Sorbische Sorgen

Es ist vollbracht: Die erste sorbische Minderheitenpartei ist gegründet. Eine Safari durch das österliche Sorbenland in der Lausitz mit matthias gärtner (text) und marcel noack (fotos)

Mit Schleswig-Holstein hat sich die Medienöffentlichkeit in der letzten Zeit ausgiebig beschäftigt. Mit zum Teil überraschenden Folgen. So hat das wochenlange Gezerre um den Südschleswigschen Wählerverband (SSW) dazu geführt, dass in der mehrere hundert Kilometer entfernten Lausitz Wenden und Sorben auf die Idee kamen, nach dem Vorbild des SSW eine eigene Minderheitenpartei zu gründen. Ein Grund für uns, sich einmal näher mit der slawischen Minderheit in Brandenburg und Sachsen zu befassen. Was passt da besser, als sich in der österlichen Zeit in die Lausitz zu begeben? Bemalte Eier, junge Burschen auf Pferden, die zu Ostern Geflügel den Kopf abschlagen, und altertümliche Trachten. Wer aus der Gegend kommt, dem sind die diversen sorbischen Bräuche ganz sicher aus frühester Kindheit in Erinnerung geblieben.

Unser Weg führt zunächst nach Weißwasser in der Oberlausitz. Beim Abendessen in der örtlichen »American Bar« erfolgt eine erste Annäherung an das Thema. Wie das hier mit den Sorben sei, fragen wir die Barfrau. Sie zuckt nur mit den Schultern. »Sorben? Die bekommen wir hier nicht mit. Na ja, die Osterbräuche sind von denen«, antwortet sie schließlich. Offensichtlich sind wir noch nicht am richtigen Ort. Insgesamt 60 000 Sorben und Wenden sollen in der Region leben. Wenden sind eher in der Niederlausitz und Sorben in der Oberlausitz zu finden. Also suchen wir in Bautzen weiter. Die Stadt gilt als die heimliche Hauptstadt der Sorben.

Der erste Weg führt zur örtlichen PDS, denn uns wurde erzählt, dass die sich besonders um die Belange der Sorben kümmere. In Bautzen hat auch der lokale Landtagsabgeordnete Heiko Kosel, der selbst Sorbe ist, sein Büro. Dort treffen wir einen tüchtigen Genossen an, der uns bereitwillig die miese Situation der Sorben und die Weltlage im Allgemeinen erläutert. Seiner Meinung nach kümmerten sich die Deutschen mittlerweile »einen Scheiß« um die Sorben. Zu DDR-Zeiten sei das alles besser gewesen. Warum die Lage der Sorben so schwierig sei, erklärt er uns so: »Das genetische Material geht halt weg in den Westen.« Der Mauerfall ist also offenbar Schuld. Die Sorben gehen einfach in den Westen und machen Kinder mit Leuten, die keine »reinen« Sorben sind. Als wir uns verabschieden, gibt uns der Genosse einen gewichtigen Satz mit auf den Weg: »Nehmt mit: Wir wollen, dass das weitergeht mit den Sorben.«

Wir machen uns auf zur Domowina, dem Bund der Lausitzer Sorben, in dem 14 Vereine organisiert sind. Er ist die offizielle Vertretung der sorbischen Minderheit. Dort treffen wir auf Jurij Wuschansky, den Referenten für kulturelle Angelegenheiten und Auslandsfragen. Von Berichten darüber, dass die Ressentiments gegenüber Sorben in der Bevölkerung zugenommen haben, hält er nichts. Da werde in letzter Zeit etwas übertrieben, erklärt er, auch wenn er von einem Vorfall berichten kann. An das Gebäude, in dem die Domowina ihren Sitz hat, sei ein Hakenkreuz »gekritzelt« worden. Die Lokalpresse hatte davon Wind bekommen, und die Redaktion plante, darüber zu berichten. Beim Kaffee, erzählt Wuschansky, habe er dem Redakteur das aber ausgeredet. »Meiner Meinung nach müssen sich auch die Sorben fragen, was sie in ihrer Außendarstellung falsch machen.« Im Übrigen glaube er, dass »die«, damit meint er die deutsche Mehrheitsbevölkerung, nicht ohne Sorben auskämen. Das zeige sich allein an Ostern. »Von den zahlreichen Besuchern aus dem In- und Ausland profitieren hier alle.«

Besonders viele Bräuche der katholischen Sorben ranken sich um das Osterfest; das Osterreiten zum Beispiel, bei dem am Ostersonntag Männer zu Pferd die Botschaft von der Auferstehung Christi in die Nachbargemeinde tragen. Oder auch das kunstvolle Eierbemalen. Einige dieser Bräuche hätten sich, erklärt Wuschansky, mittlerweile auch bei Nicht-Sorben durchgesetzt. So sei beispielsweise die »Vogelhochzeit« ein sorbischer Brauch gewesen, nunmehr werde sie von allen in der Region gefeiert. Bei diesem Brauch werden am Vorabend des 25. Januar leere Teller ans Fenster gestellt, wo dann die Vögel aus Dankbarkeit für die Winterfütterung Gebäck und Süßigkeiten für die Kinder ablegen. Und die Kinder verkleiden sich als Vögel.

