Rätselhafte Wehrmacht

Eine Ausstellung zeigt Wehrmachtsverbrechen in Polen. Und belässt es dabei. von jonas pfau

Ein großer Teil der Fotos, die in der Ausstellung »›Größte Härte …‹ Verbrechen der Wehrmacht in Polen, September – Oktober 1939« in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin zu sehen sind, zeigt siegreiche deutsche Soldaten und besiegte Polen – tot oder lebendig.

Es sind Bilder voller Grausamkeit und Sadismus. Hinz und Kunz in Wehrmachtsgrau haben einen Teil dieser Fotos gemacht, und herumgezeigt haben sie sie wohl auch. Beigegeben sind den Fotos Textdokumente aller Art, viele Augenzeugenberichte und Briefe von Tätern und Opfern werden ausgestellt. Sie belegen, dass die deutschen Soldaten wussten, was sie taten und dass sie es auch nicht verheimlichten. Die Interpretation des Materials bleibt jedoch allein den Besuchern überlassen, die Ausstellung selbst präsentiert vor allem. Sie zeigt Verbrechen in Polen, die von der Wehrmacht selbst oder unter ihrer Verwaltung von SS und Polizeieinheiten begangen wurden. Dokumentiert wird die Phase der Militärverwaltung in den besetzten Gebieten zwischen September und Oktober 1939, als ein Teil des Gebietes dem »Reich« direkt angeschlossen und ein anderer als »Generalgouvernement« kontrolliert wurde.

Entstanden ist die Ausstellung, die sehr gut ausgewählte und teilweise wenig bekannte Dokumente versammelt, als eine Kooperation zwischen dem polnischen Institut des Nationalen Gedenkens – Kommission zur Verfolgung von Verbrechen gegen die polnische Nation (IPN) und dem Deutschen Historischen Institut (DHI) in Warschau. Gezeigt wurde sie zuerst ab 1. September 2004, zum 65. Jahrestag des Angriffs auf Polen, im Warschauer Stadtschloss, einem von den Nazis gehassten und deshalb zerstörten nationalen Symbol.

Beiden Institutionen ging es darum, ein verzerrtes Bild, das durch die Wehrmachtsausstellungen des Hamburger Instituts für Sozialforschung entstanden war, zu korrigieren. Diese hätten zwar wirkungsvoll den bis in die neunziger Jahre weithin propagierten Mythos von der »sauberen« Wehrmacht gebrochen, dabei aber einen neuen Mythos generiert. Danach habe der Vernichtungskrieg erst 1941 mit dem Angriff auf die Sowjetunion begonnen. Aufgrund der in Polen wachen Alltagserinnerung an Eroberung, Besetzung und Verbrechen und einer Quellenlage, die den nazistischen Terror als explizite Intention problemlos nachweisen konnte, wollte man dieser historiographischen Interpretation nicht folgen.

Das hübsche Städtchen Frampol sieht man auf einem Foto von 1939 aus derVogelperspektive. Das nächste Bild zeigt das ausgelöschte Frampol. Die Stadt wurde als geeignet angesehen, Objekt einer Strategie zu werden, die die Nazis selbst, und das weist die Ausstellung nach, als »Terrorangriff« bezeichneten. Frampol war aber kein »Experimentierfeld« (Die Welt) für die kommende Kriegsführung, sondern Ziel eines Vernichtungsangriffs.

Der Krieg war auch am Boden systematisch terroristisch: Die Zahl der zivilen Gefangen in Lagern überstieg teilweise die der Kriegsgefangenen, Geiseln wurden genommen und erschossen, Milizionären wurde der Kombattantenstatus aberkannt, um sie als Partisanen behandeln zu können. Zum Freischärler wurde für die Nazis auch, wer sich in der Nähe befand, wenn sich ein Schuss löste, oder wer bei Kämpfen Deckung suchte. Die Ausstellung präsentiert hier in großer Dichte Dokumente, die belegen, wie mit (vor allem christlichen) Polen umgegangen und wie über sie geredet und gedacht wurde.

Der militärgeschichtliche Hintergrund der Ausstellungsmacher führt allerdings im Kommentar gelegentlich zu Relativierungen. So heißt es etwa: »Nervosität und Überreaktion sind Phänomene, die zweifelsohne innerhalb vieler Invasionsheere bei Angriffsbeginn zu beobachten sind.« Als sei nicht jeder Schritt der Wehrmacht bis 1945 klar kalkuliert gewesen.

