Verband gesucht

Der ehemalige Skisprungweltmeister Adam Malysz will den Verband wechseln. Sein derzeitiger will das jedoch nicht zulassen, und Alternativen gibt es auch nicht. von elke wittich

Einziger Top-Skispringer eines Landes zu sein, ist, so möchte man meinen, eine unglaublich bequeme Sache. Man muss die Aufmerksamkeit der Fans mit niemandem teilen, genießt verbandsintern viele Vorrechte und ist noch dazu umgeben von dankbaren Funktionären, die vor lauter Freude über die vielen Siege gar nicht dazu kommen, die in anderen Teams üblichen Intrigen zu beginnen.

Der Pole Adam Malysz konnte so über viele Jahre hinweg nahezu ungestört von Schanzen hüpfen, Weltmeister und Olympiasieger werden und sich zugleich sehr sicher sein, dass ihm außer Autogrammjägern niemand weiter auf die Nerven gehen würde. Zumal er der große Sportstar seines Landes war.

Mittlerweile ist es aber mit der Ruhe vorbei. Nachdem Malysz im Februar 2005 bei den Weltmeisterschaften von Oberstdorf beide Titel verloren hatte, begann im polnischen Team ein derart ausufernder Krach, dass es der Star nicht mehr ausschließt, demnächst ganz einfach das Land zu wechseln und in Zukunft beispielsweise für Norwegen zu starten.

Begonnen hatte alles damit, dass der Präsident des polnischen Ski-Verbandes (PZN), Pavel Wlodarzyk, dem Bundestrainer Heinz Kuttin öffentlich ein Ultimatum stellte. Der Österreicher, seit 2004 im Amt, solle dafür sorgen, dass Malysz den Skiflug-Weltcup hole, ansonsten werde er entlassen, erklärte Wlofarczyk.

Das klappte jedoch überhaupt nicht. Der Norweger Bjørn Einar Romøren stellte mit 239 Metern einen neuen Weltrekord auf, während Janne Ahonen mit 240 Metern zwar noch ein bisschen weiter sprang, jedoch so unglücklich landete, dass der Sprung nicht nur nicht gewertet wurde, sondern ihn sogar ins Krankenhaus brachte.

Adam Malysz wurde Vierter, und prompt eskalierte im enttäuschten polnischen Verband der Krach noch ein bisschen mehr.

Hintergrund sei wohl ein gar nicht so unüblicher Krach zwischen Vorgänger und Nachfolger: Apoloniusz Taijner, der als einer der Väter der Erfolges Malysz’ galt, arbeitet seit seiner Ablösung durch den Österreicher Kuttin in der Verbandsführung, möglicherweise wolle er seinen Trainerposten zurück, mutmaßten deutsche und österreichische Zeitungen.

Vielleicht ist alles aber auch ein wenig komplizierter: Denn Adam Malysz selber erklärte in einem auf das Ultimatum folgenden Interview , dass es eigentlich um Geld gehe. »Das ist schon seltsam, was Pavel Wlodarczyk von sich gibt. Ich sollte noch Geld von vor drei Jahren bekommen«, erklärte er. »Der Präsident würde mich eigenen Angaben zufolge aus dem Weltcup nehmen, damit ich mich auf Planica vorbereiten könne, um den Skiflug-Weltcup zu gewinnen, aber Wlodarczyk hat sich während der gesamten Wettkämpfe noch nie mit mir oder mit Heinz unterhalten. Er kann das überhaupt nicht beurteilen.«

Auf seiner Internetseite verkündet der Verband zwar, dass er alle Gelder an Malysz bezahlt habe, der Sportler zeigte sich davon jedoch völlig unbeeindruckt: »Mich interessiert, was der Verband machen würde, wenn ich von heute auf morgen meine Ski an den Nagel hängen würde.«

Klagen vermutlich, denn sonst hätten sich seine Funktionäre sicherlich nicht derart weit vorgewagt. Sie beschwerten sich nämlich vor allem darüber, dass der PZN durch die Zusammenarbeit von Malysz mit dem österreichischen Manager Edi Federer um Werbeeinnahmen in Millionenhöhe geprellt werde. Man habe dem Skispringer erst die Karriere ermöglicht, lautete die Argumentation der Funktionäre, nun sei es ungerecht, wenn der Verband nicht, wie sonst üblich, von den Werbeflächen auf dem Skisprunganzug profitiere. Bis zu einer Million Euro verliere man dadurch, hieß es, deswegen werde der Vertrag mit Federer zum 30. März 2005 auslaufen. Verbandspräsident Wlodarczy konterte mit der Bemerkung, man habe in Gesprächen lediglich Eckdaten über einen möglichen verlängerten Vertrag ausgehandelt, ein unterschriftsreifer Kontrakt sei jedoch nie verfasst worden.