Bei der Polizeidirektion in Görlitz erkundigen wir uns, ob es in letzter Zeit vermehrt gewaltsame Übergriffe auf Sorben gegeben hat. Verwiesen wird auf eine Nazischmiererei in Klein-Welka, einem kleinen Ort in der Nähe von Bautzen. Uns wird ein Gespräch zu diesem Thema mit dem »Revierführer« namens Hoppe in Kamenz vermittelt. Herr Hoppe sieht in seinem Bereich weder ein Problem mit Sorben noch ein Neonaziproblem. Im Gegenteil. Die Kriminalität sei in den sorbischen Dörfern geringer, und dort sei es auch sauberer als in den deutschen. »Die haben ihre eigene Polizei. Sehen Sie, das ist so«, erklärt er, »wenn in einem sorbischen Dorf ein Schaf gestohlen wurde, erwähnt das der Pfarrer am Sonntag in seiner Predigt, und am Montag, da können Sie sich sicher sein, steht wieder ein Schaf in dem Garten des Bauern, der bestohlen wurde.«

Dass es in der Gegend offensichtlich doch ein Problem mit Neonazis gibt, berichtet uns dagegen eine junge sorbische Kellnerin beim Abendessen. Sie erzählt, dass sie Angst habe, auf der Straße mit ihrer Freundin sorbisch zu reden, weil Neonazis in der Nähe sein könnten. Auch macht sie in ihrer sorbischen Tracht nicht gerne allein im Restaurant Dienst. Vor einiger Zeit fand man vor der Tür des Lokals einen Zettel, auf dem die Sorben aufgefordert wurden, sich »zu verpissen«. Auch kann sie davon berichten, dass in Diskotheken junge Sorben zuweilen als »Sorbenschweine« beschimpft werden.

Insgesamt ist unser erstes Fazit, dass sich beide Bevölkerungsgruppen sehr fremd sind, wenig voneinander wissen und in unterschiedlichen Welten leben. Bestätigt wird das in einem Gespräch mit Benedikt Dyrlich, dem Chefredakteur der sorbischen Tageszeitung Serbske Nowiny, und der Journalistin Matlenka Solcic. Die Zeitung erschien erstmals 1921 und hat heute eine bescheidene Auflage von 2 000 Stück. Zu 90 Prozent lebt sie von staatlichem Fördergeld.

Solcic meint, es sei wichtig, dass die Sorben ihr Selbstbewusstsein stärken. Sorben seien nicht die Eiermaler, die in Trachten durch die Gegend laufen. »Wir sind doch nicht anders als die anderen«, ist Solcics Auffassung, und sie fügt hinzu: »Wir sind cool, auch wenn wir sorbisch sprechen.« Benedikt Dyrlich ergänzt, dass die Sorben immer Unterwürfigkeitsverhältnisse eingehen mussten: »Wenn die Oberen sagten, dass wir zurücktreten müssen, dann haben wir das auch getan.« Dyrlich, dessen Zeitung 1937 von den Nazis verboten worden ist, verweist darauf, dass im Gegensatz zur deutschen Bevölkerung die Sorben den Nazis sehr kritisch gegenübergestanden haben. Dyrlich und Solcic können auch von zahlreichen antisorbischen Vorfällen berichten, betonen aber, dass man nicht von einer allgemeinen sorbenfeindlichen Stimmung der Bevölkerung sprechen könne.

Aber insbesondere Neonazis in der Region scheinen die Sorben als Gegner ausgemacht zu haben. Die NPD des Freistaates Sachsen hat dazu auch klare Vorgaben gemacht. Sie will Artikel 5 Absatz 1 der sächsischen Verfassung streichen. In diesem ist festgeschrieben, dass das »Volk des Freistaates Sachsen« aus »Bürgern deutscher, sorbischer und anderer Volkszugehörigkeit« besteht. In letzter Zeit wurden häufig die sorbischen Namen auf den zweisprachigen Ortsschildern überschmiert. In Cottbus musste sich eine Gruppe sorbischer Gymnasiasten vor einem heranstürmenden Neonazitrupp in einem Schnellrestaurant verschanzen.

