Wie im Osten

Auch nach dem Mord an einem Dortmunder Punk tritt die Neonaziszene der Stadt offensiv in Erscheinung. von peter busch

Die linke Szene in Dortmund ist in Aufruhr. Am Ostermontag erstach ein 17jähriger Neonazi in Begleitung seiner Freundin den 32jährigen Punk Thomas Schulz. Ort des Geschehens war die U-Bahn-Station Kampstraße mitten in der Innenstadt.

Zunächst kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung, dann stach der Rechtsextreme zu. Der Punk, den seine Freunde »Schmuddel« nannten, hatte keine Chance, sich gegen den brutalen Angriff zu wehren. Der namentlich nicht bekannte Täter floh, konnte aber nach kurzer Zeit von der Polizei gestellt werden. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft und schweigt. Wie die Dortmunder Antifa berichtet, sei ihm aus der Naziszene sogleich ein Anwalt zur Seite gestellt worden.

Im U-Bahnhof Kampstraße entstand schnell eine kleine Gedenkstätte. Schriftliche Bekundungen von Leid und Wut wurden an eine Säule geheftet, Blumen wurden aufgestellt und Kerzen angezündet.

Bereits zwei Tage nach dem Mord versuchten einige Neonazis, die Gedenkstätte zu verwüsten, konnten aber vertrieben werden. Donnerstagnacht näherte sich ein nach Polizeiangaben der rechtsextremen Szene zugehöriger 23jähriger der Gedenkstätte, es kam zu einem Wortgefecht. Daraufhin zog der Neonazi sein Messer und ging auf einen Punk los. Die Polizei nahm auch ihn fest. Am Freitagmorgen prangten Plakate an Häuserwänden mit der Aufschrift: »Antifa-Gruppen zerschlagen. Wer der Bewegung im Weg steht, muss mit den Konsequenzen leben.« Dortmunder Antifas sind überrascht vom offensiven Auftreten der Neonazis nach dem Mord und sehen darin eine neue Qualität: »Das ist eine offene Kampfansage, die Mord als Teil der politischen Praxis betrachtet.«

Offensichtlich herrschen in Dortmund Verhältnisse, die man bisher eher im Osten der Republik für möglich hielt: Eine gut organisierte und extrem gewaltbereite Neonaziszene verbreitet Angst und Schrecken. Die Dortmunder Stadtoberen haben das Problem jahrelang totgeschwiegen und wiegeln selbst jetzt noch ab: »Eine rechte Szene haben wir nicht«, sagt ein Pressesprecher der Stadt der Jungle World. Folglich gebe es auch kein Problem. Gerhard Langemeyer (SPD), der Oberbürgermeister der Stadt, weilte in der Woche nach Ostern noch in seinem Urlaubsdomizil.

Ein Sprecher der Stadtwerke, auf deren Gelände der Mord geschah, bekundet sein Mitgefühl. Die Gedenkstätte im U-Bahnhof tolerierten die Stadtwerke allerdings nur bis Freitagabend. Seither herrscht in Bus und Bahn wieder Normalität: »Alle Fahrgäste sind uns willkommen.« Von früheren rechtsextremen Angriffen in der Gegend der U-Bahnhöfe weiß man bei den Stadtwerken nichts.

Bei der Dortmunder Polizei hat man das Vorhandensein einer rechtsextremen Szene durchaus bemerkt. Sie geht von einem Kern von »60 bis 80 Personen« aus. Der örtliche Staatsschutz hat in den Jahren 2003 und 2004 jeweils circa 200 rechte Straftaten registriert, darunter im vorigen Jahr auch fünf Körperverletzungen.

Nach dem Mord scheint sich in der Stadt mit 600 000 Einwohnern etwas zu bewegen. Zu einer Demonstration am Samstag, an der mehrere tausend Menschen teilnahmen, riefen beispielsweise auch der DGB und das Diakonische Werk auf. Höchste Zeit, denn der Mord ist nur der traurige Höhepunkt einer ganzen Reihe von Aktionen der Neonazis. Erst Mitte März versuchten sie, eine Veranstaltung mit Lore Junge, einer Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus, zu verhindern. Sie riefen zu einer Demonstration auf und zogen durch die Nordstadt. »Die können ohne Probleme 100 Leute alleine aus Dortmund mobilisieren«, sagt ein Antifa. Ihr erklärtes Ziel ist es, keine Veranstaltung von Antifaschisten ohne eine entsprechende Gegenaktion mehr zuzulassen.

Die rechtsextreme Szene in Dortmund ist stark, und sie ist gut organisiert. Die zahlenmäßig überschaubare Antifa wird bedroht. Wiederholt kam es auch zu Übergriffen auf Migranten. Ein Teil der Neonaziszene arbeitet mit linken Codes, tritt in schwarzen Klamotten auf. Es ist die junge Fraktion, die sich als »autonome Nationalisten« bezeichnet. Der größere Teil ist in einer so genannten Freien Kameradschaft um Siegfried Borchardt organisiert, dessen Name seit Jahrzehnten im Zusammenhang mit dem rechtsextremem Hooliganclub »Borussenfront« genannt wird. Während die Antifa die »Borussenfront« inzwischen eher für einen aufgeblasenen Mythos hält, der vor allem auf Transparenten existiert und rechte Hooligans einbinden soll, will die Kameradschaft Dortmund tatsächlich die Straße erobern.

Im Sommer 2004 demonstrierten 400 Rechtsextremisten gegen den Bau einer Moschee im Stadtteil Hörde, bei einer ähnlichen Protestaktion im Herbst trat Axel W. Reitz als Redner auf, der sich selbst als »Gauleiter Rheinland des Kampfbundes Deutscher Sozialisten« bezeichnet. Der junge Kölner, der gerne Hitler imitiert, ist aus Sicht der Antifa einer der Strippenzieher der Szene im Ruhrgebiet. Er ist es auch, der für das Plakat, welches allen Antifas ein ähnliches Schicksal wie das von Thomas S. ankündigt, presserechtlich verantwortlich zeichnete.

Ein Treffpunkt der Dortmunder Neonazis ist der Laden »Buy or Die«, der die szenetypischen Accessoires im Angebot hat. Dort werden auch Kontakte geknüpft zu den Freien Kameradschaften und ihrem nordrhein-westfälischen Netzwerk, dem Aktionsbündnis West, berichtet die Dortmunder Antifa. Im Hinblick auf die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen im Mai arbeiten die Kameradschaften auch mit der NPD zusammen. Diese sucht darüber hinaus das Bündnis mit der DVU, die inzwischen mit drei Vertretern im Rat der Stadt sitzt. Der Ratsherr Axel Thieme wird für die NPD bei der Landtagswahl kandidieren.

Ein bedrohliches Szenario und nicht gerade das, was man sich unter einem »zahnlosen Tiger« vorstellt. So bezeichnete der nordrhein-westfälische Innenminister, Fritz Behrens, jüngst die rechte Szene in seinem Bundesland.