Antisäkularer Sündenfall

Zeugen Jehovas gewinnen Rechtsstreit von ivo bozic
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Falls die Richter des Oberverwaltungsgerichts Berlin dachten, man könne und müsse die Zeugen Jehovas mit ihrer Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts von der Straße holen, haben sie sich geirrt. Die Damen und Herren mit dem Wachtturm an der Ecke sind keine Demonstranten, die für die Gleichbehandlung mit der katholischen und der evangelischen Kirche eintreten. Ihre Mission ist vielmehr die Mission.

Dennoch freut sich die Religionsgemeinschaft mächtig, dass sie im seit 15 Jahren andauernden Rechtsstreit auf ganzer Linie gewonnen hat. Nunmehr darf sie Kirchensteuern erheben und kirchliche Beamte beschäftigen. Beides will sie gar nicht. Aber andere Steuervorteile sind durchaus willkommen.

Und irgendwie geht es auch um Anerkennung. Schließlich wurden die »Bibelforscher«, wie sie sich früher nannten, im Nationalsozialismus verfolgt und rund 4 000 Gläubige kamen ins KZ. Doch bis heute sind sie als Opfergruppe kaum im gesellschaftlichen Bewusstsein vorhanden. In der DDR blieb die Gemeinde sogar verboten. Und gerade weil die Zeugen Jehovas im Gegensatz zu den großen Kirchen nicht kollektiv mit dem NS-System kollaborierten, mag man ihnen den kleinen Sieg über die anderen Kirchenmänner gönnen. Die nämlich ärgern sich schwarz und protestieren heftig. Ausgerechnet die repressive Ausrichtung der Religion werfen sie den Zeugen vor. Die haben es nötig!

Sicher, die Zeugen lehnen Bluttransfusionen ab, gängeln ihre Kinder, sind wissenschaftsfeindlich, erzkonservativ und leben sowieso völlig hinterm Mond. Aber solange Päpste und Bischöfe gegen Frauen, die abtreiben, und gegen Schwule hetzen und Verhütung untersagen, sind sie als Ankläger einer repressiven Religion denkbar ungeeignet.

Bei aller Schadenfreude im Hinblick auf die beiden großen Kirchen darf dennoch nicht übersehen werden, dass das Urteil ein weiterer Schritt ist, die verfassungsmäßig vorgeschriebene Trennung von Staat und Kirche aufzuheben. Schon der konfessionell gebundene Religionsunterricht an den Schulen, das Eintreiben der Kirchenbeiträge durch den Staat in Form von Steuern, Zuschüsse für Kirchenbauten, staatlich finanzierte Gehälter von Kirchenpersonal, die konfessionelle Ausbildung von Theologen an den Universitäten, die Militärseelsorge, all das und mehr steht dem schon immer entgegen.

Wenn also jetzt auch die Zeugen Jehovas eine Körperschaft des öffentlichen Rechts sind, so mag das gerecht sein, für die Säkularität ist es ein Rückschritt. Tröstlich ist, dass es schlimmere Sekten als die etwa 210 000 Mitglieder zählenden Zeugen Jehovas gibt, obwohl diese die Existenz von Dinosauriern leugnen müssen, weil in der Bibel nicht erwähnt wird, dass sie auf der Arche eincheckten, und auch sonst ziemlich viel Irrsinn verbreiten. So ist etwa der mehrfach vorhergesagte Weltuntergang bis heute ausgeblieben. Aber Religionen sind per se nicht rational begründet. Das brauchen sie auch nicht zu sein. Und schließlich glauben Katholiken und Protestanten zum großen Teil den gleichen Quatsch. Man denke nur an die jungfräuliche Empfängnis.

Allerdings stellt sich die Frage, ob das Urteil, gegen welches das Land Berlin zwar Beschwerde einlegen will, was aber nicht als Erfolg versprechend gilt, künftig nicht auch auf andere Religionsgemeinschaften angewandt werden könnte und wohin das alles führen soll. Sicher ist nur: nicht vor das Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe. Da war der Fall schon und wurde zurückverwiesen. Dabei wäre genau dort über die Sünden hinsichtlich des Trennungsgebots von Staat und Kirche zu verhandeln.