Ideologie als Ware

Das Parteiunternehmen des italienischen Ministerpräsidenten steuert auf einen Konkurs zu. Das schlechte Abschneiden der Forza Italia bei den Regionalwahlen verschärfte die Widersprüche in der Regierungskoalition. von marco bascetta, rom

Die Regierung von Silvio Berlusconi ist am Mittwoch vergangener Woche zurückgetreten. Drei Tage später präsentierte Berlusconi die neue Regierung, die mit wenigen Ausnahmen die alte ist. Wahrscheinlich wird die zweite Regierung Berlusconis, wenn auch unter sehr schwierigen Bedingungen, bis zu den Wahlen in einem Jahr weiterregieren können.

Trotzdem scheint sein politisches Experiment endgültig gescheitert zu sein. Diese »unpolitische« Form der Politik, die er 1994 erfunden und gegen das alte Parteiensystem erfolgreich ausgespielt hat, befindet sich heute in einer tiefen Krise. Vor allem sein Parteiunternehmen Forza Italia hat bei den vergangenen Regionalwahlen eine katastrophale Niederlage erlitten, nicht etwa die anderen Parteien der Koalition, die postfaschistische Alleanza Nazionale von Gianfranco Fini, die rechten Christdemokraten von Marco Follini oder die rassistisch ausgerichtete, lokalpatriotische Lega Nord von Umberto Bossi.

Die Erfindung Forza Italia hat sich jetzt als herbe Enttäuschung entpuppt. Sie war der Versuch, die »Risikogesellschaft« als reine »Chancengesellschaft« zu verkaufen. Eine politische Organisation, die Formen, Methoden und Geist eines Wirtschaftsunternehmens als Prinzipien gesellschaftlicher Ordnung durchsetzen wollte, die sich durch eine Art Franchisingsystem verbreitete und schließlich Mittelpunkt der rechten Koalition im neuen bipolaren politischen System Italiens wurde. Die Forza Italia stellte den Übergang politischer und sprachlicher Eigenschaften aus der politischen Welt in die des Unternehmertums dar. Als »postpolitische« Partei konnte sich die Organisation Berlusconis skrupellose Bündnisse erlauben, solange ihre Vorherrschaft andauerte. Aber sie übernahm auch die Instabilität einer Aktiengesellschaft.

Dieses ganze Gebäude stützte sich ausschließlich auf die erfolgreiche Figur des großen Unternehmers Silvio Berlusconi. Man findet in seiner Partei kaum eine andere nennenswerte Persönlichkeit. So wurde jedes politische Urteil der Wähler ein Urteil über seine Person – die eher für ein Modell als ein Programm stand –, eingeschlossen die letzten Regionalwahlen, die die Krise verursachten.

In den vergangenen Monaten kehrte Berlusconi zu den streitbaren Tönen seiner Anfangszeit im Jahr 1994 zurück. Die schlechte wirtschaftliche Lage hat den Raum zur Vermittlung politischer Inhalte stark verkleinert. Mit der Einführung des Euro fand der größte Angriff auf die Löhne und Lebensbedingungen der Mittelschicht seit Jahrzehnten statt. Die versprochene Steuersenkung wirkte sich auf die Mehrheit der Bürger kaum wahrnehmbar aus, während die Privilegien für die Reichsten deutlich ausgeweitet wurden.

Der wirtschaftliche Liberalismus schloss eine Stärkung autoritärer Züge des Staates nicht aus, ganz im Gegenteil. Der ständige Kampf Berlusconis gegen die »rote Justiz«, die seiner Meinung nach eine linke Politik betreibt, wenn sie die privaten Interessen des Premiers juristisch verfolgt, wurde von einer Verschärfung der Strafgesetze begleitet. Dazu kam noch die Beteiligung am Irak-Krieg, die gegen die Mehrheit der Italiener durchgesetzt wurde. So blieb Berlusconi wenig übrig zu tun: Nach der Ware als Ideologie kam die Ideologie als Ware.

Auf jede erdenkliche Art und Weise bemühte er sich, das Gespenst einer kommunistischen Bedrohung in Italien heraufzubeschwören. 16 Jahre nach dem Fall der Mauer klingt das alles ziemlich lächerlich, vor allem für eine Öffentlichkeit, die im Gegensatz zu Berlusconi in den meisten sozialstaatlichen Regelungen gar keine Vorboten des Kommunismus erkennen kann. Zudem wurde ein großer Teil der Veränderungen, die die Regierung Berlusconi durchführte, bereits von der früheren Mitte-Links-Regierung von Romano Prodi vorbereitet, wenn nicht sogar eingeleitet. So ließ sich die Ware Antikommunismus schlecht verkaufen, wie die Resultate der letzten Regionalwahlen zeigen.

Berlusconi versuchte, ohne die Opposition auch nur zu kontaktieren, die Verfassung von 1948 zu ändern, um den Föderalismus und die Exekutive zu stärken, und das Justizsystem gegen den Widerstand des gesamten Richterstandes zu reformieren. Die Pläne für derart radikale Reformen sorgten für Misstrauen bei den Wählern und für Probleme mit den verbündeten Parteien. Auf der einen Seite verlangte die Lega Nord eine Beschleunigung der Reformen im Interesse des reicheren Nordens, auf der anderen Seite predigten die Alleanza Nazionale und insbesondere die Christdemokraten mit Blick auf die Wähler im Süden, dass man mit Veränderungen vorsichtig sein müsse. Die Wahlniederlage hat diese Widersprüche schnell verschärft, bis hin zum Ausbruch der Regierungskrise.

Der Zerfall der größten Partei Italiens hat nun begonnen. Es ist fraglich, ob die Forza Italia eine Rückkehr in die Opposition aushalten würde. Die gleichen Attribute, die 1994 ihren unglaublich schnellen Aufstieg begünstigten, ermöglichen heute einen genau so schnellen Untergang. Viele versuchen nun, die politischen Aktien Berlusconis übereilt loszuwerden. Es sind Millionen von Wählerstimmen, die plötzlich auf dem politischen Markt wieder ungebunden durch die Gegend schwirren. Es handelt sich dabei um die mythische Mitte, die zu kontrollieren beiden politischen Lagern als der Schlüssel zur Regierungsfähigkeit erscheint.

Das bipolare System hat sich aber in Italien nie endgültig behaupten können. Auf beiden Seiten des bürgerlichen Lagers, wo sich heute jeweils Splitterparteien befinden, die aus dem Zusammenbruch der alten Democrazia Cristiana hervorgegangen sind, lockt weiterhin die Versuchung, das alte Zentrum der italienischen Politik wieder herzustellen: die große, vermittlungsfähige, pragmatische, professionelle christliche Partei. Deshalb wäre die mögliche Auflösung von Berlusconis Parteiunternehmen auch für eine linke Koalition nicht folgenlos.

Fraglich ist aber, ob die soziale Zusammensetzung und die Überzeugungen der Wählerschaft, die von Berlusconi und seiner »unpolitischen Politik« erst fasziniert und später enttäuscht wurde, mit der alten Mittelschicht und ihren Sorgen und Gewohnheiten vergleichbar sind. Darauf setzt die Opposition, die die Eroberung der Mitte in der Sprache eines gezähmten Liberalismus verfolgt. Es sind aber die Bewohner der Risikogesellschaft, die berühmten »Unternehmer in eigener Sache«, die bankrott sind und viel radikalere Fragen an die Politik der Linken stellen.