Matlenka Solcic erzählt von einem mexikanischen Restaurant, in dem künftig nur noch Deutsch gesprochen wird. Ein sorbischer Kellner hatte sorbische Gäste in ihrer Sprache bedient. Sein Chef wies ihn an, dass er diese Gäste nicht mehr zu bedienen habe. Das solle künftig ein deutscher Kellner tun. Der Kollege ging daraufhin zu den sorbischen Gästen und teilte ihnen mit, dass sie zahlen sollten, sie seien hier nicht mehr erwünscht. In einem Behindertenheim gab es Anweisungen an die Angestellten, dass in Anwesenheit nicht sorbisch Sprechender grundsätzlich Deutsch zu reden sei. Andernfalls drohten arbeitsrechtliche Konsequenzen. Pikanterweise befindet sich das Heim in einem Kloster.

Mit diesen Eindrücken geht es dann am Ostermontag weiter nach Peitz in die Nähe von Cottbus. Via Internet hat dort die frisch gegründete »Wendische Volkspartei«, auf sorbisch »Serbska Ludowa Strona«, zur ersten Pressekonferenz geladen. Die Zeit und den Ort hat sie nicht angegeben. Das überlässt man dem journalistischen Spürsinn. Bekannt ist nur, dass die Pressekonferenz nach dem Gottesdienst stattfinden soll. Wir fragen in einem Hotel am Marktplatz nach. Ja, man habe gehört, dass da irgendwas sein solle, aber so recht wisse man auch nicht bescheid. In der nahe gelegenen Kirche werden wir schließlich fündig.

Bei Kaffee und Kuchen plaudern der Parteichef Hannes Kell und sein Generalsekretär Henry Matusch über ihre neue Partei. Man wolle die Interessen der sorbischen und wendischen Minderheit in der Nieder- und Oberlausitz vertreten und unterstütze insbesondere Bemühungen zum Erhalt der kulturellen und vor allem der sprachlichen Identität des wendisch-sorbischen Volkes. Im Programmentwurf heißt es: »Dazu zählen als wesentliche Voraussetzungen die Sicherung des Siedlungsgebietes als auch der wirtschaftlichen Grundlagen des wendisch-sorbischen Volkes.« Gerade mal zwölf Gründungsmitglieder hatten sich eine Woche zuvor zusammengefunden, um der Partei Leben einzuhauchen. Das Parteiprogramm soll nun öffentlich diskutiert werden. Aber eine Satzung sei schon vorhanden, erklärt der Generalsekretär, wenn auch nur handschriftlich.

Offen ist, welche Voraussetzungen man mitbringen muss, um Mitglied der Partei zu werden. Dürfen nur Wenden und Sorben mitmachen? Das sei noch nicht endgültig geklärt, sagt Kell. Er weist Anschuldigungen zurück, dass sie mit der Partei das wendisch-sorbische Volk spalteten. Man wolle vielmehr eine »greifbare Alternative für die Region« sein. Auch wolle man nicht die Autorität der offiziellen Vertretung der Sorben, die Domowina, untergraben. Obwohl man der Domowina unter der Hand vorwirft, sie betreibe so etwas wie »Indianerreservatspolitik«, sieht sich die Partei offiziell eher als Ergänzung. Parteichef Kell beklagt, dass in der Region die Chancen des bikulturellen Lebens nicht ausreichend genutzt würden. Es finde kein kultureller Austausch statt.

Das erste Ziel der Partei besteht darin, bis Jahresende 100 Mitglieder zu gewinnen. Vor allem auf kommunaler Ebene will die Sorbenpartei wirken und dabei speziell die ländliche Bevölkerung ansprechen. Eine Partei, betont Kell, könne mehr Öffentlichkeit für die wendisch-sorbische Minderheit herstellen.

Und da hat er wohl Recht. Obwohl die kleine Pressekonferenz nicht gerade Aufbruchsstimmung ausstrahlt, ist am nächsten Tag bundesweit in den Medien eine umfangreiche Berichterstattung über diese Veranstaltung zu finden. Die ersten politischen Reaktionen auf die Parteigründung sind zurückhaltend bis kritisch. Heiko Kosel sagt, dass es in der Tat Defizite in der politischen Interessenvertretung der Sorben gebe: »Die demokratische Teilhabe der Sorben ist unzureichend.« Aber auch er ist erstaunt über das geringe Interesse von Sorben an der Parteigründung. Für ein Landtagsmandat müsste die Partei bei der kommenden Wahl in gut vier Jahren 20 000 Stimmen erhalten. Dass sie das schafft, erscheint doch recht unwahrscheinlich. Kosel verspricht sich mehr davon, die Rechte der Domowina zu stärken. Ihre Vorschläge müssten auf der politischen Ebene mehr berücksichtigt werden. Jurij Wuschansky von der Domowina macht aus seiner Ablehnung der Parteigründung keinen Hehl: »Für uns ist das letztlich einfach nur Schwachsinn.«

Mit dem Eindruck, dass sich das mit der Partei recht bald erledigt haben dürfte, beenden wir unsere kleine Safari durch das österliche Sorbenland. Ein sorbisch bemaltes Osterei haben wir den Freunden zuhause als Souvenir mitgebracht.