Der Deutungsrahmen, den die Ausstellung in den vorangestellten Tafeln anbietet, ist hemdsärmlig zusammengezimmert, nicht nur aufgrund der Kürze der Texte krude und besteht aus drei Komponenten. Erstens: Demilitarisierung nach Versailles, Aufrüstung, Hitler, noch mehr Aufrüstung, Krieg. Zweitens: Hitler mag Polen nicht, die Generalität widerspricht Hitler nicht, Krieg. Drittens: Polen war ein freies Land, Stalin und Hitler waren totalitäre Herrscher, Krieg und Besetzung.

Die Totalitarismustheorie ist so sehr Credo des IPN und zunehmend auch der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, dass man meinte, auf einen Nachweis – was die Praxis der Sowjets in Polen betrifft – verzichten zu können.

Die Vorstellung, dass die nationalsozialistische Vernichtungspraxis ein vor allem von der politischen und militärischen Elite, allen voran Hitler, allein initiiertes Projekt war, zieht sich durch die Ausstellung – absurderweise im offenen Widerspruch zu den gezeigten Quellen. Diese verdeutlichen nämlich, in welch hohem Maße die eingesetzte Gewalt auf Eigeninitiative beruhte und ideologisch fundiert war. Rassismus (als Polen- und Slawenhass) und Antisemitismus werden in der Ausstellung kaum reflektiert. Nicht nur das. Die Shoah-Archive sind voll von Berichten von Überlebenden. Auf den vier Tafeln unter dem Titel »Juden« allerdings wird die ansonsten dichte Quellendecke dünn. Stattdessen wird dort ausführlich aus einem Tagebuch von Leni Riefenstahl zitiert. Die wilde Erschießung von Jüdinnen und Juden passte Riefenstahl offensichtlich nicht recht ins Propagandabild. Sie habe protestiert, heißt es.

Dass unter dem Stichwort »Protest« auf einer der nächsten Tafeln die Endlösungsphantasien des »Oberbefehlshabers Osten«, von Blaswitz, verhandelt werden, verwundert weiter: »Es ist abwegig, einige 10 000 Juden und Polen, so wie es augenblicklich geschieht, abzuschlachten; denn damit werden angesichts der Masse der Bevölkerung weder die polnische Staatsidee totgeschlagen noch die Juden beseitigt.«

Die deutsche »Heimatfront« taucht in der Ausstellung nur indirekt als Adressat von Feldpost auf, oder im Sinne potenzieller KäuferInnen und LeserInnen von Büchern wie »Sieg im Osten«, »Mit Hitler in Polen« oder »Panzer packen Polen«. Nach dieser Lesart war die deutsche Gesellschaft nicht diejenige, die diesen Krieg trug und führte, sondern eine, die im Nachhinein vom Krieg überzeugt wurde.

Im so genannten Polenfeldzug ging es den deutschen Vernichtungsantisemiten und späteren Generalplanern Ost jedoch bereits in vollem Umfang um das, was in den vierziger Jahren als ein kohärentes Programm exekutiert wurde: Lebensraumideologie, Entrechtung, Versklavung, Terror, Raub, »Konzentration« und Massenmord. Aufgabe der Ausstellung wäre es gewesen, den Angriff auf Polen in diesem Sinne zu kontextualisieren.

Internationale Kooperation von HistorikerInnen ist nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Der Ansatz der Ausstellung ist in diesem Sinne erfreulich. Problematisch wird er, wo neben nationalen Grenzen solche der Schuldfrage überschritten werden. Die diffuse Rhetorik des Ankündigungstextes der Gedenkstätte deutscher Widerstand lässt erahnen, dass es auch um die Relativierung deutscher Schuld im europäischen Kontext geht: »Die dunkelsten Kapitel ihrer Beziehungsgeschichte sollten beide Nachbarländer gemeinsam aufarbeiten.« Konkret stellt die Ausstellung die polnische Kriegsstrategie der »hinhaltenden Verteidigung«, die schnelle Hilfe vor allem Großbritanniens und Frankreichs erhoffte, als Fehler dar – was als impliziter Vorwurf an diese Staaten zu deuten ist. So sehr es von polnischer Seite her legitim sein mag, die Frage danach zu stellen, ob genug für den angegriffenen Staat getan wurde, so sehr sollten sich Deutsche dieser mit Vorsicht nähern. Wer es mit der Befreiung der Welt vom Nationalsozialismus ernst meint, kann froh sein, dass die Alliierten ihren Krieg nicht so geführt haben, wie es sich die Deutschen im Nachhinein in ihren Diskussionen wünschen.

Die Ausstellung »›Größte Härte …‹ Verbrechen der Wehrmacht in Polen, September – Oktober 1939« ist bis 30. Juni 2005 in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin zu sehen.