Adam Malysz erklärte in einem Interview mit der Tageszeitung Zycie Warszawy zunächst: »Ich habe nichts mit dem Vertrag zwischen dem Verband und Edi zu tun. Ich will nur sicher sein, dass mein Vertrag mit Federer nicht in Frage gestellt wird. Natürlich bin ich bereit, mich mit dem Präsidenten zu treffen und alles zu klären – auch die Sache mit der Zusammenarbeit mit Heinz Kuttin.« Gleichzeitig betonte er: »Edi Federer ist mein Manager. Seinetwegen kann ich mit der Weltspitze mithalten. Er sichert mir und meinen Kollegen im Kader die beste Ausrüstung. Ich würde mich gerne auf die Olympischen Spiele in Turin zusammen mit Edi Federer und Heinz Kuttin vorbereiten.«

Das hinderte alle Beteligten jedoch nicht daran, sich in der Folgezeit mit gegenseitigen Beschuldigungen weiter zu blamieren. Und zur Not mit internationaler Beteiligung. In deutschen Zeitungen war schließlich der ehemalige Skisprung-Nationaltrainer Reinhard Heß als möglicher neuer polnischer Coach in Position gebracht worden.

Der Thüringer brachte sich jedoch am vorverletzten Wochenende mit einem Statement um die Chance, jemals wieder fähnchenschwenkend auf dem Kampfricherturm das Okay für den baldigen Sprungbeginn eines ausgesprochenen Superstars zu geben. »Ich werde nicht mehr als Trainer am Mann arbeiten, und ein Wechsel ins Ausland kommt für mich nicht in Frage. Mich in Verbindung mit einem Postenschacher zu bringen, finde ich für andere wie für mich selbst verletzend und entwürdigend«, sagte er. Was er so furchtbar daran findet, irgendwo einen neuen Job zu bekommen, sagte Heß nicht. Stattdessen führte er aus: »Noch allzu gut erinnere ich mich an die Zeiten des polnisch-deutschen Schulterschlusses, als wir gemeinsam gegen Hooligans an den Schanzen auftraten und in Hinterzarten einen Jugendwettbewerb initiierten. Gehören diese Zeiten nunmehr der Vergangenheit an? Sollten unsere Freunde im polnischen Verband verlernt haben, was korrekte Vorgangsweisen sind, was Anstand und Respekt bedeuten?«

Was bedeuten könnte: »Ich will auf keinen Fall so weit herunterkommen, dass ich ausgerechnet in Polen Nationaltrainer werde.« Oder auch: »Ich habe keine Ahnung, worüber ich rede, aber nett, dass mich mal wieder jemand nach meiner Meinung fragt«. Oder irgendetwas anderes.

Adam Malysz scheint es jedenfalls auch nicht so ganz genau zu wissen, möglicherweise hat er aber auch nur genug von allen bislang Beteiligten. »Malysz könnte Norweger werden«, titelte am Wochenende die norwegische Tageszeitung Verdens Gang, nachdem das polnische Magazin Fakt den Skispringer in einer Fotomontage mit einem norwegischen Springerhelm gezeigt hatte. Zuvor hatte Malysz in einer im Fernsehen live übertragenen Pressekonferenz erklärt, er denke daran, seine Karriere entweder zu beenden oder das Land zu wechseln, wenn sein Verband »nicht endlich mit den Intrigen aufhört und endlich mal darauf hört, was ich möchte«.

Besonders begeistert ist man in Norwegen jedoch nicht von der Aussicht, bald womöglich Adam Malysz im »Hopp-Laget« begrüßen zu können. Im Gegensatz zu Nationen wie Österreich und Slowenien, die ebenfalls als neue Heimat für den polnischen Skispringer im Gespräche sind, nehme man nicht jeden auf, sagte Skiverbandspräsident Sverre Seeberg. »Dass ein Star seine Sponsorengelder und Trainer einpackt und einfach das Land wechselt, um alle Einkünfte für sich selber behalten zu können, ist meiner Ansicht nach keine wünschenswerte Entwicklung. Wenn jemand wie Malysz sagt, dass er woanders starten möchte, sollten bei ihm daheim alle Warnlichter zu blinken anfangen! Und überhaupt, so etwas würde auch seine Zeit dauern, von heute auf morgen ginge das ganz sicher nicht.«

Denn schließlich hat auch Seeberg Hintergedanken in diesem Fall, was Malysz’ Position daheim sicher nicht einfacher macht. Norwegen habe, so der Funktionär, »nämlich ganz einfach selber schon genug gute Skispringer, unser Kader ist schon voll«.