Fernseher läuft, Paul ist tot

Nach dem Tod von Johannes Paul II. rangeln Kirchenvertreter um die Vorherrschaft im Vatikan. von monika pilath

In Sachen Ikonografie macht dem Vatikan so schnell niemand etwas vor. Mit seinem Tod zur Prime Time am Samstagabend durfte Karol Wojtyla seine Rolle als Medienpapst bis zum letzten Atemzug zelebrieren. Schon die Tage und Wochen zuvor, in denen die Krankheit und das Leiden von Johannes Paul II. die Fernsehstationen in zahlreichen Sondersendungen beschäftigten, hatten die Stellung des einstigen Laienschauspielers als wichtigster Popikone der vergangenen 50 Jahre vor Che Guevara und Michael Jackson zementiert.

Doch was wird mehr bleiben als die Bilderflut zu den Bodenküssen bei den 104 Auslandsreisen des ersten Papstes seit 450 Jahren, der kein Italiener war? Und wer wird sich als neuer Pontifex maximus, als Glaubenschef von rund einer Milliarde Katholikinnen und Katholiken, in dem längst entbrannten Machtkampf im Männerclub der obersten Diener Gottes durchsetzen? Mit dieser Frage ist in Polen dieser Tage noch kaum jemand beschäftigt, überwiegt doch die Trauer über den Tod des ehemaligen Erzbischofs von Kraków.

Anders als etwa in einigen ebenfalls als hyper-katholisch geltenden lateinamerikanischen Staaten sind dabei zwei spezielle Aspekte von Bedeutung: Der am 18. Mai 1920 im südpolnischen Wadowice geborene Wojtyla wird zum einen als Symbol für polnischen Widerstand gegen die nationalsozialistische Besatzung verehrt. Dies gründet sich u.a. darauf, dass er 1942 in ein verbotenes Priesterseminar in Kraków eintrat. Zudem gilt er als eine Schlüsselfigur beim Zusammenbruch des kommunistischen Regimes in Polen, mit dem Ende der siebziger Jahre der Zerfall des gesamten so genannten Ostblocks begann. Schon 1979 nutzte er dabei die Macht der Medien. Die Bilder vom Papst, der dem damaligen Solidarnosc-Chef Lech Walesa das Abendmahl erteilte, untergruben die Macht des explizit atheistischen Systems. Das ist Geschichte.

Als entscheidender für die Zukunft der katholischen Kirche dürfte sich die grundlegende Reorganisation der kirchlichen Macht sowie die Festschreibung knallharter dogmatischer Positionen erweisen. Der im Alter von 84 Jahren Verstorbene festigte während seiner gut 26jährigen Amtszeit – der längsten nach der von »Ur-Papst« Petrus und Pius IX. – den Vatikan als zentralistische Bastion der Antimoderne. Insgesamt zerstörte er die mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in den sechziger Jahren aufkeimende Hoffnung an der Kirchenbasis auf eine Abkehr von überkommenen Glaubenslehren sowie auf eine Demokratisierung der römisch-katholischen Kirche.

Beispiele hierfür gibt es viele: Homosexualität klassifizierte der Papst als Abnormität. Der ungebremsten Ausbreitung von Aids zum Trotz verdammte er jegliche »künstliche« Empfängnisverhütung. Dass die Zahl derjenigen Gläubigen, die die rigiden sexualmoralischen Verdikte praktisch beherzigen, zumindest in Europa und den USA äußerst gering war, focht den Papst nicht an.

Auch am Zölibat ließ er nicht rütteln, die Diskussion um Frauen als Priester verbot er kurzerhand. In seiner Ablehnung von Abtreibungen griff der Pontifex in seinem erst kürzlich erschienenen neuesten Buch gar zum Vergleich mit dem Holocaust. Ökumenische Ansätze – in salbungsvollen Reden propagiert – blockte der Papst in offiziellen Dokumenten sogleich wieder ab; so wurde etwa dem gemeinsamen Abendmahl mit den evangelischen Brüdern und Schwestern ein Riegel vorgeschoben. Auch die angebliche Vorherrschaft des römischen Katholizismus vor allen anderen Glaubensgemeinschaften bekräftigte der Papst.

