Hochschuldienst entlassen wurde. Er darf seinen Beruf als Professor für japanisches und internationales Recht in dieser Zeit nicht ausüben. So sanktionierte der Disziplinarausschuss der Universität Lyon III Äußerungen, mit denen Gollnisch im Oktober des vergangenen Jahres den Holocaust relativiert hatte (Jungle World, 44/04). Gollnisch wurde damals zunächst vom Rektor der Universität vom Dienst suspendiert, ein Gericht hob diese Maßnahme jedoch wegen fehlender Rechtsgrundlage auf. Nur der Disziplinarausschuss könne eine Entfernung aus dem Dienstverhältnis aussprechen.

Daraufhin nahm Gollnisch Anfang Februar für kurze Zeit seinen Unterricht wieder auf. Eine Bande kurzgeschorener junger Männer aus der Anhängerschaft des FN stellte sich vor seinem Hörsaal auf, um einen »Ordnerdienst« zu verrichten. Als die eigenmächtig agierende Ordnertruppe linke und jüdische Studierende in den Räumen der Hochschule angriff, war das Maß jedoch voll. Noch vor der Zusammenkunft des Disziplinarausschusses wurde der rechtsextreme Professor erneut vom Dienst suspendiert. Als der Ausschuss in den ersten Märztagen zusammentrat, erschien Gollnisch mit 400 Anhängern vor der Hochschule und führte sich einmal mehr eher als Bandenchef denn als Wissenschaftler auf.

Ursprünglich sollte Marine Le Pen dem Konglomerat aus Altfaschisten, Veteranen der Kolonialkriege und ordinären Rassisten, aus dem der FN besteht, eine »Modernisierungskur« verpassen. Die Rede war von einer Strategie der »Entdiabolisierung«, die mit einer »verjüngten« Kommunikationsstragie, ständiger Medienpräsenz und dem Bemühen um Kontakte in Wirtschaftskreisen einhergehen sollte. So trat die Tochter Le Pens vor Studenten der Wirtschaftsschule HEC auf und debattierte mit Claude Bébéar, dem Vorstandsvorsitzenden einer Versicherung.

Doch die Versuche der »entdämonisierenden Modernisierung« sind gründlich gescheitert. Davon hat Marine Le Pen sich selbst überzeugt. Nach dem neuerlichen Skandal, der im Januar durch Äußerungen ihres Vaters provoziert wurde, der die Ära der Besatzung Frankreichs durch die Truppen der Wehrmacht als »nicht besonders inhuman« bezeichnete, sagte Marine Le Pen sämtliche Termine ab und verreiste auf unbestimmte Zeit. Einige Tage später legte sie ihre Parteiämter nieder, aber nicht das Abgeordnetenmandat im Pariser Regionalparlament. Nunmehr will sie sich ihrem Buch widmen, das im September herauskommen und eine rechte Zukunftsstrategie darlegen soll. Unter den Parteifunktionären wird sie bereits der »feigen Desertion« geziehen.

Zumindest vorübergehend scheint der Streit über die Strategie entschieden, der in ähnlicher Form auch andere rechtspopulistische oder rechtsextreme Parteien in Europa betrifft: Wie soll man es mit den verschiedenen Ausformungen des Faschismus im 20. Jahrhundert halten? Soll man »die Vergangenheit ruhen lassen«, wie es im Jargon der Rechtsextremen heißt, weil mit ihrer Beschwörung ohnehin keine Wählerstimme zu gewinnen sei, und sich als moderne Rechte ohne jeden Bezug zu den historischen Vorläufern präsentieren? Oder ist es im Gegenteil wichtig, die »Tabus des Systems« zu brechen, die bisher »jede gesunde nationale Regung« in die Schranken wiesen?

Marine Le Pen hielt es für strategisch geschickter, nicht als Verteidiger der historischen Nazis zu erscheinen, sondern lieber »die Einwanderung und den radikalen Islam« als Ursachen für den »heutigen Anstieg des Antisemitismus« anzuprangern. So müsse »der FN als einzige politische Organisation erscheinen, die in der Lage ist, sie (die französischen Juden, d. Red) zu verteidigen, da er als einzige Partei das Immigrationsproblem vorhergesehen hat«.

Der Generalsekretär des FN, Carl Lang, hat in der Pariser Zeitung Le Monde eingestanden, dass die Partei über ihre strategische Ausrichtung zerstritten ist: »Ein Zehntel der Aktivisten und Kader« wolle über die Relativierung der NS-Verbrechen sprechen. »Ein Zehntel ist der Auffassung, es sei eine Schande, die offizielle Geschichtsversion in Frage zu stellen. Der Rest will von etwas anderem reden.«

Die Zeitung berichtet, die Basis des FN sei angesichts des Sturms der Empörung, der ihr in den vergangenen drei Monaten wegen der Äußerungen von Le Pen und Gollnisch aus den Medien entgegenschlug, verunsichert: »Viele denken an die Präsidentschaftswahl von 2007 und reden von den Schwierigkeiten, die die Kader und Aktivisten haben werden, um die 500 Unterschriften von Bürgermeistern und Mandatsträgern aufzutreiben.« Diese sind notwendig, um eine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen anmelden zu können.

Ob Jean-Marie Le Pen, der im Juni dieses Jahres 77 Jahre alt wird, noch einmal kandidieren wird, ist noch nicht entschieden. Er möchte, wenn es seine Gesundheit erlaubt, unbedingt antreten. Fast seit 33 Jahren steht Le Pen an der Spitze der Partei. Dort herrscht unterdessen jedoch die Atmosphäre eines fin de règne, also einer Krise, die mit dem Tod eines lange regierenden Monarchen einhergeht.