Eingeborene auf Irrwegen

Migranten, Grüne und antirassistische Initiativen in Frankreich haben eine Kampagne gegen den »Postkolonialismus« ins Leben gerufen. In der Linken ist darüber ein Streit entbrannt. von bernhard schmid, paris

Am 23. Februar wurde vom französischen Parlament eine äußerst fragwürdige gesetzliche Bestimmung verabschiedet. Das Brisante daran blieb zunächst unbemerkt, da es in einem Text zur Verbesserung der Situation ehemaliger Soldaten der Kolonialkriege »versteckt« ist. Ein Absatz des Gesetzes verpflichtet zukünftig Lehrer, Hochschuldozenten und Forscher ausdrücklich dazu, in ihrem Unterricht und ihren Schriften den »positiven Beitrag der französischen Präsenz in Nordafrika« hervorzuheben.

In Wirklichkeit hat die französische Kolonisierung vor allem dazu geführt, die Algerier, die auch nach Aussagen von Generälen, die an der Invasion teilnahmen, mehrheitlich lesen und schreiben konnten, in eine Bevölkerung von Tagelöhnern und Analphabeten zu verwandeln. Auch ein Teil der französischen Öffentlichkeit bestreitet das nicht. Deswegen kritisieren viele Historiker und Lehrer derzeit heftig die Gesetzesbestimmung.

Das Gesetz bestärkt auch die Initiatoren einer neuen Bewegung, die im Februar mit einem Gründungsaufruf unter dem ironisch-provokativen Titel »Wir sind die Eingeborenen der Republik« auf sich aufmerksam machten. In dem Aufruf ziehen Nachkommen von Migranten, Mitglieder der Grünen und Angehörige von antirassistischen Initiativen eine Verbindungslinie zwischen dem Kolonialrassismus und der heutigen Behandlung der Einwanderer, von denen viele aus früheren Kolonien stammen.

Am 8. Mai wollen die »Eingeborenen der Republik« eine Demonstration veranstalten und im Juni einen Kongress. Die Demonstration gerade am Gedenktag zur Befreiung vom Nationalsozialismus soll auf den widersprüchlichen Charakter dieses Datums im französischen Kontext hinweisen. Der Jahrestag des Kriegsendes in Europa ist in Frankreich ein offizieller Feiertag. Zugleich ist der 8. Mai 1945 aber auch jener Tag, an dem die französische Regierung rund 45 000 Menschen in mehreren algerischen Städten wie Sétif und Guelma massakrieren ließ, Menschen, die auf die Straße geströmt waren, um den Sieg über den Faschismus zu feiern. Am Krieg hatten hunderttausende Nordafrikaner als Fußvolk der französischen Armee teilgenommen.

Die Urheber des Aufrufs beziehen sich zugleich positiv auf die französische Résistance und ihr Erbe. Der Text ist allerdings in der französischen Linken umstritten. So verweigerte die undogmatisch-trotzkistische LCR mehrheitlich ihre Unterstützung, da in dem Aufruf auch »feministische und laizistische Diskurse« als postkoloniale Herrschaftsinstrumente bezeichnet werden.

Auf einem Treffen Mitte April, auf dem der Kongress im Juni vorbereitet werden sollte, wurde über diese Einschätzung gestritten. Auf dem Podium waren vor allem migrantische Frauengruppen wie Les Blédardes oder die »Feministinnen für Gleichheit« vertreten. Tonangebend war ferner der Soziologe Said Bouamama aus Lille, der als Buchautor mit seiner scharfen Kritik am algerischen Islamismus bekannt wurde. Sie kritisierten keineswegs Laizismus und Feminismus als solche, sondern explizit nur jene Varianten, die sich positiv auf die republikanischen Ideale des Staates bezögen, die Mehrheitsgesellschaft beschönigten und ihre Kritik fast ausschließlich auf die Frauenfeindlichkeit unter Moslems oder in den Unterschichten konzentrierten, wie das etwa die Frauenorganisation »Ni Putes ni Soumises« (Weder Huren noch Unterwürfige) betreibe. Sie wurden als »gutes Gewissen der weißen Mehrheit« bezeichnet.

Aber auch andere Abgrenzungen werden nötig bleiben, denn auch kommunitaristisch-religiöse Gruppen, wie das Collectif des musulmans de France, befanden sich unter dem Publikum. Für sie ist der Feminismus eine postkoloniale Erscheinung. Ein Trennungsstrich wurde bereits gezogen. So wiesen die Initiatoren die Unterschrift des schwarzen französischen Theatermachers Dieudonné wegen seiner antisemitischen Ausfälle zurück.