Gleichwohl unternahm Johannes Paul II. mit Blick auf die kirchliche Vergangenheit vorsichtige Schritte in Richtung Realität. Indem er Galileo Galilei rehabilitierte, hat die katholische Kirche immerhin zugegeben, dass die Erde keine Scheibe ist. Sehr viel vorsichtiger formulierte der »Heilige Vater« im Hinblick auf die Rolle Roms im Nationalsozialismus. Zwar gestand er die Mitschuld von Christen an der Shoah ein, nicht aber die der Kirche. Auch bat er lediglich ganz allgemein um Vergebung für die von Christen begangenen Grausamkeiten etwa während der Inquisition, ganz so, als ob es dafür keine institutionelle Verantwortung der Kirche gegeben hätte.

Physische Folter wie im Mittelalter und in der frühen Neuzeit hat die katholische Kirche Johannes Pauls II. nicht mehr nötig, um die Untertanen auf Linie zu bringen. Unliebsame Geister ist er durch Lehrverbote los geworden, etwa im Fall des Tübinger Moraltheologen Hans Küng. Wenn gar nichts mehr half, schloss die römische Zentrale des Katholizismus »Ketzer« aus, so geschehen im Fall von Leonardo Boff, dem Kopf der marxistisch angehauchten Befreiungstheologie Lateinamerikas.

Dies konterkarierte auch das wortgewaltige Eintreten gegen die Verwerfungen des »Turbokapitalismus«. Subtiler und langfristig um so wirksamer ist die von Johannes Paul II. geförderte Ausbreitung erzkonservativer Kräfte an wichtigen Positionen der römisch-katholischen Kirche, etwa aus der fundamentalistischen Priester- und Laienorganisation Opus Dei. Die gewachsene Bedeutung der Organisation verdeutlichte der Papst in der Öffentlichkeit im Jahr 2002 mit der Heiligsprechung des Gründers von Opus Dei, José Maria Escriva de Balaguer.

Seine Medienpolitik ließ sich der Pontifex vom früheren Sprecher der Organisation, Joaquin Navarro-Valls, managen. Die reformkatholische Bewegung »Wir sind Kirche« beklagt als Folge der Restaurierung autoritärer innerkirchlicher Strukturen ein »Klima lähmender Angst und geistiger Erstarrung«. Daran dürfte sich auf absehbare Zeit nichts ändern. Die vom verstorbenen Papst etablierten personellen Strukturen werden bei der Wahl seines Nachfolgers von zentraler Bedeutung sein. Die meisten der wahlberechtigten 117 Kardinäle, die spätestens 20 Tage nach dem Tod von Wojtyla zur streng von der Öffentlichkeit abgeschirmten Abstimmung in der Sixtinischen Kapelle zusammenkommen werden, hat er selbst ernannt. Zumindest wird keiner gegen den Willen der erzkonservativen Kardinäle der neue Papst werden, unabhängig davon, ob es ein Nicht-Europäer schafft, wie von einigen Angehörigen des Klerus angesichts dessen verlangt wird, dass rund 65 Prozent der Katholiken in Afrika, Asien und vor allem Südamerika leben. Wahrscheinlich scheint vielmehr, dass es einer aus dem reaktionären Block auf den Heiligen Stuhl schafft.

Wer als Favorit in das Konklave geht, kommt als Kardinal wieder heraus, heißt es in Rom. Danach dürfte der deutsche Kurienkardinal Joseph Ratzinger, einer der engsten Vertrauten von Johannes Paul II. und für die reanimierte Inquisition zuständig, keine Aussichten auf eine Wahl haben. Chancen dürfte seitens der Europäer vielmehr der Opus Dei nahe stehende Italiener Dionigi Tettamanzi, Erzbischof von Mailand, haben. In dem 71jährigen sehen viele Kardinäle den idealen Übergangspapst.

Selbst für den Fall, dass sich auch nach 33 Wahlgängen nicht die geforderte Zweidrittelmehrheit finden lässt, hat Johannes Paul II. vorgesorgt. 1996 verfügte er eine Änderung des Wahlmodus, die es erlaubt, den Papst mit einfacher Mehrheit zu wählen. Er erhoffte sich davon, dass sich schließlich ein Favorit des sich in der Mehrheit befindlichen erzkonservativen Blocks durchsetzt.